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15. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

5. - 7. Oktober 2016, Berlin

Medizinische Versorgung von Herzinfarktpatienten nach Geschlecht, Alter und türkischem Migrationshintergrund

Meeting Abstract

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  • Thomas Schäfer - Westfälische Hochschule, Bocholt, Uhldingen-Mühlhofen, Deutschland
  • Christoph Lorenz - Boehringer, Biometrie, Ingelheim, Deutschland
  • Heinz-Werner Priess - AGENON, Berlin, Forschug, Berlin, Deutschland
  • Eva Maria Bitzer - Pädagogische Hochschule Freiburg, Public Health & HealthEducation, Freiburg, Deutschland

15. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung. Berlin, 05.-07.10.2016. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2016. DocP105

doi: 10.3205/16dkvf142, urn:nbn:de:0183-16dkvf1425

Veröffentlicht: 28. September 2016

© 2016 Schäfer et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Gliederung

Text

Hintergrund: Koronare Revaskularisation nach einem Myokardinfarkt und die Verordnung von Thrombozyten-Aggregationshemmer und Betablockern senkt die Mortalität und gehört daher zu einer leitlinengerechten Versorgung. Bislang ist allerdings wenig darüber bekannt, ob die Chancen auf optimale Versorgung in der Bevölkerung gleich verteilt sind. Wir sind dieser Frage auf der Basis von Abrechnungsdaten aus der gesetzlichen Krankenversicherung nachgegangen.

Daten: Ausgewertet wurden pseudonymisierte Abrechnungsdaten der AOK Niedersachsen und der Kaufmännischen Krankenkasse der Abrechnungsjahre 2004 bis 2010. Die Herzinfarkt-Kohorte bestand aus Versicherten mit Myokardinfarkt im Jahr 2006 (I21 oder I22 im ICD 10, ambulant oder stationär dokumentiert), aber ohne ein solches Ereignis in letzten beiden Jahren vor dem Infarkt. Zur Nachbeobachtung standen die Jahre 2007 bis 2010 zur Verfügung.

Methoden: Zur Identifikation von Versicherten mit türkischem Migrationshintergrund (türkMigH) wurde in der jeweiligen Hauptverwaltung der beteiligten Krankenkassen die Onomastik-Methode (Zuordnung des Migrationshinter-grundes auf Basis der Namensforschung) eingesetzt. Neben einer deskriptiven Trendanalyse haben wir multivariat standardisierte Odds-Ratios (logistische Regression) berechnet.

Ergebnisse: Die Kohorte umfasste 8.854 Versicherte, darunter 4.136 Frauen (46,7%), 1.948 Hochbetagte (Alter >= 80 Jahre; 22,0%), 187 Versicherte mit türkMigH skularisation 2,1%) und 177 Ausländer ohne türkMigH (2,0%).

Bei 41,1% der Kohorte ist im ersten Jahr nach dem Infarkt im Jahr 2006 mindestens eine koronare Revaskularisation dokumentiert worden (Ballondilatation-PTCA, unbeschichteter Stent – BMS, beschichteter Stent – DES oder koronare Bypass-Operation – CABG). Die Chancen dafür unterscheiden sich zwischen den betrachteten Gruppen jedoch erheblich. So ergab die logistische Regression unter Berücksichtigung der Variable, Alter, Geschlecht, türkMigH und des dichotomen Merkmals „hochbetagt“ folgende Odds-Ratios (ORs); OR(weiblich zu männlich) = 0,54 (95%-KI: 0,49-0,59); OR(türkMigH zu deutsch ohne türkMigH) = 0,58 (95%-KI: 0,42-0,79); OR(Alter >= 80 Jahre zu Alter < 80 Jahre) = 0,36 (95%-KI: 0,30-0,42).

Der Mix der revaskularisierenden Maßnahmen hat sich zwischen 2004 und 2010 stark verändert: Dominierte im Jahr 2004 die CABG das Geschehen mit 32,8% der revaskulierenden Eingriffe, so beträgt ihr Anteil in 2010 nur noch 25,8%. Im Jahr 2004 erfolgte zudem die Hälfte der koronaren Revaskularisationen nach Herzinfarkt mit unbeschichteten und nur 5,8% mit beschichteten Stents. Im Jahr 2010 wurden BMS und DES zu jeweils etwa einem Drittel eingesetzt.

Bei ca. einem Drittel der Kohortenversicherten (33,5%) ist im ersten Jahr nach dem Infarkt mindestens eine Verordnung eines Thrombozyten-Aggragationshemmrers (ATC B01AC) dokumentiert. Auch erhielten 35,1% in den ersten drei Jahren nach dem Infarkt mindestens einmal einen Betablocker (ATC c07) verordnet, Die betrachteten vulnerablen Gruppen jedoch erhalten deutlich seltener im ersten Jahr nach einem Herzinfarkt Thrombozyten-Aggregationshemmer und in den ersten drei Jahren Betablocker verordnet. Die entsprechenden (standardisierten) Odds Ratios sind in Tabelle 1 [Tab. 1] zusammengestellt.

Diskussion: Es zeigt sich altersadjustiert für die von uns betrachteten vulnerablen Gruppen eine erhebliche Unterversorgung mit revaskularisierenden Maßnahmen und leitlininiengerechter Medikation nach einem Myokardinfarkt im Jahr 2006.

Praktische Implikationen: Die beobachtete Unterversorgung ist möglicherweise mehrheitlich auf Patientenmerkmale zurückzuführen , die in den von uns ausgewerteten Daten nicht dokumentiert sind. Darüber hinaus ist aber festzuhalten, dass alle Patienten im Falle eines Myokardinfarkts leitliniengerecht versorgt werden sollten, ungeachtet des Geschlechts, des Alters und des Migrationsstatus.


Literatur

1.
Schäfer T, Lorenz C, Priess HW, Bitzer E. Morbidität, Inanspruchnahme, Qualität und gesundheitsbezogene Ergebnisse bei koronarer Herzkrankheit (KHK) – Analysen auf der Basis von Abrechnungsdaten der gesetzlichen Krankenversicherung unter besonderer Berücksichtigung vulnerabler Gruppen. Schlussbericht, vorgelegt von der Pädagogischen Hochschule Freiburg. 2015.