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15. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

5. - 7. Oktober 2016, Berlin

Dynamik der OAD-Wahl bei Patienten mit Typ 2 Diabetes zwischen 2000 und 2015: Eine multizentrische DPV-Analyse von 299.307 Patienten, einschließlich 54.311 geriatrischen Patienten

Meeting Abstract

  • Barbara Bohn - Universität Ulm, Institut für Epidemiologie und Medizinische Biometrie, ZIBMT, Ulm & Deutsches Zentrum für Diabetesforschung (DZD), München-Neuherberg, Deutschland
  • Jochen Seufert - Universitätsklinikum Freiburg, Klinik für Innere Medizin II, Abteilung für Endokrinologie und Diabetologie, Freiburg, Deutschland
  • Sebastian M. Schmid - Universitätsklinikum Schleswig-Holstein – Campus Lübeck, Medizinische Klinik I, Endokrinologie und Diabetologie, Lübeck, Deutschland
  • Wolfgang Kerner - Klinik für Diabetes und Stoffwechselerkrankungen, Karlsburg, Deutschland
  • Dominik Bergis - Universitätsklinikum Frankfurt, Medizinische Klinik 1, Schwerpunkt Gastroenterologie, Hepatologie, Endokrinologie, Diabetologie, Frankfurt am Main, Deutschland
  • Martin Janert - Diabeteszentrum Bad Lauterberg, Bad Lauterberg, Deutschland
  • Eva Haak - Diabetologische Schwerpunktpraxis Bad Mergentheim, Bad Mergentheim, Deutschland
  • Diethelm Tschöpe - Herz- und Diabeteszentrum Nordrhein-Westfalen, Universitätsklinik der Ruhr-Universität Bochum, Bad Oeynhausen, Deutschland
  • Eva-Maria Fach - Diabetes Schwerpunktpraxis Rosenheim, Rosenheim, Deutschland
  • Andrea Icks - & Heinrich-Heine-Universität, Medizinische Fakultät, Institut für Versorgungsforschung und Gesundheitsökonomie, Düsseldorf & Deutsches Zentrum für Diabetesforschung (DZD), Deutsches Diabetes-Zentrum, Leibniz-Zentrum für Diabetes-Forschung an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, Paul Langerhans Gruppe für Versorgungsforschung und Gesundheitsökonomie, München-Neuherberg, Deutschland
  • Reinhard W. Holl - Universität Ulm, Institut für Epidemiologie und Medizinische Biometrie, ZIBMT, Ulm & Deutsches Zentrum für Diabetesforschung (DZD), München-Neuherberg, Deutschland

15. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung. Berlin, 05.-07.10.2016. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2016. DocP097

doi: 10.3205/16dkvf134, urn:nbn:de:0183-16dkvf1349

Veröffentlicht: 28. September 2016

© 2016 Bohn et al.
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Gliederung

Text

Hintergrund: In den letzten 20 Jahren konnte bei Patienten mit Typ 2 Diabetes (T2D) neben einem Anstieg der Insulintherapie auch ein Anstieg in der Verschreibung von oralen Antidiabetika (OAD) verzeichnet werden. Bedingt durch medizinische Innovationen, Kontraindikationen und Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten, gibt es in der Versorgungsroutine einen ständigen Wandel an verfügbaren OADs. Hinzu kommen regulatorische Veränderungen, die die Verschreibungshäufigkeit beeinflussen können. Menschen mit T2D werden immer älter und diabetesassoziierte Komorbiditäten sowie Kontraindikationen immer häufiger.

Fragestellung: Welche Veränderungen gab es in der Verwendung von OADs bei Menschen mit T2D zwischen 2000 und 2015? Zeigen sich altersabhängige Trendunterschiede?

Methode: Daten basieren auf dem deutschen DPV-Register (Diabetes-Patienten-Verlaufsdokumentation), welches halbjährlich anonymisierte Daten aus beteiligten Diabeteszentren in eine kumulative Datenbank aggregiert. Aktuell sind longitudinale Daten von 453.004 Patienten mit Diabetes aus 444 Zentren verfügbar. In diese Analyse wurden 299.307 Patienten (≥18 Jahre) mit T2D eingeschlossen, die zwischen 2000 und 2015 behandelt und in DPV integriert wurden. Die Patienten wurden drei Altersgruppen zugeordnet (18-<60J; 60-<80J; ≥80J). Aufgrund des longitudinalen Charakters der Datenbank wurden die meisten Patienten mehreren Kalenderjahren zugeordnet. Bei den OAD-behandelten Patienten (n=136.013) wurden für alle Patienten und getrennt nach Altersgruppen die Einnahmehäufigkeit folgender OADs in den einzelnen Kalenderjahren bestimmt: Metformin, Sulfonylharnstoffe, Glinide, Glitazone, α-Glucosidase-Hemmer, DPP4-Inhibitoren, GLP-1-Analoga und SGLT-2-Inhibitoren. P für linearen Trend über die Jahre wurde berechnet (Statistik: SAS 9.4.).

