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Screening in der Schwangerschaft und frühen Kindheit: Evidenzgestützte Weiterentwicklung des österreichischen “Mutter-Kinder-Passes“ auf Basis internationaler Leitlinien und nationaler ExpertInnenbewertung
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Veröffentlicht: | 26. September 2017 |
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Hintergrund: Seit 1974 steht in Österreich für alle Schwangeren und Kinder (bis zum 6. Lebensjahr) der „Mutter-Kind-Pass“ als nationales Screening-Instrument bereit. 2010 beschloss das Bundesministerium für Gesundheit und Frauen einen mehrjährigen Überarbeitungsprozess zu initiieren und wissenschaftlich begleiten zu lassen. Nach insgesamt 9 Hintergrundberichten (u.a. zu Screening-Prozessen im internationalen Vergleich, Maßnahmen zur Reduktion von Frühgeburten) begann 2014 eine ministerielle Facharbeitsgruppe (mit ExpertInnen aus den Bereichen Medizin, Hebammen, Public Health, Frühe Hilfen etc.) eine vorangegangene Leitliniensynopse zu (evidenzbasierten) Screening-Empfehlungen für den nationalen Kontext zu bewerten. Im Februar 2017 wurde dieser Bewertungsprozess für den Bereich Schwangerschaft und Wochenbett abgeschlossen. Seit März 2017 tagt die Facharbeitsgruppe monatlich zu Screening-Empfehlungen für Kinder (Abschluss voraussichtlich Anfang 2018).
Fragestellung: Welche Gesundheitsbedrohungen werden in ausgewählten evidenzbasierten Leitlinien für den Bereich Schwangerschaft, Wochenbett und frühe Kindheit defininiert? Welche Entscheidungen wurden bisher von der ministeriellen Facharbeitsgruppe bzw. welche Pro-Screening-, Kontra-Screening-Empfehlungen wurden ausgesprochen?
Methode: Die evidenzbasierten Leitlinienempfehlungen wurden auf Basis einer systematischen Datenbanksuche in GIN („Guidelines International Network“) und NGC („National Guideline Clearinghouse“) sowie einer Handsuche in mehreren internationalen Datenbanken (wie z.B. AWMF) identifiziert. Die Bewertung der Leitlinienempfehlungen durch die Facharbeitsgruppe beruht auf internationalen Praxisbeispielen zur Bewertung bzw. Kontextualisierung von Evidenz.
Ergebnisse: Insgesamt konnten für die Schwangerschaft 101 Screening-Leitlinien (von 12 Leitlinien-Institutionen) zu 48 Gesundheitsbedrohungen erhoben werden und für das Wochenbett wurden 6 Screening-Leitlinien (von 5 Institutionen) zu 6 Gesundheitsbedrohungen eingeschlossen. Ein beträchtlicher Teil der Leitlinien (32 von 101) stammt vom UK National Screening Committee (UK NSC) und sind als Policy Decisions zu verstehen, die sich primär an politische EntscheidungsträgerInnen im Gesundheitswesen richten. Bei 69 von 101 Leitlinien handelt es sich um klinische Guidelines (z.B. 20 Leitlinien von der kanadischen Society of Obestetricians and Gynaecologists etc.). Für die frühe Kindheit konnten 75 Screening-Leitlinien (von 10 Leitlinien-Institutionen) zu 45 Gesundheitsbedrohungen identifiziert werden (42 Policy Decisions vom UK NSC). Die Facharbeitsgruppe hielt 21 inhaltliche Sitzungen zum Thema Schwangerschaft und 2 Sitzungen zum Thema Wochenbett (jede Sitzung zwischen 4 und 6 Stunden) ab. Für die Schwangerschaft wurden 31 Pro-Screening-Empfehlungen und 27 Kontra-Screening-Empfehlungen formuliert. Für das Wochenbett wurden je 3 Pro- und 3 Kontra-Empfehlungen ausgesprochen. Zu den einzelnen Gesundheitsbedrohungen in der Schwangerschaft konnten Empfehlungen von 1 bis maximal 8 verschiedenen Institutionen extrahiert werden. Bei 7 von 48 Gesundheitsbedrohungen für Schwangere wurden lediglichen evidenzbasierte Empfehlungen von 1 Institution identifiziert (z.b. bei Tuberkulose, Vitamin-D Mangel etc.). Die Empfehlungen für Screenings in der frühen Kindheit werden in aktuell laufenden Facharbeitsgruppen formuliert und Anfang 2018 zum Abschluss kommen.
Diskussion: Die Leitlinienübersicht zu Screenings für Schwangere, Wöchnerinnen und Kinder stellt vor dem Hintergrund strenger methodischer Einschlusskriterien ein fundiertes „Assessment“ dar. Hiermit wird eine Übersicht zur Verfügung gestellt, die Screening-Empfehlungen von internationalen Leitlinienorganisationen zusammenfasst. Mit der Etablierung einer nationalen Facharbeitsgruppe erfolgt eine Bewertung („Appraisal“) unter Berücksichtigung nationaler Besonderheiten und Konditionen, die letztlich die Gesundheitspolitik („Policy Decision“) bei der Entscheidungsfindung über ein neues Screening-Programm unterstützen soll.
Praktische Implikationen: Die Ergebnisse dieses Bewertungsprozesses finden direkte (gesundheitspolitische) Anwendung als dass sie die Grundlage für ein zukünftiges (überarbeitetes) Screening-Programm für Schwangere und Kinder in Österreich liefern. Insofern ermöglicht dieser Prozess die Verschränkung von evidenzbasierten Screening-Empfehlungen mit ExpertInnen-Einschätzungen – wobei durch die breite Streuung an involvierten Gesundheitsberufen, ein breites Spekrum an aktuellen sozialmedizinischen Morbiditäten berücksichtigt wird. Vor dem Hintergrund unterschiedlicher prä-, peri- und postnataler Screening-Programme in Europa können die Ergebnisse des österreichischen Entscheidungsfindungsprozesses wertvolle Erfahrungen für andere Länder darstellen.