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16. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

4. - 6. Oktober 2017, Berlin

Arzneimittelinteraktionen vermeiden

Meeting Abstract

  • Sarah Holtz - AQUA - Institut für angewandte Qualitätsförderung und Forschung im Gesundheitswesen GmbH, Göttingen, Germany
  • Linda Barnewold - AQUA - Institut für angewandte Qualitätsförderung und Forschung im Gesundheitswesen GmbH, Göttingen, Germany
  • Heinz Endres - AQUA - Institut für angewandte Qualitätsförderung und Forschung im Gesundheitswesen GmbH, Göttingen, Germany
  • Petra Kaufmann-Kolle - AQUA - Institut für angewandte Qualitätsförderung und Forschung im Gesundheitswesen GmbH, Göttingen, Germany

16. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 04.-06.10.2017. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2017. DocV210

doi: 10.3205/17dkvf055, urn:nbn:de:0183-17dkvf0558

Veröffentlicht: 26. September 2017

© 2017 Holtz et al.
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Gliederung

Text

Hintergrund: Die Vermeidung von relevanten Arzneimittelinteraktionen (AMI) stellt einen wichtigen Aspekt zur Verbesserung der Arzneimitteltherapiesicherheit dar. Auf internistischen Stationen in Deutschland liegt die geschätzte Inzidenzrate von Hospitalisierungen aufgrund von unerwünschten Arzneimittelereignissen bei rund 3% [1]. In Bezug auf diese Hospitalisierungen ist ungefähr jede fünfte auf eine AMI zurückzuführen [2].

Im Rahmen des Vertrages zur Hausarztzentrierten Versorgung (§73b SGB V) bearbeiten die teilnehmenden Hausärzte kontinuierlich verschiedene Arzneimittel-bezogene Fragestellungen und erhalten zur Vorbereitung und Reflektion des eigenen Verordnungsverhaltens datenbasierte Feedback-Berichte. In diesem Zusammenhang wurde auch der Fokus auf AMI gerichtet, v.a. auf solche mit erhöhtem Risiko für Hospitalisierungen aufgrund von Blutungen, Herzrhythmusstörungen, Störungen im Elektrolythaushalt, Myopathien oder des Serotonin-Syndroms [3], [4], [5].

Fragestellung: Inwiefern kann die symptombezogene Thematisierung von AMI in hausärztlichen, datenbasierten Qualitätszirkeln die Sensibilität für diese AMI und das Verordnungsverhalten verbessern? Sind Veränderungen mithilfe von GKV-Routinedaten nachweisbar?

Methode: Für die hausärztlichen Qualitätszirkel im Quartal IV/2012 wurden in Baden-Württemberg den rund 3.400 teilnehmenden Hausärzten anhand von pseudonymisierten GKV-Routinedaten (§ 300 SGB V) von AOK-Patienten aus dem Quartal III/2011 praxisindividuelle Verordnungsanalysen zur Verfügung gestellt sowie Hintergrundinformationen zum Thema Arzneimittelinteraktionen (AMI). Patienten, die aufgrund von Verordnungen wechselwirkungsrelevanter Arzneimittelkombinationen ein erhöhtes Risiko für Blutungen, QT-Zeitverlängerung, Hyperkaliämie, Statin-Myopathien bzw. das Serotonin-Syndrom haben, wurden ermittelt und den behandelnden Ärzten ausgewiesen. Hierbei wurden Verordnungen aller an der Versorgung der Patienten beteiligten Ärzte/Arztgruppen berücksichtigt. In einer retrospektiven Betrachtung wird überprüft, ob sich nach dem Interventionszeitraum (Quartal IV/2012) eine Änderung der Anzahl AMI-betroffener Patienten ergibt und ob den ausgewiesenen Patienten weiterhin solche Arzneimittelkombinationen verordnet werden (Vorher/Nachher-Vergleich ohne Kontrollgruppe).

Ergebnisse: Im Quartal III/2011 erhielten rund 178.000 GKV-Patienten (11% aller Arzneimittelpatienten (AMP), 95% KI: 11,0% - 11,1%), mindestens eine der betrachteten Arzneimittelkombinationen. Im Quartal II/2013 war der Anteil geringfügig aber signifikant weniger (10,4% aller AMP, 95% KI: 10,3% - 10,4%). Ca. 42.000 Patienten mit potenziell relevanten AMI wurden den Hausärzten im Quartal IV/2012 ausgewiesen. Ein Großteil dieser Patienten (84,7%) erhielt auch im Quartal II/2013 mindestens eine Arzneimittelverordnung; davon wurden etwa 15.000 Patienten (42,3%) auch eine der diskutierten Arzneimittelkombinationen verordnet und rund 20.600 Patienten (57,7%, 95% KI: 57,1% - 58,2%) nicht mehr. Unter Ausschluss von Interaktionen mit meist nur kurzfristig angewendeten Antibiotika und Antimykotika von der Auswertung kommt es zu geringfügig aber signifikant unterschiedlichen Ergebnissen (55,5% ohne AMI-relevante Verordnungen, 95% KI: 55,0% - 56,0%).

Diskussion: AMI-relevante Arzneimittelkombinationen betreffen ggf. nur einen kurzen Zeitraum. Rund die Hälfte der Patienten mit Verordnungen einer AMI-relevanten Arzneimittelkombination erhielt knappe 2 Jahre später keine solche Medikation mehr. Die fehlende Weiterverordnung könnte neben der Intervention auch mit nur vorübergehender Indikation der Medikation zu erklären sein. Allerdings waren vorübergehende Antibiotika und Antimykotika-Verordnungen nur für einen geringen Teil der AMI verantwortlich. Des Weiteren ist bei der Betrachtung von Verordnungsdaten nicht ersichtlich, ob eine zeitgleiche und damit potenziell kritische Applikation stattgefunden hat.

Praktische Implikationen: Aufgrund der begrenzten Aussagekraft der verwendeten Abrechnungsdaten (es fehlen wichtige Parameter wie z.B. Nierenfunktion, Dosierung und Anwendung) kann nicht davon ausgegangen werden, dass bei jeder nach Datenlage potenziellen Interaktion tatsächlich ein Risiko für den Patienten bestand. Die Untersuchungen zeigen aber, dass das Ausweisen von konkreten Patientenbeispielen und die Diskussion im Qualitätszirkel eine signifikante Änderung des Verordnungsverhaltens bewirken und damit helfen, ein potenzielles Risiko zu minimieren. Wahrscheinlich wäre dieser Einfluss stärker, wenn das Thema häufiger adressiert würde. Um ein Overalerting zu vermeiden, ist der Einbezug weiterer Parameter (u.a. Nierenfunktion) sinnvoll.


Literatur

1.
Rottenkolber, et al. Pharmacoepidemiol Drug Saf. 2011;20(6): 626-634.
2.
Magro, et al. Expert Opin Drug Saf. 2012;11(1): 83-94.
3.
Obreli-Neto, et al. Eur J Clin Pharmacol. 2012;68(12):1667-76.
4.
Fokter, et al. Wien Klin Wochenschr. 2010;122(3-4): 81-88.
5.
Becker, et al. Pharmacoepidemiol Drug Saf. 2007;16(6): 641-651.