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15. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

5. - 7. Oktober 2016, Berlin

Informelle Pflege und Veränderungen der Erwerbstätigkeit von Angehörigen demenziell erkrankter Menschen: der Bayerische Demenz Survey

Meeting Abstract

  • Franziska Nickel - Interdisziplinäres Zentrum für Health Technology Assessment (HTA) und Public Health (IZPH), Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, Erlangen, Deutschland
  • Sandra Schaller - Interdisziplinäres Zentrum für Health Technology Assessment (HTA) und Public Health (IZPH), Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, Erlangen, Deutschland
  • Velislava Marinova-Schmidt - Interdisziplinäres Zentrum für Health Technology Assessment (HTA) und Public Health (IZPH), Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, Erlangen, Deutschland
  • Janina Barth - Interdisziplinäres Zentrum für Health Technology Assessment (HTA) und Public Health (IZPH), Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, Erlangen, Deutschland
  • Manuela Hess - Interdisziplinäres Zentrum für Health Technology Assessment (HTA) und Public Health (IZPH), Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, Erlangen, Deutschland
  • Vanessa De La Rosa - Interdisziplinäres Zentrum für Health Technology Assessment (HTA) und Public Health (IZPH), Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, Erlangen, Deutschland
  • Franziska Pape - Interdisziplinäres Zentrum für Health Technology Assessment (HTA) und Public Health (IZPH), Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, Erlangen, Deutschland
  • Elmar Gräßel - Psychiatrische Universitätsklinik / Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, Zentrum für Medizinische Versorgungsforschung, Erlangen, Deutschland
  • Gabriele Hartl - Referat 42 - Demenzstrategie, Ehrenamt in der Pflege, Patientenangelegenheiten, Bayerisches Staatsministerium für Gesundheit und Pflege, München, Deutschland
  • Peter L. Kolominsky-Rabas - Interdisziplinäres Zentrum für Health Technology Assessment (HTA) und Public Health (IZPH), Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, Erlangen, Deutschland

15. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung. Berlin, 05.-07.10.2016. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2016. DocP086

doi: 10.3205/16dkvf188, urn:nbn:de:0183-16dkvf1883

Veröffentlicht: 28. September 2016

© 2016 Nickel et al.
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Gliederung

Text

Hintergrund: Bereits im Frühstadium einer Demenz können komplexe Aktivitäten des täglichen Lebens durch einige Betroffene nicht mehr autonom vollzogen werden. Die Einschränkungen verstärken sich in fortschreitenden Stadien. Im häuslichen Umfeld lebende Personen mit Demenz (PmD) benötigen daher zunehmend Unterstützung, die sie überwiegend von pflegenden Angehörigen erhalten. Insbesondere Erwerbstätige, die informelle Pflege leisten, tragen dabei eine Doppelbelastung.

Fragestellung: Ziel der vorliegenden Analyse ist es, die durchschnittliche informelle Pflegezeit von Angehörigen demenziell Erkrankter sowie deren Erwerbsausfallzeiten aufgrund der Pflegetätigkeit zu untersuchen.

Methode: Der Bayerische Demenz Survey (BayDem) ist eine multizentrische Längsschnittstudie, die an drei Standorten (Dachau, Erlangen, Kronach) in Bayern durchgeführt wird. Projektteilnehmer sind Menschen mit Demenz (nach ICD-10), sowie deren pflegende Angehörige. Die Verlaufsdaten werden in standardisierten Interviews in enger Zusammenarbeit mit lokalen Akteuren vor Ort erhoben.

Die Datenerhebung erfolgte anhand des standardisierten und validierten Erhebungsinstruments „Resource Utilization in Dementia“ (RUD) [1]. Der RUD-Fragebogen berücksichtigt Erwerbsausfallzeiten von Angehörigen, die aufgrund der informellen Pflege ihre Erwerbstätigkeit beenden. Zudem wird eine Reduzierung der gewöhnlichen wöchentlichen Arbeitszeit infolge der Pflegetätigkeit erfasst.

