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15. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

5. - 7. Oktober 2016, Berlin

Kosten-Effektivitäts-Analyse der Tertiären Individual-Prävention (TIP) bei berufsbedingten Hauterkrankungen

Meeting Abstract

  • Magdalene Krensel - Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Institut für Versorgungsforschung in der Dermatologie und bei Pflegeberufen, Hamburg, Deutschland
  • Matthias Augustin - Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Institut für Versorgungsforschung in der Dermatologie und bei Pflegeberufen, Hamburg, Deutschland
  • Richard Brans - Universität Osnabrück, Institut für interdisziplinäre Dermatologische Prävention und Rehabilitation, Osnabrück, Deutschland
  • Christoph Skudlik - Universität Osnabrück, Institut für interdisziplinäre Dermatologische Prävention und Rehabilitation, Osnabrück, Deutschland
  • Elke Weisshaar - Universitätsklinikum Heidelberg, Abteilung für Klinische Sozialmedizin, Heidelberg, Deutschland
  • Thomas Diepgen - Universitätsklinikum Heidelberg, Abteilung für Klinische Sozialmedizin, Heidelberg, Deutschland
  • Swen John - Universität Osnabrück, Institut für interdisziplinäre Dermatologische Prävention und Rehabilitation, Osnabrück, Deutschland

15. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung. Berlin, 05.-07.10.2016. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2016. DocP020

doi: 10.3205/16dkvf121, urn:nbn:de:0183-16dkvf1217

Veröffentlicht: 28. September 2016

© 2016 Krensel et al.
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Gliederung

Text

Hintergrund: Berufsbedingte Erkrankungen sind von großer sozialer und ökonomischer Bedeutung, da sie in einem kausalen Zusammenhang mit der Ausübung des Berufs stehen und für die Betroffenen mit dem Risiko eines Arbeitsplatzverlustes einhergehen. In Deutschland wurde ein Programm zur Tertiären Individual-Prävention (TIP) für schwere Hauterkrankungen, die im Verdacht stehen durch die Ausübung des Berufs hervorgerufen zu werden, eingeführt. Dieses beinhaltet die Teilnahme der Betroffenen an einer dreiwöchigen stationären Rehabilitationsmaßnahme mit nachfolgender dreiwöchiger Arbeitskarenz. Dadurch sollen langfristig die Schwere der Erkrankung und ihr negativer Einfluss auf die Lebensqualität gemindert sowie Ausfallzeiten bei der Arbeit und das Risiko eines Arbeitsplatzverlustes reduziert werden.

Fragestellung: Das Ziel dieser Analyse besteht in der Ermittlung der Kosten-Effektivität der TIP im prä-post-Vergleich.

Methode: Die Kosten-Effektivitäts-Analyse (CEA) ist Teil der multizentrischen Studie ROQ (Medizinisch-berufliches Rehabilitationsverfahren „Haut“ – Optimierung und Qualitätssicherung des Heilverfahrens). Grundlage für die Auswertung sind Daten von 1.379 TIP-Teilnehmern. Der Beobachtungszeitraum bezieht sich auf ein Jahr vor bis drei Jahre nach der Intervention.

Die CEA wurde aus gesellschaftlicher Perspektive durchgeführt. Einbezogen wurden direkte Kosten für diagnostische Maßnahmen, topische und systemische Arzneimittel sowie andere Therapiemaßnahmen, indirekte Kosten auf Grund der Abwesenheit am Arbeitsplatz, patientenseitige Ausgaben, Krankheitsschwere, Lebensqualität und Kosten der Intervention.

Alle Kostenkalkulationen basieren auf individuellen Angaben zu Ressourcenverbräuchen. Arzneimittelkosten wurden nach dem Arzneimittelverordnungsreport (AVR), dem anatomisch-therapeutisch-chemischen Klassifikationssystem (ATC) und den angenommenen mittleren Tagesdosen (DDD) bestimmt. Kosten für diagnostische und andere therapeutische Maßnahmen wurden der Gebührenordnung für Ärzte der gesetzlichen Unfallversicherung (UV-GOÄ) entnommen. Indirekte Kosten wurden auf Basis des durchschnittlichen Monatseinkommens nach dem Humankapitalansatz bestimmt. Bei der Bewertung der Interventionskosten wurden ebenfalls direkte und indirekte Kosten einbezogen.

Ergebnisse: Die Intervention und die damit verbundenen Arbeitsausfälle verursachten direkte und indirekte Kosten in Höhe von 6.023 € und 9.102 € pro Person.

Die durchschnittlichen direkten medizinischen Kosten pro Person (n=1.370) sanken von 383 € auf 195 € (p<0.001). Die Anzahl der Krankheitstage pro Person und Jahr (n=979) sank von 58 auf 17. Die indirekten Kosten fielen somit von 8.272 € auf 2.805 €. Die jährlichen patientenseitigen Ausgaben für die Behandlung des berufsbedingten Ekzems sanken von 122 € auf 83 €. Die jährlichen Gesamtkosten pro Person gingen drei Jahre nach der Intervention von 6.367 € auf 2.277 € zurück. Bei einer Extrapolation dieser Ergebnisse wurden im Vergleich zum Jahr vor der Intervention in den ersten drei Jahren nach der TIP 9.515 € (49,8%) eingespart.

Nach Abzug der durchschnittlichen Einsparungen betragen die Interventionskosten 5.610 € pro Person. Diesen Kosten steht eine Verbesserung der Krankheitsschwere (OHSI) von einem mittleren (6,38) zu einem leichten (2,81) Schweregrad und eine Senkung der Beeinträchtigung der Lebensqualität (DLQI) von moderat (10,14) zu gering (4,91) gegenüber (p<0.001). Zusätzlich sollte der Effekt, dass die Mehrheit der Teilnehmer nach der TIP ihrer Beschäftigung weiter nachgehen können und keiner Umschulung bedürfen, berücksichtigt werden. Die Kostenersparnis für die Sozialversicherung durch vermiedene Umschulungsmaßnahmen wird zurzeit separat modelliert.

Diskussion: Die vorgestellten Ergebnisse unterliegen einigen Limitationen, die daraus resultieren, dass die Daten nicht primär für eine gesundheitsökonomische Evaluation erhoben worden sind. Zum einen muss die Auswertung auf die erhobenen Variablen beschränkt bleiben. Weitere kostenrelevante Daten, beispielsweise die Inanspruchnahme weiterer, nicht erfragter ambulanter Behandlungen oder stationärer Therapien konnten nicht berücksichtigt werden. Weiterhin mussten auf Grund mangelnder Angaben zu der Dosierung verbrauchter Arzneimittel oder der Häufigkeit in Anspruch genommener diagnostischer und therapeutischer Maßnahmen geläufige Mengen der jeweiligen Leistungen und Ressourcen angenommen werden. Der Ansatz eines prä-post-Vergleichs wurde auf Grund einer fehlenden Kontrollgruppe gewählt.

Trotz dieser Limitationen zeigt die Analyse, dass die TIP-Maßnahme eine deutliche Reduktion der Behandlungskosten und der Arbeitsunfähigkeitstage bewirkt, begleitet von einer signifikanten Verbesserung der Lebensqualität.