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15. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

5. - 7. Oktober 2016, Berlin

Ambulant-sensitive Krankenhausfälle bei Diabetes mellitus – Prädiktoren auf Kreisebene unter Berücksichtigung der Erkrankungsprävalenz

Meeting Abstract

  • Johannes Pollmanns - Hochschule Niederrhein, Kompetenzzentrum Routinedaten im Gesundheitswesen, Krefeld, Deutschland
  • Saskia Drösler - Hochschule Niederrhein, Kompetenzzentrum Routinedaten im Gesundheitswesen, Krefeld, Deutschland
  • Max Geraedts - Universität Witten/Herdecke, Institut für Gesundheitssystemforschung, Witten, Deutschland
  • Maria Weyermann - Hochschule Niederrhein, Kompetenzzentrum Routinedaten im Gesundheitswesen, Krefeld, Deutschland

15. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung. Berlin, 05.-07.10.2016. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2016. DocP049

doi: 10.3205/16dkvf259, urn:nbn:de:0183-16dkvf2597

Veröffentlicht: 28. September 2016

© 2016 Pollmanns et al.
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Gliederung

Text

Hintergrund: Ambulant-sensitive Krankenhausfälle (ASK) sind Hospitalisierungen, die durch eine effektive ambulante Therapie potentiell vermeidbar sind. Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) verwendet populationsbezogene ASK-Raten, um die Qualität und den Zugang ambulanter Versorgung in ihren Mitgliedstaaten zu evaluieren. Zu Diabetes mellitus ermittelt die OECD die Indikatoren „Krankenhausaufnahmen aufgrund kurzfristiger Diabetes-Komplikationen (DMST)“ sowie „Krankenhausaufnahmen aufgrund langfristiger Diabetes-Komplikationen (DMLT)“. Bisher wurden Prädiktoren dieser Indikatoren auf kleinräumiger Ebene in Deutschland nicht umfassend analysiert.

Fragestellung: Ziel dieser Untersuchung war es, mögliche Prädiktoren der Indikatoren auf Kreisebene für das Jahr 2011 unter Berücksichtigung der Diabetesprävalenz zu untersuchen.

Methode: Der Indikator DMST umfasst Entgleisungen der Stoffwechsellage mit Komplikationen wie diabetischem Koma oder Ketoazidose, während der Indikator DMLT primär renale, ophthalmologische, neurologische und vaskuläre Folgeerkrankungen beinhaltet. Die Definition der Indikatoren entspricht den originären OECD-Indikatoren. Grundlage der Analysen sind die vollständigen Abrechnungsdaten der Krankenhäuser nach § 21 KHEntgG (DRG-Statistik) bei erwachsenen Patienten (Alter 15+) des Jahres 2011, auf deren Basis die dokumentierten Behandlungsfälle ermittelt und mit Bevölkerungsdaten als Raten auf Kreisebene dargestellt wurden. Unter Verwendung des Andersen-Modells der Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen wurden zwölf potentielle Prädiktoren auf Kreisebene identifiziert (Durchschnittsalter, Arbeitslosenanteil, Frauenanteil, Einpersonenhaushalte, Schulbildung, Haushaltseinkommen, Hausärzte, Fachärzte, Krankenhausbetten, Ländlichkeit, Erkrankungsprävalenz und Lebenserwartung). Datenbasis der Prädiktoren waren Indikatoren des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung, Daten des Zensus 2011 sowie Prävalenzschätzungen des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung. Diese wurden als Determinanten der ASK-Raten mittels linearer Regressionsanalyse mit simultanem sowie mit schrittweisem Einschluss modelliert.

Ergebnisse: Insgesamt wurden im Jahr 2011 in Deutschland 128.126 Krankenhausfälle (184 Fälle je 100.000 Einwohner) bei DMLT und 53.977 Fälle (56 Fälle je 100.000 Einwohner) bei DMST verzeichnet. Auf Kreisebene lag die niedrigste Rate bei 19 (DMST) bzw. 69 (DMLT) Hospitalisierungen je 100.000 Einwohner, während das Maximum 218 (DMST) bzw. 594 (DMLT) Fälle je 100.000 Einwohner betrug. Die multivariablen Regressionsanalysen zeigten eine signifikante positive Assoziation zwischen dem Anteil an Personen ohne abgeschlossene Schulbildung und den Aufnahmeraten bei DMLT, während die Rate der niedergelassenen Fachärzte negativ mit diesem Indikator assoziiert war. Signifikant steigende Raten bei DMLT zeigten sich auch bei Zunahmen in den Variablen Krankenhausbetten, Ländlichkeit und Diabetesprävalenz. Beim Indikator DMST zeigten sich signifikante positive Regressionskoeffizienten bei den Variablen Arbeitslosigkeit, Ländlichkeit, nicht abgeschlossener Schulbildung und Prävalenz. Die anderen potentiellen Prädiktoren blieben jeweils ohne signifikanten Einfluss. Der Anteil der erklärten Varianz lag bei den schrittweisen Modellen nach Einschluss aller signifikanten Prädiktoren bei 47 % (DMLT) und 35 % (DMST). In diesen Modellen wurden 43 % (DMLT) bzw. 26 % (DMST) der Varianz alleine durch die Prävalenz erklärt.

Diskussion: Die Indikatoren zu ASK werden international zur Erklärung von Qualität und Zugang der ambulanten Gesundheitsversorgung verwendet. Die Struktur der ambulanten Versorgung zeigt jedoch nur bei den langfristigen Komplikationen bei Diabetes einen signifikanten Einfluss, während sie bei den kurzfristigen Komplikationen nicht signifikant ist. Hieraus kann eine Bedeutung der Versorgungsstruktur in der kontinuierlichen Betreuung des Diabetes mellitus abgeleitet werden, während die Versorgungsstruktur möglicherweise keinen Einfluss auf die frühe Ersterkennung des Diabetes mellitus hat, die erstmals in einer Entgleisung symptomatisch wird. In Übereinstimmung mit der internationalen Literatur zeigen zudem sozioökonomische und –demographische Faktoren einen Einfluss auf die Aufnahmeraten. Erstmalig wurde für Deutschland der Einfluss der Prävalenz in multivariablen Modellen untersucht, wobei die Prävalenz bei beiden Indikatoren als stärkster Prädiktor identifiziert wurde. Analysen jüngerer Datenjahre werden derzeit durch die Autoren durchgeführt.

Praktische Implikationen: Bisherige Analysen zu Determinanten potentiell vermeidbarer Krankenhausaufnahmen in Deutschland inkludieren die Erkrankungsprävalenz nicht und verleiten zu Fehlschlüssen in Bezug auf mögliche Einflussfaktoren auf ASK. Nach den vorliegenden Ergebnissen sollten zukünftige Untersuchungen eine Prävalenzadjustierung der Indikatoren zu ASK beinhalten.