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15. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

5. - 7. Oktober 2016, Berlin

Abgrenzungskonzeption zur Definition Landarzt

Meeting Abstract

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  • Christian Marschner - Lehrstuhl für Medizinmanagement Universität Duisburg-Essen, Promovend, Bielefeld, Deutschland
  • Jürgen Wasem - Lehrstuhl für Medizinmanagement Universität Duisburg-Essen, Essen, Deutschland
  • Romy Heymann - Lehrstuhl für Medizinmanagement Universität Duisburg-Essen, Essen, Deutschland

15. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung. Berlin, 05.-07.10.2016. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2016. DocP149

doi: 10.3205/16dkvf209, urn:nbn:de:0183-16dkvf2097

Veröffentlicht: 28. September 2016

© 2016 Marschner et al.
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Gliederung

Text

Hintergrund: Vor dem Hintergrund der wissenschaftlichen Diskussion im Rahmen der Versorgungsforschung mangelt es nach wie vor an einer einheitlichen Landarztdefinition. Diese wäre jedoch für die zukünftige Gestaltung der medizinischen Versorgungslandschaft in Deutschland dringend notwendig. Insbesondere die Diskussionen über den prognostizierten und bereits in Teilen Deutschlands evidenten Ärztemangel in ländlichen, zumeist strukturschwachen Regionen, stützen die Forderung nach einer Präzisierung des Landarztbegriffs. Nur auf Basis einer einheitlichen Definition erscheint es möglich, effiziente Lösungen regionsübergreifend entwickeln, diskutieren und zielgerichtet einsetzen zu können. Dieser Beitrag stellt einen Ansatz zur Differenzierung zwischen Land- und Stadtärzten vor, welcher die Definition „Landarzt“ regionsadaptiert ermöglicht.

Fragestellung: Gegenstand der Auseinandersetzung ist die Frage, wie sich im „top down“-Verfahren Landärzte generell von Stadtärzten unterscheiden lassen und anhand welcher Kriterien es ggf. möglich wäre, eine universelle Abgrenzung zu definieren.

Methode: Ausgangspunkt der Abgrenzungskonzeption zur Definition Landarzt bildet der Regionalschlüssel. Dieser dient u. a. zur eindeutigen Identifizierung von Gemeinden. Gemeinden sind die kleinsten Verwaltungseinheiten in Deutschland. Da es auf Gemeindeebene jedoch überproportional häufig zu Datenlücken und auf Grund ihrer geringen Größe oft zu Skaleneffekten bei der Entwicklungsmessung kommt, wird zu Analysezwecken auf die nächsthöher gelengende Einheitsgemeinde- bzw. Gemeindeverbandsebene abgestellt. Daran anknüpfend umfasst die entwickelte Abgrenzungskonzeption drei aufbauende Abgrenzungsschritte, die auf den Erkenntnissen des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) basieren.

1. Grundzentrum: Kern ist die Aufteilung der Einheitsgemeinden bzw. der Gemeindeverbände in eine der drei bestehenden, zentralörtlichen Grundstufen: Ober-, Mittel- oder Grundzentrum, welche aus den Merkmalsstrukturen der »typischen Ausstattung« und der »Mindesteinwohnerzahl« hervorgehen.

2. Ländliche Besiedelung: Kern ist die Kombination aus der »Bevölkerungsdichte« und dem »Siedlungsflächenanteil«. Generelle Analysen dieser Kriterien erfolgen auf Ebene geographischer Quadrate, die einer definierten Ausdehnung entsprechen (sog. Rasterzellen). Hierdurch entsteht eine Unterteilung der Besiedelung in die Typen städtisch geprägte und ländlich geprägte Umgebung.

3. Räumlich zentrale Lage: Kern ist die Möglichkeit der übergreifenden Inanspruchnahme ambulanter medizinischer Leistungen („Speckgürtel“). Durch die Anwendung des sog. »Erreichbarkeitsmodells« wird für jede Einheitsgemeinde bzw. jeden Gemeindeverband ein »Zentrenerreichbarkeitsindex« errechnet. Insgesamt ergeben sich daraus vier Lageabstufungen: sehr zentrale, zentrale, periphere und sehr periphere Lage.

Ergebnisse: Über die Operationalisierung in Form der Abgrenzungskonzeption ergibt sich folgende Landarztdefinition: Ist eine Einheitsgemeinde bzw. ein Gemeindeverband als Grundzentrum identifiziert und weist die als Grundzentrum geltende Einheitsgemeinde bzw. der Gemeindeverband eine ländliche Besiedelung auf und liegt darüber hinaus maximal eine räumlich zentrale Lage vor, so gilt die Einheitsgemeinde bzw. der Gemeindeverband nach den dargelegten Maßstäben als Landarztbereich. Ärzte, die in solchen Einheitsgemeinden bzw. Gemeindeverbänden tätig sind, werden entsprechend als Landärzte definiert.

Diskussion: Die Abgrenzungskonzeption zur Definition Landarzt ist der Versuch im „top down“-Verfahren die erkannte Definitionslücke zu schließen und ein einheitliches Landarztverständnis zu ermöglichen. Dies ist notwendig, um die mit den demografischen und räumlichen Veränderungen einhergehenden Forderungen nach Lösungen zur Sicherstellung regionaler Gesundheitsversorgung, bearbeiten zu können. Erst durch die Herstellung einer gemeinsamen Ausgangsbasis scheint es realsiebar, innovative und zielgerichtete Strategien zur ambulanten medizinischen Versorgungsstruktur entwickeln zu können. Auf Grund ihrer kleinräumigeren Betrachtung bietet die Konzeption zudem die Möglichkeit, die Vielzahl existierender Lösungsansätze (z. B. Telemedizin, Gesundheitszentren, Gemeindeschwestern, krankenhausseitige Tätigkeitsübernahme, Nachwuchsförderung etc.) zu überprüfen und gezielter dort einzusetzen, wo ein realer Bedarf besteht. Darüber hinaus können wichtige ineinandergreifende Themen wie die zunehmende Feminisierung des Arztberufes, die Herstellung einer ausgewogenen, familienfreundlichen Work-Life-Balance sowie die Schaffung dafür notwendiger infrastruktureller Gegebenheiten zur Attraktivitätssteigerung von Kommunen neu und aus einem (Landarzt-)Blickwinkel heraus diskutiert und beurteilt werden.

Praktische Implikationen: Die Abgrenzungskonzeption zur Definition Landarzt ist der Versuch, eine im Rahmen der Versorgungsforschung unter zeitlichen und finanziellen Gesichtspunkten realisierbare Vorgehensweise zur Differenzierung zwischen Land- und Stadtärzten anzubieten.

Contributed equally: J. Wasem, R. Heymann