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16. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

4. - 6. Oktober 2017, Berlin

Delegation von Hausbesuchen bei Patienten in Pflegeheimen an nichtärztliches Praxispersonal

Meeting Abstract

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  • Lydia Henning - Medizinische Fakultät der TU Dresden, Dresden, Germany
  • Jeaninne Schübel - Medizinische Fakultät der TU Dresden, Dresden, Germany
  • Antje Bergmann - Medizinische Fakultät der TU Dresden, Dresden, Germany
  • Karen Voigt - Technische Universität Dresden, Medizinische Fakultät Carl Gustav Carus, Dresden, Germany

16. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 04.-06.10.2017. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2017. DocV168

doi: 10.3205/17dkvf017, urn:nbn:de:0183-17dkvf0178

Veröffentlicht: 26. September 2017

© 2017 Henning et al.
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Gliederung

Text

Hintergrund: Ein Drittel der Pflegebedürftigen in Deutschland werden derzeit in vollstationären Einrichtungen versorgt (Statistisches Bundesamt 2016). Etwa 80 % der Heimbewohner sind nicht in der Lage ihren Hausarzt in der Praxis aufzusuchen und sind somit auf Hausbesuche angewiesen (Hallauer 2005). Die Anzahl niedergelassener Allgemeinmediziner sinkt seit Jahren kontinuierlich (KBV 2015), im internationalen Vergleich arbeiten die deutschen Allgemeinmediziner signifikant mehr Stunden, haben deutlich mehr Patientenkontakte (Koch et al. 2007). Eine Möglichkeit auf die hohe Arbeitsbelastung und drohende oder bestehende Unterversorgung in der Primärversorgung zu reagieren, ist die Delegation ärztlicher Tätigkeiten an nichtärztliches Praxispersonal.

Fragestellung: In welchem Ausmaß und bei welchen Beratungsanlässen werden Hausbesuche in der alltäglichen Versorgung von Patienten in Pflegeheimen an nichtärztliches Personal delegiert? Welcher Anteil der Hausbesuchsinhalte nichtdelegierter Hausbesuche wäre theoretisch delegierbar?

Methode: Im Rahmen einer Querschnittuntersuchung wurden Primärdaten zu inhaltlichen und organisatorischen Merkmalen von allgemeinärztlichen Hausbesuchen erhoben. Über den Zeitraum von 12 Monaten (Juli 2014 bis Juni 2015) wurden Daten von insgesamt 4286 Hausbesuchen dokumentiert, davon 1525 Hausbesuche in Pflegeheimen. Dabei dokumentierte jede teilnehmende Hausarztpraxis alle Hausbesuche, die innerhalb einer Woche durchgeführt wurden. Zusätzlich wurden Daten zu den teilnehmenden Hausärzten und dem nichtärztlichen Praxispersonal erhoben. Die statistische Auswertung erfolgte mit der Software SPSS 23.0. Die Überprüfung der metrischen Variablen auf Normalverteilung erfolgte mittels Kolmogorov-Smirnov-Test. Mittelwertunterschiede wurden mittels Mann-Whitney-U-Test für unabhängige Stichproben, Häufigkeitsvergleiche mittels Chi²-Test durchgeführt. Um die mögliche Delegation der Hausbesuche in stationären Pflegeeinrichtungen zu bewerten, wurde ein Abgleich der Hausbesuchsinhalte mit den Delegationsvereinbarungen der Bundesmantelverträge der Ärzte durchgeführt.

Ergebnisse: Mehr als zwei Drittel (71,4 %) der Hausbesuche in stationären Pflegeeinrichtungen waren Routine-Hausbesuche. Sowohl akute als auch Routine-Hausbesuche im Pflegeheim wurden großteils (89,6 %) von den Hausärzten selbst durchgeführt. Insgesamt wurden nur 5,4% der Hausbesuche in stationären Pflegeeinrichtungen an nichtärztliches Praxispersonal delegiert. Beim Vergleich der durchschnittlichen Verweildauer bei Patienten im Pflegeheim (11,3 +/- 8,2 SD Minuten) ergaben sich keine signifikanten Unterschiede zwischen delegierten und nichtdelegierten Hausbesuchen (Mann-Whitney-U-Test/p = 0,4). An nichtärztliches Personal wurden überwiegend Blutentnahmen, Schnelltests und Vitalparameterkontrollen übertragen. Die Größe der Gemeinde und das Geschlecht des delegierenden Arztes hatten keinen signifikanten Einfluss auf die Häufigkeit der Delegation (p > 0,05). Im Abgleich mit den delegierbaren Leistungen laut BMV-Ä konnten insgesamt 38,9 % der durchgeführten Leistungen bei den Hausbesuchen im Pflegeheim an nichtärztliches Personal als delegierbar bewertet werden. Differenziert man das Ergebnis nach der Besuchsart, sind signifikant mehr Anteile bei Routine-Hausbesuchen delegierbar (43,9 %) als bei akuten Hausbesuchen (26,7 %) (Chi²-Test/p < 0,05).

Diskussion: Voraussetzung für die Delegation von Hausbesuchen ist eine entsprechende Qualifikation des nichtärztlichen Praxispersonals (KBV 2013). Routine-Hausbesuche in stationären Pflegeeinrichtungen bieten großes Potential für die Übertragung ärztlicher Tätigkeiten an qualifiziertes, nichtärztliches Personal. Die Studie zeigt eine große Differenz zwischen potentiell delegierbaren (38,9 %) und tatsächlich delegierten Leistungen (5,4 %) bei Hausbesuchen im Pflegeheim und bestätigt die Ergebnisse vorangegangener Studien (Lenz et al. 2015).

Praktische Implikationen: Das Potential für eine Arbeitsentlastung der Hausärzte durch die Übernahme von Routine-Hausbesuchen von nichtärztlichen Praxismitarbeitern wird durch die Ergebnisse der Studie erkennbar. Offen bleibt die Frage, welche Anreize geschaffen werden müssten, um die Delegation ärztlicher Aufgaben an nichtärztliches Personal in der Primärversorgung auszuweiten.