Ergebnisse: Im aktuellsten Behandlungsjahr hatten 24,6% der Patienten keine pharmakologische Therapie, 30,0% wurden ausschließlich mit Insulin behandelt und 45,5% nahmen OADs (±Insulin). Bei den OAD-Behandelten ist die Einnahme von Metformin von 63,6% in 2000 auf 72,2% in 2015 angestiegen (p=0,0053). Ein Anstieg wurde in allen Altersgruppen beobachtet (alle p<0,05). In der jüngsten Altersgruppe wurde Metformin am häufigsten verwendet (Bsp. 2015: 83,4% (<60J), 71,9% (60-<80J), 51,9% (≥80J)). Von 2000 bis 2015 sind Sulfonylharnstoffe von 58,6% auf 13,3% gesunken (p<0,001). Dieser Trend war in allen Altersgruppen erkennbar (alle p<0,001). Sulfonylharnstoffe wurden anfänglich in der Altersgruppe ≥80J präferiert (2000: 46,9% (<60J), 63,9% (60-<80J), 79,5% (≥80J). Inzwischen hat sich der Einsatz angenähert (2015: 8,1% (<60J), 14,1% (60-<80J), 19,9% (≥80J)). Glinide sind von 6,4% in 2000 auf zunächst 12,0% in 2006 angestiegen und bis 2015 wieder auf 6,9% gesunken (p<0,001). Dieser Trend war in allen Altersgruppen ähnlich (alle p<0,001). Glitazone sind von <1% in 2000 auf 9,3% in 2008 angestiegen und bis 2015 wieder auf 1% gesunken (p<0,001). Dieser Verlauf war in allen Altersgruppen zu beobachten (alle p<0,001). α-Glucosidase-Hemmer sind von 8,2% auf <1% gesunken (p<0,001). Dieser Abfall wurde in jeder Altersgruppe beobachtet (alle p<0,001). DPP4-Inhibitoren (Markteinführung 2007) sind auf 41,6% gestiegen (p<0,001). Auch getrennt nach Altersgruppen wurde der Anstieg jeweils aufgezeigt (alle p<0,001). Bis 2011 wurden DPP4-Inhibitoren am häufigsten in der jüngsten Altersgruppe verordnet (2011: 23,9% (<60J), 18,4% (60-<80J), 11,9% (≥80J.)), inzwischen zeigt sich eine Präferenz in der ältesten Altersgruppe (2015: 34,8% (<60J), 42,5% (60-<80J), 50,9% (>80J)). Die seit 2007 verfügbaren GLP-1-Analoga sind bis 2015 auf 7,4% angestiegen (p<0,001). Getrennt nach Altersgruppen ergibt sich für das Jahr 2015 eine leichte Präferenz bei den Patienten <60J (2015: 13,8% (<60J), 5,9% (60-<80J), 10,7% (≥80J)). Die seit Ende 2012 erhältlichen SGLT-2-Inhibitoren sind bis 2015 auf 7,7% gestiegen (p<0,001) und werden aktuell in der jüngsten Altersgruppe am häufigsten verwendet (2015: 12,9% (<60J), 6,8% (60-<80J), 1,4% (≥80J)).

Diskussion: Diese Daten spiegeln Veränderungen in der OAD-Auswahl bei Patienten aus spezialisierten Behandlungszentren wider. Entsprechend der Leitlinienempfehlung ist Metformin nach wie vor das am häufigsten eingesetzte OAD in der medikamentösen Therapie des T2D. Veränderungen in der Auswahl einzelner OADs sind in den Altersgruppen vergleichbar. Allerdings gibt es Abweichungen in der absoluten Einnahmehäufigkeit. Dies ist neben der praktischen Handhabung (bspw. Injektion von GLP-1-Analoga) auf Kontraindikationen wie z. B. Nieren- oder Herzinsuffizienz zurückzuführen, die vermehrt bei den über 80-Jährigen auftreten. Wie sich die Verwendung der neueren OADs, wie SGLT-2-Inhibitoren, weiterentwickeln wird, bleibt abzuwarten.

Praktische Implikationen: Die DPV Registerdaten liefern wichtige Erkenntnisse über die Dynamik in der OAD-Wahl bei Patienten mit T2D in verschiedenen Altersgruppen, inklusive sehr alten Menschen.