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15. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

5. - 7. Oktober 2016, Berlin

Akzeptieren Patienten längere Reisewege zum Krankenhaus für bessere Behandlungsqualität? – Eine systematische Übersichtsarbeit

Meeting Abstract

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  • Stefanie Bühn - Institut für Forschung in der Operativen Medizin (IFOM) - Uni Witten/ Herdecke, Köln, Deutschland
  • Jakob Holstiege - Gesundheitswissenschaftliches Institut Nordost (GeWINO) der AOK Nordost - Die Gesundheitskasse, Berlin, Deutschland
  • Zemzem Cinar - Institut für Forschung in der Operativen Medizin (IFOM) - Uni Witten/ Herdecke, Köln, Deutschland
  • Dawid Pieper - Institut für Forschung in der Operativen Medizin (IFOM) - Uni Witten/ Herdecke, Köln, Deutschland

15. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung. Berlin, 05.-07.10.2016. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2016. DocP084

doi: 10.3205/16dkvf186, urn:nbn:de:0183-16dkvf1868

Veröffentlicht: 28. September 2016

© 2016 Bühn et al.
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Gliederung

Text

Hintergrund: Navigationsportale zur Krankenhaussuche, wie z.B. die weiße Liste, machen es Patienten möglich sich vor einem operativen Eingriff über bestimmte Qualitätsmerkmale eines Krankenhauses (KH) zu informieren. Neben den Angaben zur Qualität, liegen auch Informationen zur Entfernung des KH vor. Dies versetzt Patienten in die Lage ggf. weitere Wege in Kauf zu nehmen, um eine bessere Qualität zu erfahren. Auch aufgrund von Mindestmengen (MM) für KH in Deutschland müssen sich Patienten teilweise auf längere Wege einstellen. Beide Aspekte rücken die Patientenperspektive ins Spannungsfeld eines möglichst niedrigen Aufwands für die Anreise und dem Wunsch nach geringen Risiken bei elektiven Eingriffen.

Bisher liegen kaum Studien vor, die die Wechselbeziehung zwischen der Fahrzeit und dem Behandlungsergebnis untersuchen bzw. ob längere Fahrzeiten von Patienten in Kauf genommen werden, um Risiken zu minimieren.

Ziel ist es, einen Überblick über Studien zu gewinnen, die Patientenpräferenzen bezüglich der Entfernung eines KH und den mit der OP verbundenen Risiken (z.B. Mortalität) messen.

Fragestellung: Sind Patienten bereit für ein geringeres OP-Risiko längere Fahrzeiten in Kauf zu nehmen?

Methode: Es wurde eine systematische Literaturrecherche in den bibliografischen Datenbanken MEDLINE, EconLit, PsycInfo und EMBASE bis Januar 2016 durchgeführt. Eingeschlossen wurden Studien mit Personen, die real oder fiktiv vor einem operativen Eingriff stehen und die eine Präferenz, je nach Variation des operativen Risikos und/ oder der Entfernung zum KH, äußern sollten. Als Ergebnis wurde der Anteil an Personen erfasst, die ein zusätzliches Risiko in Kauf nehmen würden, um sich in einem näher gelegenen KH operieren zu lassen.

Nach einer unabhängigen Studienselektion durch zwei Personen wurden die eingeschlossenen Studien von einem Reviewer extrahiert und von einem zweiten qualitätsgesichert.

Die Ergebnisse wurden in qualitativer Form zusammengefasst.

Ergebnisse: Es wurden insgesamt zwei Studien aus den USA und eine aus Kanada eingeschlossen.

Eine Studie zum Pankreaskarzinom (Finlayson et al.), bei der die Distanz zum weiter entfernten KH 4 Stunden betrug, zeigte dass bei gleichem Mortalitätsrisiko (3%) alle Teilnehmer das näher gelegene KH wählten. Bei der Verdopplung des Risikos im nahen KH entschieden sich 45% noch für das nahe gelegene KH (6% vs. 3%). Nach Erhöhung des Risikos auf 18% im nahen KH (18% vs. 3%), wählten noch 18% das nahe KH. Höheres Alter und eine niedrige Bildung konnten als Faktoren identifiziert werden, die mit einer höheren Risikobereitschaft einhergingen.

In der zweiten, identifizierten Studie von Chang et al. wurden Präferenzen von Eltern erhoben, die ein KH für eine bevorstehende OP ihres Kindes wählen mussten. Die Distanz zum weiter entfernteren KH betrug 2 Stunden. Zunächst betrug das Mortalitätsrisiko in beiden KH 3% und 83% entschieden sich für das nahe gelegene KH. Bei einem Risiko von 18% im nahe gelegenen KH versus 3% im entfernteren KH, entschieden sich noch 10% für das nahe KH. Patienten, die näher am lokalen KH wohnten, entschieden sich in den Entscheidungsszenarien häufiger für die Durchführung der OP im lokalen KH.

In der dritten Studie (Landau et al.) sollten Patienten mit einem abdominalen Aorten-Aneurysma bei gleichem Mortalitätsrisiko (2%) zwischen einem nahen oder entfernten KH wählen. Distanzen wurden nicht angegeben. 56% entschieden sich für das nahe KH. Ein zusätzliches Risiko im wohnortnahe KH akzeptierten insgesamt nur 9% der Befragten. Als mit der Entscheidung assoziierte Faktoren wurden das Zusammenleben mit einer anderen, im Haushalt lebenden Person und ein vorheriger Aufenthalt im nahen KH identifiziert.

Diskussion: Die Ergebnisse zeigen ein heterogenes Bild bezüglich der Patientenpräferenzen und der mit der Entscheidung assoziierten Faktoren. Es gab in allen Studien Teilnehmer, die unabhängig vom Risiko in ihrem nahgelegenen Krankenhaus behandelt werden wollten. Dies lässt vermuten, dass weitere Faktoren, wie das Vertrauen in ein KH, eine wichtige Rolle für die Entscheidung spielen können.

Praktische Implikationen: Für den deutschen Versorgungskontext lassen sich aufgrund unterschiedlicher Gesundheitssysteme nur schwer Rückschlüsse ziehen. Der Einbezug von Patientenpräferenzen spielt aber, besonders in der Diskussion um MM, eine große Rolle. Studien, welche die Perspektive der Patienten im Kontext der MM-regelung in der deutschen medizinischen Versorgung untersuchen, haben das Potential die empirische Basis der wissenschaftlichen Diskussion (um MM) entscheidend zu verbreitern.