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15. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

5. - 7. Oktober 2016, Berlin

Die Bedeutung von Umweltfaktoren in der medizinischen Rehabilitation zur Förderung von Teilhabe – Identifizierte Handlungsfelder

Meeting Abstract

  • Vera Elisabeth Kleineke - Medizinische Hochschule Hannover, Institut für Epidemiologie, Sozialmedizin und Gesundheitssystemforschung, Hannover, Deutschland
  • Anke Menzel-Begemann - FH Münster Fachbereich Gesundheit, Münster, Deutschland
  • Burkhard Wild - refonet - Rehabilitations-Forschungsnetzwerk der Deutschen Rentenversicherung Rheinland, Bad Neuenahr-Ahrweiler, Deutschland
  • Thorsten Meyer - Medizinische Hochschule Hannover, Institut für Epidemiologie, Sozialmedizin und Gesundheitssystemforschung, Hannover, Deutschland

15. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung. Berlin, 05.-07.10.2016. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2016. DocP010

doi: 10.3205/16dkvf160, urn:nbn:de:0183-16dkvf1603

Veröffentlicht: 28. September 2016

© 2016 Kleineke et al.
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Gliederung

Text

Hintergrund: Die Förderung von Teilhabe ist in Deutschland als ein zentrales Ziel der medizinischen Rehabilitation im Sozialgesetzbuch IX verankert. Einen konzeptuellen Rahmen, der die Teilhabe einer Person in Wechselwirkung mit weiteren Faktoren darstellt, bietet die Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF) der WHO [1], die im Kontext der medizinischen Rehabilitation zunehmend Anwendung findet [2], [3]. Dem ihr zugrundeliegenden Modell der Funktionsfähigkeit und Behinderung lässt sich entnehmen, dass Teilhabe unter anderem in Wechselwirkung mit Umweltfaktoren steht. Demnach lässt sich Teilhabeförderung auch über die Beeinflussung von Umweltfaktoren erreichen. Bislang wurde noch nicht systematisch erfasst, inwieweit Umweltfaktoren in der medizinischen Rehabilitation berücksichtigt werden.

Fragestellung: Welche Umweltfaktoren werden bislang in der medizinischen Rehabilitation berücksichtigt? Welche weiteren Umweltfaktoren können für das Ziel der Teilhabeförderung von Bedeutung sein?

Methode: Zunächst wurde eine Dokumentenanalyse durchgeführt. Für acht Indikationsgebiete (Kardiologie, Orthopädie, Rheumatologie, Neurologie, Pneumologie, Stoffwechselerkrankungen, Psychosomatik, Onkologie) wurden ICF-Core-Sets, medizinische Leitlinien, die vorläufige Version der International Classification of Health Interventions (ICHI-Draft), die Klassifikation Therapeutischer Leistungen (KTL) sowie der MBOR-Leitfaden der Deutschen Rentenversicherung Bund auf Textstellen mit Umweltfaktor-Bezug untersucht. Anschließend wurden diese Textstellen mittels eines Linkage-Verfahrens [4] den Umweltfaktor-Codes der ICF zugeordnet. Auf Basis dieser Zwischenergebnisse wurde ein Workshop mit Experten/Expertinnen der Reha-Wissenschaft, der Leistungsträger-Ebene und der Reha-Praxis durchgeführt, um weitere, bislang wenig/gar nicht berücksichtigte Umweltfaktoren zu identifizieren, die für die Förderung von Teilhabe durch die medizinische Rehabilitation als sinnvoll erscheinen. In acht anschließenden Workshops mit Mitarbeitern/Mitarbeiterinnen in Reha-Einrichtungen der genannten Indikationsgebiete wurde die Praxis-Perspektive ergänzt und Umsetzungsbedingungen diskutiert. Abschließend wurden – im Rahmen eines weiteren Workshops mit den Experten und Expertinnen – Handlungsfelder für die medizinische Rehabilitation formuliert.

Ergebnisse: Die Analyse der Dokumente zeigt, dass die Umweltfaktor-Codes der ICF unterschiedlich in den untersuchten Dokumenten vertreten sind. Der Fokus liegt auf speziell angefertigten Hilfsmitteln sowie dem Einbezug engster Angehöriger. Alltägliche Gebrauchsgegenstände, Produkte der neuen Medien wie bspw. Smartphones und Apps sowie die Einstellungen und Unterstützung des Freundes- und weiteren Bekanntenkreises werden in den untersuchten Dokumenten kaum bis gar nicht thematisiert. Diese Themen wurden aber sowohl von den Experten und Expertinnen als auch von den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen der Reha-Einrichtungen als bedeutsam für die Förderung von Teilhabe erachtet. Des Weiteren lässt sich feststellen, dass Umweltfaktoren in den Dokumenten meist nur oberflächlich erwähnt werden. Die genaue Ausgestaltung, d.h. wie die Umweltfaktoren im Klinik-Alltag erhoben und berücksichtigt werden können, bleibt offen.

Diskussion und praktische Implikationen: Die ICF mit ihrem Klassifikationssystem und dem Modell der Funktionsfähigkeit und Behinderung bietet eine konzeptuelle Grundlage, bereits berücksichtigte Umweltfaktoren in rehabilitationsrelevanten Dokumenten zu identifizieren sowie weitere umweltfaktorbezogene Handlungsfelder zu diskutieren. Zu bedenken ist, dass von den Dokumenten nicht unmittelbar auf das Praxisgeschehen geschlossen werden kann. Durch die Ergänzung der Experten-und Expertinnen-Sicht sowie der Praxisperspektive konnten allerdings einige Handlungsfelder identifiziert werden, die bislang weder in Theorie noch Praxis ausreichend Berücksichtigung erfahren und für die Förderung von Teilhabe von Bedeutung sein können. In einem weiteren Schritt werden Handlungsempfehlungen erarbeitet, um zukünftig das Spektrum der medizinischen Rehabilitation um weitere umweltfaktorbezogene Interventionen ergänzen zu können.


Literatur

1.
World Health Organization. Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit. ICF. Geneva: World Health Organization; 2005.
2.
Meyer T, Gutenbrunner C, Bickenbach J, Cieza A, Melvin J, Stucki G. Towards a conceptual description of rehabilitation as a health strategy. J Rehabil Med. 2011;43:765-769
3.
Wenzel T, Morfeld M. Die Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit. Eine Expertise im Auftrag der Deutschen Gesellschaft für Rehabilitationswissenschaften e.V. (DGRW e.V.). 2015. http://www.dgrw-online.de/files/icf_expertise_dgrw_homepage.pdf Zugegriffen: 17. März 2016. Externer Link
4.
Cieza A, Geyh S, Chatterji S, Kostanjsek N, Ustün B, Stucki G. ICF linking rules: an update based on lessons learned. J Rehabil Med. 2005;37(4):212-8.