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15. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

5. - 7. Oktober 2016, Berlin

Kommunikation in den onkologischen Schwerpunktpraxen für Patienten mit Migrationshintergrund: Ergebnisse der WINHO-Patientenbefragung 2015

Meeting Abstract

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  • Uirassu Borges - Wissenschaftliches Institut der Niedergelassenen Hämatologen und Onkologen GmbH - WINHO GmbH, Köln, Deutschland
  • Martin Mödder - Wissenschaftliches Institut der Niedergelassenen Hämatologen und Onkologen GmbH - WINHO GmbH, Köln, Deutschland
  • Christoph Riese - Wissenschaftliches Institut der Niedergelassenen Hämatologen und Onkologen GmbH - WINHO GmbH, Köln, Deutschland
  • Walter Baumann - Wissenschaftliches Institut der Niedergelassenen Hämatologen und Onkologen GmbH - WINHO GmbH, Köln, Deutschland

15. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung. Berlin, 05.-07.10.2016. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2016. DocFV11

doi: 10.3205/16dkvf115, urn:nbn:de:0183-16dkvf1153

Veröffentlicht: 28. September 2016

© 2016 Borges et al.
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Gliederung

Text

Hintergrund: Jeder Fünfte in Deutschland weist Migrationshintergrund auf. Die Zahl der vormals jungen und gesunden Einwanderer, die nun das Rentenalter erreichen, wird immer größer. Damit erhöhen sich die Herausforderungen für das deutsche Gesundheitswesen, da die Alterung mit einem häufigeren Eintreten von chronischen Erkrankungen wie Krebs einhergeht. Die Folgen von Sprachbarrieren und kulturell bedingten Unterschieden für das Behandlungsverständnis von Krebspatienten mit Migrationshintergrund sind hierbei von Interesse.

Fragestellung: Wie bewerten Patienten mit eigener Migrationserfahrung die Kommunikation von behandlungsrelevanten Informationen im Rahmen der ambulanten onkologischen Versorgung? Unterscheiden sich die Erwartungen, mit welchen die Patienten zu ihren Onkologen kommen, zwischen denen mit und denjenigen ohne Migrationserfahrung?

Methode: Die WINHO-Befragung findet jährlich statt; dabei werden Patienten aus ganz Deutschland befragt, die eine onkologische Schwerpunktpraxis aus dem WINHO-Netzwerk aufsuchen. Diese Querschnittserhebung dient sowohl dem Benchmarking für die teilnehmenden Ärzte als auch der Bestandaufnahme der Versorgungssituation in Deutschland bzgl. ausgewählter Themenbereiche. Der Fragebogen 2015 war in drei Teile unterteilt: (a) Wahrnehmung der Praxisstruktur sowie Gespräch mit dem Arzt, (b) Kommunikation und Erwartungen sowie (c) soziodemographische Fragen. Zwischen November 2015 und März 2016 haben 9540 Patienten an der Befragung teilgenommen (Rücklauf: 84 %; 53,3 % weiblich, M = 64,93 Jahre, SD = 13,2), davon sind 858 (9 %) nicht in Deutschland geboren. Die Teilnehmer wurden bzgl. der oben genannten Themenfelder befragt und die Werte der Patienten mit Migrationserfahrung wurden mit denen der in Deutschland geborenen Patienten verglichen. Gruppenunterschiede wurden mittels χ²-Test auf Signifikanz getestet.

Ergebnisse: 79,8 % der Patienten mit Migrationserfahrung gaben Deutsch auf Mutterspracheniveau oder eine fließende Beherrschung dieser Sprache an, während 20,2 % fortgeschrittene bis Grundkenntnisse angaben. Allerdings hatten Migranten mit weniger Deutschkenntnissen häufiger den Eindruck, dass wesentliche Bestandteile des Gesprächs mit dem Arzt unverständlich bleiben (27,7 %), als Migranten mit guten Deutschkenntnissen (9,2 %) und Einheimische (5,8 %), χ²(2, N = 6964) = 39.8, p < .001. Auch mit dem Verstehen von behandlungsrelevanten schriftlichen Informationen, die von den Praxen geliefert werden, gaben Migranten mit weniger Deutschkenntnissen häufiger Schwierigkeiten an (10,4 %) als Migranten mit guten Deutschkenntnissen (4,1 %) und Einheimische (2 %), χ²(2, N = 6090) = 18.2, p < .001. Was Erwartungen an die Behandlung betrifft, so tendierten ausländische Patienten allgemein weniger dazu, (a) den Ärzten ihre Bedürfnisse und Anliegen bzgl. der Behandlung mitzuteilen (89,3% zu 94,2 % der in Deutschland geborenen Patienten), χ²(1, N = 6522), = 8.1, p < .01, (b) ihre Meinungen zum Vorhaben des Arztes zu sagen (81,4 % zu 87,3 %), χ²(1, N = 6364) = 5.8, p < .01, und (c) sich an wichtigen Entscheidungen bzgl. der Diagnose und Behandlung beteiligen zu wollen (85,8 % zu 91,6 %), χ²(1, N = 6536) = 8.3, p < .01.

Diskussion: Obwohl die Befragungsteilnehmer mit Migrationserfahrung über gute Deutschkenntnisse verfügen, zeigt diese Patientengruppe mehr Schwierigkeiten beim Verständnis sowohl von schriftlichen als auch von im Gespräch mit dem Arzt gelieferten Informationen. Des Weiteren konnte im Allgemeinen zwar eine gute Beteiligung an der Behandlung im Sinne einer partizipativen Entscheidungsfindung erkannt werden, allerdings war diese Beteiligung in einigen Aspekten, wie z. B. bzgl. Mitteilung der Bedürfnisse seitens der Patienten mit Migrationshintergrund, etwas niedriger. Da die ausländischen Patienten mit unterschiedlichen kulturellen Hintergründen eine sehr heterogene Gruppe bilden, bedarf es bei weiterführenden Analysen der Berücksichtigung von solchen Unterschiedenen.

Praktische Implikationen: Die onkologische Versorgung von Patienten mit Migrationserfahrung ist in Deutschland aufgrund der demographischen Entwicklung ein aktuelles und bedeutsames Thema. Es konnte in der vorliegenden Studie gezeigt werden, dass es unerlässlich ist, sich mehr mit einer besseren Kommunikation von behandlungsrelevanten Informationen seitens der Ärzte und der Praxen zu befassen, vor allem wenn es sich um Patienten handelt, die nicht Nichtmuttersprachler sind. Es gilt, Informationsangebote zu schaffen, die auf die spezifischen Besonderheiten und Bedürfnisse aller Patienten eingehen und dabei die Gruppe der Patienten mit Migrationserfahrung besonders berücksichtigen.