Der RUD bildet informelle Pflegezeiten im Bereich der Unterstützung bei der Verrichtung von Aktivitäten des täglichen Lebens (ADL) wie beispielsweise Körperpflege, Anziehen und Essen, ab. Des Weiteren wird der Zeitaufwand für instrumentelle Aktivitäten des täglichen Lebens (IADL) wie zum Beispiel Haushaltsführung, Medikamenteneinnahme und Erledigung von finanziellen Angelegenheiten aus Sicht der pflegenden Angehörigen erhoben. Die durchgeführten deskriptiven Analysen berücksichtigen Daten vom Zeitpunkt der Erstbefragung.

ERGEBNISSE: 45% (n=58) der Personen mit Demenz (PmD) erhalten Unterstützung von Ihren (Ehe-) Partnern/innen, die ein Durchschnittsalter von 72 Jahren (SD=8,7; Min=49 Jahre, Max=87 Jahre; 72% weiblich) aufweisen. Die zweitgrößte Gruppe der pflegenden Angehörigen stellen mit 41% (n=52) die Kinder der PmD dar, welche durchschnittlich 54 Jahre alt sind (SD=7,6; Min=37 Jahre, Max=72 Jahre; 62% weiblich).

Insgesamt geben 35% der Angehörigen (n=44) an, erwerbstätig zu sein. Davon sind 77% Kinder und 7% (Ehe-) Partner/innen der PmD. Die durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit der erwerbstätigen Angehörigen beträgt dabei etwa 30 Stunden pro Woche. Neun Angehörige (11%; M=54 Jahre; 89% weiblich) begründen die Aufgabe ihrer Erwerbstätigkeit mit der Pflege der PmD. Eine Arbeitszeitreduktion aufgrund der Pflegetätigkeit wurde von zwei Angehörigen angegeben. Die Reduzierung im Vergleich zur gewöhnlichen wöchentlichen Arbeitszeit beläuft sich in diesen Fällen auf eine Höhe von einer bzw. sechs Stunden. Die Pflegetätigkeit beeinträchtigt 14% der erwerbstätigen Angehörigen in dem Maße, dass sie im Laufe eines Monats an mindestens einem vollständigen Arbeitstag ihrer Erwerbstätigkeit nicht nachgehen konnten.

Der durchschnittliche informelle Pflegeaufwand für ADL beträgt unter Berücksichtigung aller Erwerbstätigen 1,1 Stunden pro Tag (h/d), wohingegen für die Unterstützung der Verrichtung von IADL im Durchschnitt 2,5 h/d benötigt werden. Nicht Erwerbstätige leisten im Bereich der ADL durchschnittlich 1,8 h/d informelle Pflege und unterstützen 3,3 h/d bei den IADL.

Diskussion: Es zeigt sich, dass etwa ein Drittel der pflegenden Angehörigen erwerbstätig ist und einer Doppelbelastung durch Beruf und Unterstützung der PmD unterliegt. Dies trifft aufgrund des zumeist fortgeschritten Alters der (Ehe-) Partner/innen überwiegend für die Kinder der PmD zu. Jeder 10. pflegende Angehörige gibt als Grund für die vollständige Aufgabe der Erwerbstätigkeit die Pflege der PmD an. Limitierend muss festgestellt werden, dass die Erwerbsausfallzeiten und der Zeitaufwand für informelle Pflege möglicherweise unterschätzt wurden, da eine PmD Unterstützung von mehreren pflegenden Angehörigen erhalten kann.

Praktische Implikationen: Die Ergebnisse verdeutlichen, dass informelle Pflege von demenziell Erkrankten mit einem hohen Zeitaufwand für die Angehörigen einhergeht. Erwerbstätige können seit Beginn des Jahres 2015 von Neuerungen des Pflegezeitgesetzes und des Familienpflegezeitgesetz profitieren. Lokale Akteure in der Demenzversorgung sollten daher verstärkt über Möglichkeiten zur Vereinbarkeit von Pflege und Beruf informieren.

Förderhinweis: Das Projekt BayDem wird durch das Bayerische Staatsministerium für Gesundheit und Pflege gefördert (StMGP).


Literatur

1.
Wimo A, Jonsson L, Zbrozek A. The Resource Utilization in Dementia (RUD) instrument is valid for assessing informal care time in community-living patients with dementia. J Nutr Health Aging. 2010 Oct;14(8):685-90.