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16. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

4. - 6. Oktober 2017, Berlin

Delegierte Hausbesuche ans Praxispersonal – welche Beratungsanlässe werden in der Versorgungsrealität bereits übernommen? Ergebnisse der 5. Sächsischen Epidemiologischen Studie in der Allgemeinmedizin (SESAM-5)

Meeting Abstract

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  • Maik Pochert - Technische Universität Dresden, Medizinische Fakultät Carl Gustav Carus, Dresden, Germany
  • Karen Voigt - Technische Universität Dresden, Medizinische Fakultät Carl Gustav Carus, Dresden, Germany
  • Jeannine Schübel - Technische Universität Dresden, Medizinische Fakultät Carl Gustav Carus, Dresden, Germany
  • Antje Bergmann - Technische Universität Dresden, Medizinische Fakultät Carl Gustav Carus, Dresden, Germany

16. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 04.-06.10.2017. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2017. DocV158

doi: 10.3205/17dkvf038, urn:nbn:de:0183-17dkvf0380

Veröffentlicht: 26. September 2017

© 2017 Pochert et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Gliederung

Text

Hintergrund: In den letzten Jahren wurde zur Entlastung der Hausärzte die Delegation von Hausbesuchen gestärkt. Im Rahmen des Pflege-Weiterentwicklungsgesetz und durch einen Beispielkatalog delegationsfähiger Leistungen in den Bundesmantelverträgen definierte der Gesetzgeber notwendige Anforderungen zur Delegation von Hausbesuchen an nichtärztliches medizinisches Personal. Hinsichtlich dieser Veränderungen ist ein Einblick in die Versorgungsrealität notwendig, um zu überprüfen, welche Beratungsanlässe an Praxispersonal mit unterschiedlichen Qualifikationen bereits delegiert werden. Unabhängig von Modellprojekten liegen für Deutschland zu diesem Aspekt keine aussagekräftigen Daten vor.

Fragestellung: Welche medizinischen Leistungen werden beim Hausbesuch in der aktuellen Versorgungsrealität an nichtärztliches medizinisches Personal delegiert, und inwieweit lassen sich dabei Unterschiede in den Beratungsanlässen auf die Qualifikation des Praxispersonals zurückführen?

Methode: In der vorliegenden Primärdatenerhebung wurden Inhalte und organisatorische Merkmale von Hausbesuchen im hausärztlichen Setting erfasst. Das Studiendesign zielte auf eine repräsentative und saisonunabhängige Darstellung der realen Versorgungssituation bei Hausbesuchen. Dafür wurde jeder teilnehmenden Hausarztpraxis eine randomisiert zugeteilte Dokumentationswoche innerhalb eines einjährigen Zeitraums zugewiesen. Während dieser einwöchigen Erhebungszeit dokumentierten alle Praxismitarbeiter (Hausärzte und nichtärztliches medizinisches Personal) selbstständig jeden durchgeführten Hausbesuch mittels standardisierten Erhebungsbögen. Zusätzlich wurden von jeder teilnehmenden Hausarztpraxis die Praxismerkmale schriftlich mit Kurzfragebögen erfasst. Insgesamt konnten 4.286 dokumentierte Hausbesuche ausgewertet werden.

Ergebnisse: Die Auswertungen zeigen, dass nichtärztliches medizinisches Personal (NMP) an rund 11 % aller Hausbesuche beteiligt war. In knapp 2,5 % aller Hausbesuche war das NMP in einer ärztlich begleitenden Funktion tätig, davon war circa jeder zweite ein Routinebesuch. In knapp 8,5 % aller Hausbesuche führte das NMP einen delegierten Hausbesuch selbstständig durch. Dabei zeigt eine Differenzierung zwischen den Qualifikationen, dass der Anteil mit 90 % an eigenständig durchgeführten Hausbesuchen bei Personal mit Zusatzqualifikation (ACE, AGNES, VERAH, NÄPA) signifikant höher lag, als der Anteil beim NMP ohne entsprechender Zusatzqualifikation mit knapp 70 %.

In Summe wurden 357 Patienten eigenständig vom NMP versorgt. Für diese Patientengruppe wurden insgesamt 434 Beratungsanlässe angegeben, in 58,5 % der Fälle umfasste der Hausbesuch nur einen Beratungsanlass und betraf in circa zwei Drittel der Fälle allgemeine und unspezifische Symptome. Bei beiden Gruppen konnten knapp 80 % der Beratungsanlässe in fünf Prozeduren-Codes der zweiten Version der International Classification of Primary Care kategorisiert werden, darunter:

1.
die Blutuntersuchung (44,5 %);
2.
die teilweise ärztliche Untersuchung (14,1 %);
3.
die Ausführung einer unspezifizierten Folgevorstellung (9,7 %);
4.
die Verabreichung einer Medikation Verschreibung oder Injektion (7,6 %);
5.
sowie die Verabreichung einer präventiven Impfung oder Medikation (3,9 %).

Hinsichtlich dieser Kategorisierung zeigt sich, dass Beratungsanlässe mit einer höheren Verantwortung, darunter unter anderem die Ausführung einer unspezifizierten Folgevorstellung, signifikant häufiger in der Gruppe des NMPs mit Zusatzqualifikation zu finden sind (18,8 % vs. 3,8 %).

Diskussion: Die Diskussion über alternative Versorgungskonzepte, die den Hausbesuch in eine verstärkte Delegation oder zukünftig möglicherweise in eine Substitution überführt, benötigt eine Informationsbasis über die tatsächlichen und potentiell übertragbaren Versorgungsinhalte von Hausbesuchen. Dazu ermöglichen die Ergebnisse einen konkreten Einblick in die heutige Versorgungsrealität mit einer differenzierten Darstellung nach der Qualifikation des nichtärztlichen medizinischen Personals.

Praktische Implikationen: Die Ergebnisse eröffnen die Diskussionsmöglichkeit auf Grundlage evidenter Daten über die Beratungsanlässe bei delegierten Hausbesuchen. Durch die Qualifikationsdifferenzierung kann gezeigt werden, welche Hausbesuche an welches nichtärztliche medizinische Personal eine Delegation erfahren. Aufbauend auf diesen Ergebnissen kann diskutiert werden, welche konkreten Beratungsanlässe – unter welchen Voraussetzungen – zukünftig theoretisch und praktisch delegierbar wären. Zudem sollen die Ergebnisse einen Erkenntnisbeitrag zur Optimierung von Aus-, Fort- und Weiterbildung von nichtärztlichem medizinischem Personal leisten.