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16. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

4. - 6. Oktober 2017, Berlin

Implementierung eines interprofessionellen Medikationsmanagements: Auswahlkriterien aus hausärztlicher Sicht und Bewertung der Patientenselektion

Meeting Abstract

  • Ina Richling - University of Florida, Iserlohn, Germany
  • Olaf Rose - University of Florida, Gainesville, United States
  • Karen Voigt - Technische Universität Dresden, Medizinische Fakultät Carl Gustav Carus, Dresden, Germany
  • Mandy Gottschall - Universitätsklinikums Carl Gustav Carus an der Technischen Universität Dresden, Dresden, Germany
  • Juliane Köberlein-Neu - Bergische Universität Wuppertal, Wuppertal, Germany

16. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 04.-06.10.2017. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2017. DocV209

doi: 10.3205/17dkvf054, urn:nbn:de:0183-17dkvf0543

Veröffentlicht: 26. September 2017

© 2017 Richling et al.
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Gliederung

Text

Hintergrund: Medikationsanalysen und Medikationsmanagement sind international zunehmend etablierte Instrumente zur Erhöhung der Arzneimitteltherapiesicherheit. Auch für Deutschland konnten Erfolge eines vom Hausarzt und Apotheker gemeinsam durchgeführten Medikationsmanagements in einer von der Europäischen Union und dem Land Nordrhein-Westfalen geförderten, Cluster-randomisierten, kontrollierten Studie gezeigt werden. Die professionsübergreifende Zusammenarbeit konnte die Qualität der Arzneimitteltherapiequalität signifikant erhöhen und arzneimittelbezogene Probleme verringern [1].

Doch nicht jeder Patient profitiert im gleichen Maße von einer solchen Intervention. Daher ist eine am Bedarf der Patienten orientierte Selektion für die Implementierung in die Regelversorgung von außerordentlicher Bedeutung, um die vorhandenen Ressourcen möglichst effizient einzusetzen.

Fragestellung: Ziel der Untersuchung war es, herauszuarbeiten, auf welche Art und Weise die bedarfsgerechte Patientenselektion vor Anbieten eines Medikationsmanagements erfolgen kann. Sind für die Selektion durch den Arzt zusätzliche externe Kriterien (z.B. MAI-Score) für die Auswahl der Patienten notwendig oder kann der Arzt den Bedarf auch ohne diese zusätzlichen Kriterien durch subjektive Beurteilung des Patientenrisikos adäquat einschätzen?

Methode: Diese Teilanalyse ist Bestandteil der WestGem-Studie, welche die Wirksamkeit eines interprofessionellen Medikationsmanagements untersuchte [1]. Im Rahmen qualitativer, leitfadengestützter Interviews wurden 5 Allgemeinärzte, welche ca. 50% des Studienkollektivs betreuten, zur Auswahl geeigneter Patienten, die einem Medikationsmanagement zugeführt werden sollten, befragt und um Nennung der entsprechenden Auswahlkriterien gebeten. Die Entscheidung des Arztes wurde anschließend mit der über die Studienlaufzeit erzielten Veränderung der Arzneimitteltherapiequalität der Patienten abgeglichen. Hierfür wurde erörtert, ob ein Patient im Laufe der Studie einen sog. „Profiteursstatus“, gemessen über eine Veränderung des Medication Appropriateness Index (MAI-Score) von mind. 3,88 Punkten, erreicht hatte [2].

Ergebnisse: Die Befragung bezog sich auf 78 Patienten aus 5 Hausarztpraxen. Dabei lag der Anteil an Frauen bei 50% und das mittlere Alter der Patienten bei 76,2 (±6,4 SD) Jahren. Die Patienten wiesen im Mittel 12,2 Akut- und Dauerdiagnosen (±6,7 SD) auf und nahmen 9,2 (±2,9 SD) Arzneimittel ein. Die behandelnden Ärzte wählten 45 (57,7%) Patienten aus, die ihrer Meinung nach ein Medikationsmanagement erhalten sollten. Vom Arzt als relevant für ein Medikationsmanagement eingestufte Patienten wiesen tendenziell mehr Arzneimittel (9,5 vs. 8,8) sowie Akut- und Dauerdiagnosen auf (12,8 vs. 11,4) und nahmen häufiger Gesundheitsleistungen außerhalb der hausärztlichen Betreuung in Anspruch (4,1 vs. 2,6 außerhausärztliche Behandlungskontakte exkl. nicht-ärztliche Leistungen). Die Unterschiede waren statistisch nicht signifikant. Darüber hinaus wählten die Ärzte solche Patienten für ein Medikationsmanagement, welche über eine signifikant größere Anzahl an unerwünschten Arzneimittelwirkungen (UAWs) klagten (0,3 vs. 0,06; p=0,01).

Bei 74 Patienten konnte die Entscheidung des Arztes mit dem Erreichen des sog. Profiteursstatus‘ abgeglichen werden. Insgesamt profitierten 39 (52,7%) der 74 Patienten über die Studienlaufzeit von 15 Monaten vom Medikationsmanagement und erreichten eine Veränderung im MAI-Score von min. 3,88 Punkten. 24 dieser Patienten hätte der Arzt ausgewählt. 19 der vom Arzt bestimmten Patienten würden nicht in besonderem Maße vom Medikationsmanagement profitieren. Somit lag die arztseitige Identifikationswahrscheinlichkeit eines Profiteurs durch subjektive Beurteilung bei 61,5%. Signifikante Unterschiede hinsichtlich der Anzahl der ausgewählten Profiteure konnten nicht zwischen den Ärzten festgestellt werden.

Diskussion: Durch subjektive Einschätzung würden die behandelnden Ärzte dieser Studie intuitiv, d.h. ohne vorherige Schulung, 61,5% der Patienten, welche auch tatsächlich von einem Medikationsmanagement auf Ebene der Arzneimitteltherapiequalität profitiert hätten, dem Apotheker für eine Medikationsanalyse zuweisen. Mit Blick auf eine effiziente Ressourcennutzung sind somit weitere Bemühungen notwendig, um die Zuweisungseffizienz zu steigern.

Praktische Implikationen: Der Einsatz objektiver Kriterien und Instrumente zur Patientenidentifikation, die den behandelnden Arzt bei der Auswahl geeigneter Patienten unterstützen, würde die Anzahl der Patienten, welche von einem Medikationsmanagement in besonderem Maße profitieren, möglicherweise weiter erhöhen. Studien, wie das Vorhaben PROPERmed der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main setzen hier an und werden die Praxistauglichkeit solcher Instrumente zeigen.


Literatur

1.
Köberlein-Neu, et al. Dtsch Arztebl Int. 2016;113:741–8.
2.
Rose, et al. PLoS ONE. 2016;11(6): e0156304.