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Nurse geleitetes Immuntherapie-Entscheidungscoaching für Menschen mit Multipler Sklerose (DECIMS): eine randomisiert-kontrollierte Pilotstudie mit begleitender Prozessevaluation
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Veröffentlicht: | 26. September 2017 |
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Hintergrund: Multiple Sklerose (MS), eine chronische Erkrankung des Zentralnervensystems, beginnt meist im frühen Erwachsenenalter. MS-Betroffene wünschen sich eine aktive Rolle im Entscheidungsprozess zu Immuntherapien. Die zunehmenden Immuntherapieoptionen machen umfassende Informationen zu Nutzen und Risiken der Optionen durch den Arzt schwieriger. Mit dem Nurse-geleiteten Entscheidungscoaching (Decision-Coaching) wird eine Umstrukturierung der Kompetenzen von Gesundheitsfachpersonal angestrebt. Pflegende unterstützen MS-Betroffene bei der Entscheidungsfindung bezüglich einer Immuntherapie unter Einbezug des Konzepts der gemeinsamen Entscheidungsfindung.
Fragestellung: Ziel der Pilotstudie war die Testung des Einschlussverfahrens und der Machbarkeit.
Methode: Das Programm wurde nach den Leitlinien zur Entwicklung und Evaluation komplexer Interventionen entwickelt und umfasst eine Schulung für MS-Nurses, die Coaching Intervention: bis zu drei Decision-Coachings mit der Nurse pro Patient, Moderationskarten zur Unterstützung, Patienten-Arbeitsbücher zur Frühtherapie und zum Therapiewechsel, Zugang zur evidenzbasierten Informationsplattform (DECIMS-Wiki) sowie ein abschließendes Arztgespräch.
Nach der Pilotierung der Schulung und der Materialien erfolgte die Evaluation im Rahmen einer randomisiert-kontrollierten Pilotstudie mit begleitender Prozessevaluation.
Zwischen März 2014 und Juni 2015 wurden in zwei deutschen MS-Zentren MS-Betroffene mit Verdacht auf MS oder schubförmig-remittierender MS, die mit einer Immuntherapie-Entscheidung konfrontiert waren, rekrutiert und der Interventions- (IG) oder Kontrollgruppe (KG) zugeordnet. MS-Betroffene in der IG erhielten das Coaching, Betroffene in der KG die Standardversorgung. Beide Gruppen hatten Zugang zum DECIMS-Wiki und ein abschließendes Arztgespräch. Nurses waren hinsichtlich der Gruppenzuordnung nicht verblindet, während MS-Betroffene und Ärzte verblindet waren. Primärer Endpunkt war "informierte Entscheidung", eine mehrdimensionale Erhebung einschließlich der Subdimensionen Risikowissen (Fragebogen nach 14 Tagen), Haltung bezüglich einer Immuntherapie (eine Frage nach der Intervention) und Immuntherapiestatus (Erhebung nach sechs Monaten). Weiter erfolgte eine Videoanalyse der aufgezeichneten Coachings bzgl. einer gemeinsamen Entscheidungsfindung.
Daten zur Prozessevaluation wurden mittels Fragebögen (MS-Betroffene, Nurses und Ärzte) und qualitativen Interviews erhoben. Alle Nurses und eine Stichprobe der MS-Betroffenen wurden interviewt. Aufgrund des Pilotcharakters werden die Daten deskriptiv dargestellt.
Ergebnisse: Insgesamt wurden 73 MS-Betroffene in die Studie eingeschlossen. Die Gruppen waren bei Baseline vergleichbar. Für 51 MS-Betroffene (70%) lagen Daten für den primären Endpunkt vor. In der IG haben 15 von 31 (48%) Betroffenen nach sechs Monaten eine informierte Entscheidung getroffen und in der KG 6 von 20 (30%). Die Analyse der Fragebögen und der Coaching-Videos zeigte die Beteiligung von MS-Betroffenen im Entscheidungsprozess. Die Auswertung der Prozessevaluation zeigte eine positive Resonanz auf das Coaching-Programm und eine gute Akzeptanz seitens der MS-Betroffenen, der Nurses und der Ärzte.
Diskussion: Trotz der erfolgreichen Pilotierung des auf dem Prinzip einer gemeinsamen Entscheidungsfindung beruhenden Decision-Coaching Programms in zwei MS-Zentren musste eine nachfolgende cluster-randomisiert kontrollierte Studie vorzeitig beendet werden. Verschiedene Barrieren, wie die Verfügbarkeit von MS-Nurses und fluktuierende Priorisierung der teilnehmenden MS-Zentren führten dazu, dass die geplante Fallzahl in der Hauptstudie nicht erreicht werden konnte.
Praktische Implikationen: Grundsätzlich hat die Delegation der Bereitstellung von evidenzbasierten Informationen zu einer Therapieentscheidung an Pflegende das Potenzial die gegenwärtige arztzentrierte Praxis zu ändern und Ärzte zu unterstützen. Allerdings bedarf es innovativer Ansätze zu einer weiterreichenden Implementierung und Evaluation des vielversprechenden Konzeptes.