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15. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

5. - 7. Oktober 2016, Berlin

Welche Faktoren sind mit dem Hilfesuchverhalten von Menschen mit Major Depression assoziiert? Ein systematisches Review

Meeting Abstract

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  • Julia Luise Magaard - Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Institut und Poliklinik für Medizinische Psychologie, Hamburg, Deutschland
  • Tharanya Seeralan - Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Institut und Poliklinik für Medizinische Psychologie, Hamburg, Deutschland
  • Anna Levke Brütt - UKE, Institut und Poliklinik für Medizinische Psychologie, Hamburg, Deutschland

15. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung. Berlin, 05.-07.10.2016. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2016. DocP035

doi: 10.3205/16dkvf177, urn:nbn:de:0183-16dkvf1770

Veröffentlicht: 28. September 2016

© 2016 Magaard et al.
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Gliederung

Text

Hintergrund: Nur etwa jede dritte Person, die die Diagnosekriterien für eine Major Depression erfüllt, nimmt wegen psychischer Probleme Kontakt zum Versorgungssystem auf. Andersens „Behavioral Model of Health Services Use“ bietet eine theoretische Grundlage um Hilfesuchverhalten und damit zusammenhängende gesundheitsbezogene Outcomes zu erklären. Prädisponierenden Faktoren (predisposing), erleichternden Faktoren (enabling) und Bedarf (need) stellen in diesem Modell die wesentlichen individuellen und kontextuellen Prädiktoren des Gesundheitsverhaltens und damit der Nutzung des Versorgungssystems dar.

Fragestellung: Auf der Datengrundlage existierender Studien soll ein Überblick über empirisch gefundene individuelle und kontextuelle Prädiktoren des Inanspruchnahmeverhaltens von Menschen mit Major Depression gegeben werden.

Methode: Die Datenbanken Medline, EMBASE und Psycinfo wurden systematisch mit einer Kombination von Schlagworten zu den Begriffen „help-seeking“ und „depression“ durchsucht. Alle Titel und Abstracts der Treffer wurden gescreent. Möglicherweise relevante Publikationen wurden im Volltext von zwei unabhängigen Ratern gescreent. Die Publikationen wurden eingeschlossen, wenn sie den vorab formulierten Kriterien entsprachen (Population: Erwachsene mit formal diagnostizierte Major Depression, keine klinische Stichproben; Outcome: Aufsuchen professioneller Hilfe für seelische Probleme; Intervention: keine; Comparisons: Zusammenhänge zwischen mindestens einer Variable und Hilfesuchverhalten). Um weitere relevante Studien zu identifizieren, wurden zusätzlich die Literaturverzeichnisse thematisch relevanter Reviews und eingeschlossener Studien durchsucht. Anschließend wurden die eingeschlossenen Studien hinsichtlich ihrer Qualität bewertet und Daten wurden extrahiert und qualitativ zusammengefasst.

Ergebnisse: Die elektronische Suche ergab 3755 Treffer. Durch das Abstract- und Titelscreening wurden 213 potentiell relevante Publikationen identifiziert. Zusätzlich wurden weitere 32 potentiell relevante Publikationen durch das Screening von Referenzenlisten eingeschlossener Studien und verwandter Reviews ermittelt. Nach dem Volltextscreening wurden 39 Publikationen auf der Basis von 25 Studien (23 Querschnittserhebungen, 1 Längsschnittstudie, 1 Fallkontrollstudie) eingeschlossen. Die Stichprobengrößen variierten zwischen N=128 und N=18927 und wurden überwiegend im US-amerikanischen und kanadischen Raum erhoben. Es liegen sowohl nicht adjustierte als auch adjustierte Ergebnisse (z.B. Odds Ratio, Chi²) für soziodemographische oder zusätzlich für klinische Variablen vor.

Individuelle Charakteristika wie Alter, Geschlecht, Bildungsstand, Ethnie und Familienstand (prädisponierend), Einkommen (erleichternd) und Depressionsschwere, Länge und Anzahl der Episoden, Beeinträchtigung, Suizidgedanken und –versuche, psychische und physische Komorbiditäten (Bedarf) wurden häufig untersucht. Seltener wurde individuelle Charakteristika wie soziale Unterstützung, Kontrollüberzeugungen und Stigmatisierung (prädisponierend), Versicherungsstatus, Vorhandensein eines Arztes, Zugangsmöglichkeiten (erleichternd) und bestimmte psychische und körperliche Symptome sowie Arbeitsleistung (need) untersucht. Als kontextueller Faktor wurde lediglich die Region untersucht.

Diskussion: Für viele der Faktoren liegen gemischte Ergebnisse hinsichtlich eines möglichen Zusammenhang zum Hilfesuchverhalten von Menschen mit Depressionen vor. Die Ergebnisse weisen lediglich bei einigen Faktoren (z.B. Region, Geschlecht, Einkommen, Dysthymie) darauf hin, dass es keinen Zusammenhang zum Hilfesuchverhalten gibt.

Einschränkend sind regionale Unterschiede sowie die Heterogenität der in den Primärstudien verwendeten Analysen zu konstatieren. So wurden in den Primärstudien beispielsweise unterschiedliche Adjustierungen vorgenommen (keine Adjustierung vs. Adjustierung für soziodemographische und klinische Variablen) und unterschiedliche Abstufungen für identische Variablen gewählt (z.B. jung/alt vs. Alter als metrische Variable). Dies erschwert die Synthese der Ergebnisse. Außerdem sind keine Aussagen über kausale Beziehungen zwischen verschiedenen Faktoren und dem Hilfesuchverhalten von Menschen mit Depressionen möglich, da die identifizierten Studien überwiegend querschnittliche Designs aufwiesen.

Praktische Implikationen: Das Wissen um Faktoren, die mit dem Hilfesuchverhalten von Menschen mit Majoren Depressionen zusammenhängen, kann dazu beitragen, das Hilfesuchverhalten zu erklären und beispielsweise Unterstützungsangebote zu entwickeln. Das Review liefert einen Überblick über die Studienlage zu diesem Thema und die Ergebnisse des Reviews können hypothesengenerierend genutzt werden. Um Prädiktoren des Hilfesuchverhaltens zu identifizieren werden Längsschnittstudien benötigt.