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15. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

5. - 7. Oktober 2016, Berlin

Konzeptionierung und Implementierungsplanung eines gemeindeorientierten interprofessionellen Gesundheitszentrums auf der schwäbischen Alb: der Beitrag einer umfassenden Bedarfserhebung

Meeting Abstract

  • Heidrun Sturm - Universitätsklinik Tübingen, Institut für Allgemeinmedizin und Interprofessionelle Versorgung, Tübingen, Deutschland
  • Teresa Hermann - Universitätsklinikum Tübingen, Institut für Allgemeinmedizin und Interprofessionelle Versorgung, Tübingen, Deutschland
  • Daniel Rosenbaum - Universitätsklinik Tübingen, Institut für Allgemeinmedizin und Interprofessionelle Versorgung, Tübingen, Deutschland
  • Konrad Mauth - Universitätsklinik Tübingen, Institut für Allgemeinmedizin und Interprofessionelle Versorgung, Tübingen, Deutschland
  • Stefanie Joos - Universitätsklinik Tübingen, Institut für Allgemeinmedizin und Interprofessionelle Versorgung, Tübingen, Deutschland

15. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung. Berlin, 05.-07.10.2016. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2016. DocP013

doi: 10.3205/16dkvf163, urn:nbn:de:0183-16dkvf1639

Veröffentlicht: 28. September 2016

© 2016 Sturm et al.
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Gliederung

Text

Hintergrund: Der demographische Wandel erfordert eine koordinierte und interdisziplinäre Patientenversorgung, Nachwuchsärzte auf der anderen Seite fordern andere Rahmenbedingungen für ihr Arbeitsumfeld. Beides erfordert insbesondere in strukturschwachen Gebieten neue Ansätze der Versorgungsorganisation. In einer ländlichen Gemeinde auf der schwäbischen Alb soll beispielhaft ein bedarfsorientiertes, interprofessionelles hausarztzentriertes Gesundheitszentrum entstehen. Kristallisationspunkt sind zwei Hausarztpraxen, ein verfügbares Gebäude sowie die Unterstützung durch die Gemeinde (zertifiziert als „Gesunde Gemeinde“), die Gesundheitskonferenz, den Landkreis und einen Förderverein (bestehend aus u.a. lokaler Industrie und der Universitätsklinik Tübingen). Vorbild sind u.a. “Patient oriented centres for acute and longterm care” (PORT) in Canada. Die Robert Bosch Stiftung unterstützt die Anpassung und Implementierung dieses Ansatzes an das deutsche Umfeld für dieses Projekt im Rahmen der PORT Ausschreibung. Das Institut für Allgemeinmedizin und Interprofessionelle Versorgung der Universitätsklinik Tübingen (beg)leitet den Prozess.

Fragestellung: Es soll überprüft werden 1. Welchen Bedarf sehen verschiedene Gruppierungen vor Ort 2. Wie ergänzen sich die Ergebnisse aus unterschiedlichen Perspektiven und 3. Wie finden die Ergebnisse bei der Konzeptionierung Berücksichtigung?

Methode: Die Konzeptionierung erfolgt bedarfsbasiert und patientenorientiert. Der Bedarf wird aus verschiedenen Perspektiven erhoben: 1. aus Sicht der Leistungsempfänger (regionale Bevölkerung – Vollerhebung mittels Fragebogen, Patienten (n=2x20 Einzelinterviews mit Patienten der beiden lokalen Hausarztpraxen) 2. aus Sicht der Leistungserbringer (Ärzte, Pflegedienste, Therapeuten, Apotheken im Einzugsbereich des Gesundheitszentrums durch ca. 40 Einzelinterviews). Zusätzlich werden die strukturellen Rahmenbedingungen auf der Basis von vorhandenen Sekundärdaten analysiert (Gesundheitsberichterstattung, Abrechnungsdaten, etc).

Für die Erarbeitung einer umsetzbaren Vision werden Best Practice Modelle aus der Literatur, aus nationalen und internationalen Modellen zugrunde gelegt. Die Kernarbeitsgruppe (Universität, Gesundheitskonferenz, Hausärzte vor Ort) besichtigt interprofessionelle Versorgungsmodelle in Kanada und Deutschland vor Ort.

Die Konzeptionierung erfordert im ersten Schritt die Erarbeitung einer Zielvision und eines darauf ausgerichteten Kommittments. Eigene Ziele und Wünsche werden mit den Best-Practice Modellen abgeglichen und gemeinsam mit allen zentralen Akteuren werden eine Mission und Vision und ein gemeinsames Werteschema definiert.

Nach und nach wird dann die Vision in umsetzbare Schritte überführt, die jeweils mit dem erhobenen Bedarf und den möglichen organisatorischen, finanziellen und rechtlichen Rahmenbedingungen abgeglichen werden. Für jeden Schritt werden klar messbare Erfolgsparameter festgelegt. Für diesen Prozess werden je nach Erfordernis zusätzliche Experten und Entscheider eingebunden.

Ergebnisse: Zwischen April und Juli 2016 werden alle qualitativen und quantitativen Bedarfserhebungen durchgeführt. Gleichzeitig werden die Vision und die Ziele vor dem Hintergrund von innovativen Best-practice Modellen entwickelt. Damit kann sowohl das theoretisch anvisierte Ziel und der objektivierte und subjektive Bedarf dargestellt werden. Die Daten aus der Bedarfserhebung betreffen die Bereich Zufriedenheit/Lebensqualität und soziale Infrastruktur, Bürgerschaftliches Engagement/Nachbarschaftshilfen, eigene Gesundheit, medizinische Infrastruktur und (im Fall der Leistungserbringer) eigene berufliche Pläne. Außerdem wird der Beitrag der Bedarfserhebung bei der Konzeptionierung aufgezeigt.

Diskussion: Der Ansatz, eine detaillierte objektive und subjektive Bedarfserhebung zur Grundlage für die Planung eines Gesundheitszentrums zu machen wurde im Sachverständigenratsgutachten 2014 gefordert und geht weit über die gesetzliche Bedarfsplanung hinaus. Solch aufwändige Erhebungen unter Beteiligung unterschiedlichster Stakeholder (Gemeinde, Gesundheitskonferenz, Kassen, ärztliche Selbstverwaltung und Wissenschaft) werden bislang in Deutschland nur selten im Rahmen der Planung regionaler Projekte durchgeführt. Außer als Faktenlieferant, stärken sie auch die Identifikation der Bevölkerung mit ihrem Zentrum und bilden somit die unerlässliche Grundlage für eine echte patientenzentrierte Versorgungsplanung. Ein weiterer Aspekt stellt die Evaluation innovativer Projekte dar, die vor Beginn der Intervention geplant werden muss. Der Zeitpunkt der ersten Bedarfserhebung vor Anpassung der Versorgung ist hiervon der erste Schritt.

Praktische Implikationen: Die Erfahrungen der multiperspektivischen Erhebung werden zeigen, welche Informationen jeweils gewonnen werden können und ob die Beteiligung der unterschiedlichen Akteure, insbesondere der lokalen Bevölkerung und Patienten und die Bedarfsausrichtung letztendlich die Qualität, Effizienz und Nachhaltigkeit des Gesundheitszentrums verbessern kann.