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15. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

5. - 7. Oktober 2016, Berlin

Die Schmerzerfassung bei Menschen mit schweren kognitiven Einschränkungen – Ergebnisse einer Querschnittsstudie zur Nutzung von Assessmentinstrumenten in der stationären Altenhilfe (DemenzMonitor)

Meeting Abstract

  • Rebecca Palm - Deutsches Zentrum für neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) e.V., AG Versorgungsstrukturen, Witten, Deutschland
  • Erika Sirsch - Philosophisch-Theologische Hochschule Vallendar, Pflegewissenschaftliche Fakultät, Vallendar, Deutschland
  • Sabine Bartholomeyczik - Universität Witten/Herdecke, Institut für Pflegewissenschaft, Witten, Deutschland
  • Bernhard Holle - Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen e.V. (DZNE), Institut für Gesundheits- und Pflegewissenschaft, Witten, Deutschland

15. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung. Berlin, 05.-07.10.2016. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2016. DocP026

doi: 10.3205/16dkvf127, urn:nbn:de:0183-16dkvf1275

Veröffentlicht: 28. September 2016

© 2016 Palm et al.
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Gliederung

Text

Hintergrund: Eine große Zahl an Menschen mit Demenz leidet an chronischen Schmerzen, die auch als Auslöser für herausforderndes Verhalten diskutiert werden. Für die Durchführung einer systematischen Schmerzeinschätzung wird bei Menschen mit fortgeschrittenen kognitiven Beeinträchtigungen empfohlen, ein Fremdeinschätzungsinstrument (FES) zu nutzen; für Menschen ohne oder mit geringen kognitiven Einschränkungen gilt die Selbsteinschätzung (SES) als Goldstandard. Bislang ist unbekannt, ob bei Bewohnern mit schweren kognitiven Einschränkungen die systematische Schmerzeinschätzung, wie empfohlen, anhand von FES erfolgt. Es wird angenommen, dass Unterschiede in der Vorgehensweise bei der Schmerzeinschätzung kognitiv schwer eingeschränkter Bewohner zwischen Demenzwohnbereichen und integrativen Wohnbereichen bestehen.

Fragestellung: Welche Unterschiede bestehen bei der Vorgehensweise zur Schmerzeinschätzung von Bewohnern mit schweren kognitiven Einschränkungen zwischen Demenzwohnbereichen und integrativen Wohnbereichen in Bezug auf eine FES oder SES zur Erfassung von Schmerzen? Welche Instrumente werden zur Schmerzeinschätzung bei den teilnehmenden Bewohnern der Demenzwohnbereiche genutzt?

Methode: Die Untersuchung basiert auf einer deskriptiven Querschnittsstudie (Gelegenheitsstichprobe). Die Einrichtungen nahmen mit einer unterschiedlichen Anzahl an Wohnbereichen und Bewohnern teil, wobei nur Wohnbereiche mit mindestens zehn Bewohnern genutzt wurden. Die Wohnbereiche wurden nach Angaben der Bereichsleitungen in Demenzwohnbereiche und integrierte Wohnbereiche aufgeteilt. Die Bezugspflegekräfte gaben für jeden Bewohner an, mit welchem Instrument die letzte Schmerzeinschätzung durchgeführt wurde. Anhand dieser Angabe wurde durch die Untersucher festgelegt, ob ein Bewohner mit einem FES oder mit einem SES eingeschätzt wurde. Zusätzlich wurden soziodemografische und gesundheitsbezogene Daten der Bewohner erfasst sowie der kognitive Status eingeschätzt. Für die Analyse wurden die Bewohnerdaten auf Wohnbereichsebene aggregiert, wobei der Anteil von Bewohnern mit schweren kognitiven Einschränkungen, die mit einem FES- bzw. SES eingeschätzt wurde, errechnet wurde. Unterschiede zwischen den Wohnbereichen wurden mittels deskriptiver Statistik und einem unabhängigen t-test untersucht. Um den Einfluss von Clustereffekten auszuschließen, wurde ein gemischtes binäres Regressionsmodell errechnet. Die Nutzung einzelner Instrumente wurde für jeden Wohnbereich prozentual errechnet.

Ergebnisse: Die Analysestichprobe beinhaltete n=1397 teilnehmende Bewohner in n=75 Wohnbereichen (n=30 Demenzwohnbereiche, n=45 integrative Wohnbereiche). In Demenzwohnbereichen wurden im Mittel 82% der kognitiv schwer eingeschränkten Bewohner mit einem FES erfasst; in den traditionell integrativen Wohnbereichen 42%.In Demenzwohnbereichen lag der mittlere Anteil mittlere Anteil der kognitiv schwer eingeschränkten Bewohner, die mit einem SES erfasst wurden bei unter 10%; in integrativen Wohnbereichen lag dieser bei 51%. Alle Unterschiede waren statistisch signifikant. Im gemischten Regressionsmodell bestätigte sich dieses Ergebnis. Das Ergebnis zur Nutzung einzelner Instrumente zeigt, dass die Mehrzahl der Demenzwohnbereiche ein einzelnes Instrument zur Schmerzeinschätzung für alle Bewohner nutzt; 18 von 30 Demenzwohnbereiche nutzten jeweils ein FES.

Diskussion: Die Ergebnisse können aufgrund methodischer Limitationen und mangelnder weiterer empirischer Ergebnisse nicht generalisiert werden. Sie bestätigen jedoch die Annahme einer vorangegangen Untersuchung, dass bei Pflegenden eine große Unsicherheit über die Auswahl eines geeigneten Instruments zur Schmerzeinschätzung bei kognitiv schwer eingeschränkten Menschen besteht (Sirsch et al. 2015). Dies scheint insbesondere auf Pflegende von integrativen Wohnbereichen zuzutreffen. Die Ergebnisse dieser Untersuchung zeigen des Weiteren einen sehr pragmatischen Umgang der Demenzwohnbereiche: aufgrund der hohen Prävalenz von Bewohnern mit kognitiven Einschränkungen wird nur ein Instrument für alle Bewohner auf dem Wohnbereich vorgehalten; eine individuelle Auswahl ist somit nicht möglich. Dieses scheint jedoch in den meisten Fällen geeignet zu sein für die Einschätzung von Schmerzen bei Menschen mit schweren kognitiven Einschränkungen.

Praktische Implikationen: Die Qualität der Schmerzeinschätzung bei Bewohnern stationärer Altenhilfeeinrichtungen ist vermutlich nicht zufrieden stellend. Die Forschungsergebnisse legen nahe, dass insbesondere in integrativen Wohnbereichen Schulungsbedarf zur Auswahl eines geeigneten Instrumentes zur Schmerzeinschätzung bei kognitiv schwer eingeschränkten Bewohnern besteht.