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16. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

4. - 6. Oktober 2017, Berlin

Hospitalisierungsrisiko von Kindern und Jugendlichen mit und ohne Diabetes aus Deutschland: Eine Analyse von 12 Millionen Versicherten der gesetzlichen Krankenkassen

Meeting Abstract

  • Barbara Bohn - Universität Ulm, Institut für Epidemiologie und Medizinische Biometrie, ZIBMT, Ulm, Germany; Deutsches Zentrum für Diabetesforschung (DZD), Germany
  • Anke Schwandt - Universität Ulm, Institut für Epidemiologie und Medizinische Biometrie, ZIBMT, Ulm, Germany; Deutsches Zentrum für Diabetesforschung (DZD), Germany
  • Peter Ihle - PMV forschungsgruppe, Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters der Universität zu Köln, Köln, Germany
  • Andrea Icks - Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, Med. Fakultät, Institut für Versorgungsforschung und Gesundheitsökonomie, Institut für Versorgungsforschung und Gesundheitsökonomie, Deutsches Zentrum für Diabetesforschung (DZD), Düsseldorf, Germany; Deutsches Zentrum für Diabetesforschung (DZD), Germany
  • Joachim Rosenbauer - Deutsches Diabetes-Zentrum (DDZ), Leibniz-Zentrum für Diabetes-Forschung an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, Institut für Biometrie und Epidemiologie, Düsseldorf, Germany; Deutsches Zentrum für Diabetesforschung (DZD), Germany
  • Beate Karges - RWTH Aachen University, Medizinische Fakultät, Sektion Endokrinologie und Diabetologie, Bethlehem Krankenhaus Stolberg, Pädiatrische Endokrinologie und Diabetologie, Aachen, Germany; Deutsches Zentrum für Diabetesforschung (DZD), Germany
  • Reinhard W. Holl - Universität Ulm, Institut für Epidemiologie und Medizinische Biometrie, ZIBMT, Ulm, Germany; Deutsches Zentrum für Diabetesforschung (DZD), Germany

16. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 04.-06.10.2017. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2017. DocV151

doi: 10.3205/17dkvf082, urn:nbn:de:0183-17dkvf0825

Veröffentlicht: 26. September 2017

© 2017 Bohn et al.
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Gliederung

Text

Hintergrund: In Deutschland ist Diabetes mellitus Typ 1 (DMT1) eine der häufigsten Stoffwechselerkrankungen im Kindes- und Jugendalter. Die Behandlung von DMT1 ist sehr kostenintensiv. Den größten Kostenanteil nimmt zu einem Drittel die diabetesbezogene stationäre Versorgung ein, gefolgt von den Kosten für die Blutzucker-Selbstkontrolle, der Insulinpumpentherapie und den Kosten für Insulin. Internationale Studien weisen darauf hin, dass Kinder und Jugendliche mit DMT1 ein dreimal höheres Risiko haben, hospitalisiert zu werden, als Kinder und Jugendliche ohne Diabetes. Die letzte bekannte Untersuchung für Deutschland erfolgte im Jahr 2001.

Fragestellung: Ist in Deutschland das Hospitalisierungsrisiko für Kinder und Jugendliche mit DMT1 höher im Vergleich zur pädiatrischen Allgemeinbevölkerung?

Methode: Die Bereitstellung der Daten erfolgte durch das Deutsche Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI). Der zur Verfügung gestellte Datensatz enthält Informationen über alle gesetzlich versicherten Menschen aus Deutschland (DaTraV Daten). Für die Analyse wurden Kinder und Jugendliche (<=19 Jahre) aus dem Jahr 2011 eingeschlossen. Um Kinder mit DMT1 zu identifizieren, wurden die Kodierung nach ICD-10 sowie die Verwendung von Insulin (basierend auf der ATC Klassifikation) herangezogen. Demographische Eigenschaften wurden zwischen Kindern mit DMT1 (n=26.444) und ohne DMT1 (n=12.003.798) verglichen. Rohe Odds Ratios (OR) mit 95% Konfidenzintervall (KI) wurden berechnet, um das Hospitalisierungsrisiko zu vergleichen. Berücksichtigt wurden hierbei nur vollstationäre Aufnahmen. Die Studienpopulation wurde in Altersgruppen (0 bis <=5; >5 bis <=10; >10 bis <=15 und >15 bis <=19 Jahre) eingeteilt. Zusätzlich wurde für die DMT1 Population der (voll- und teil)stationäre Aufnahmegrund analysiert. Ein p-Wert <0,01 wurde als statistisch signifikant gewertet. Die Datenaufbereitung sowie die Erstellung der Ergebnisse inklusive statistischer Verfahren wurden mit SQL durchgeführt (Oracle 11g). Die Programmierung des SQL-Skriptes erfolgte durch die Autorengruppe, die Skriptausführung durch Mitarbeiter des DIMDI.

Ergebnisse: Das mittlere (± SD) Alter war bei der pädiatrischen Allgemeinbevölkerung niedriger als bei der DMT1 Population (10,4 ± 5,5 vs. 13,2 ± 4,3; p<0,0001). Die Geschlechtsunterschiede waren vernachlässigbar (Anteil Mädchen 48,7% vs. 47,3%; p<0,0001). Das Hospitalisierungsrisiko der DMT1 Population war in allen Altersgruppen höher im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung. Das größte Risiko wurde in der Altersgruppe der >5 bis <=10 Jährigen beobachtet (OR 8,1; 95%-KI: 7,7 - 8,5), gefolgt von den >10 bis <=15 Jährigen (OR 7,4; 95%-KI: 7,1 - 7,7) und den <=5 Jährigen (OR 5,3; 95%-KI: 4,8 - 5,7). Im Vergleich zur pädiatrischen Allgemeinbevölkerung wiesen Jugendliche mit DMT1 in der Altersgruppe >15 bis <=19 Jahre das geringste Hospitalisierungsrisiko auf (OR 4,0; 95%-KI: 3,9 - 4,2).

In der DMT1 Population wurde mit 11.096 teil- oder vollstationären Aufnahmen (68,4%) die Diagnose E10.9 (ohne Komplikationen) am häufigsten als Aufnahmegrund angegeben, gefolgt von der Diagnose E10.1 (Ketoazidosen) (3.015 Aufnahmen (18,6%)) und der Diagnose E10.6 (mit sonstigen näher bezeichneten Komplikationen; z. B. Hypoglykämien) mit 1.110 Aufnahmen (6,8%).

Diskussion: Kinder und Jugendliche mit DMT1 aus Deutschland hatten ein 4- bis 8-fach höheres Hospitalisierungsrisiko als die pädiatrische Allgemeinbevölkerung. Auch unter Berücksichtigung der Krankenhausaufenthalte aufgrund einer Diabetes-Neumanifestation (geschätzte Neuerkrankungsrate von DMT1 bei Kindern und Jugendlichen: 3.200 bis 3.700), bleibt die Anzahl stationärer Aufnahmen hoch. Am häufigsten wurde der Aufnahmegrund „E10.9 – ohne Komplikation“ angegeben. Es wird angenommen, dass es sich hierbei zum Großteil um Aufnahmen aufgrund von Diabetesschulungen und/oder Diabetes-Neueinstellungen handelt. Gestützt wird diese Annahme durch vorherige Analysen zur Hospitalisierung bei DMT1. Diese Studien zeigten, dass in Deutschland Schulungen im Gegensatz zu anderen Ländern aufgrund von personellen und strukturellen Verhältnissen häufiger stationär und nicht ambulant durchgeführt werden.

Praktische Implikation: Die DaTraV Daten ermöglichen eine nahezu vollständige Analyse des Hospitalisierungsrisikos aller gesetzlich krankenversicherten Kindern und Jugendlichen mit und ohne DMT1 aus Deutschland. Diese Ergebnisse zeigen eine deutlich höhere Inanspruchnahme stationärer Versorgung bei Kindern und Jugendlichen mit DMT1, wobei ein Großteil der stationären Aufnahmen zur Behandlung bei Krankheitsmanifestation, zur Therapie von akuten Komplikationen und zur Therapieoptimierung erfolgte. Da individuelle Daten zu Stoffwechselentgleisung und Begleitproblemen vor der stationären Aufnahme fehlen, erlauben es diese Daten nicht zu klären, ob ein Teil dieser Versorgung auch ambulant erbracht werden könnte, falls entsprechende Strukturen verfügbar wären.