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15. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

5. - 7. Oktober 2016, Berlin

Zur Komplikationsentwicklung bei Diabetikern – eine routinedatenbasierte, retrospektive Kohortenstudie

Meeting Abstract

  • Kateryna Karimova - Institut für Allgemeinmedizin/ Uni-Frankfurt, Frankfurt am Main, Deutschland
  • Lorenz Uhlmann - Institut für Medizinische Biometrie und Informatik, Heidelberg, Deutschland
  • Martin Beyer - Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main, Institut für Allgemeinmedizin, Frankfurt am Main, Deutschland
  • Robert Lübeck - Institut für Allgemeinmedizin / Institute for General Practice, Frankfurt, Deutschland
  • Corina Güthlin - Uniklinik Frankfurt, Institut für Allgemeinmedizin, Frankfurt, Deutschland
  • Ferdinand M. Gerlach - Johann-Wolfgang-Goethe Universität, Institut für Allgemeinmedizin, Frankfurt am Main, Deutschland

15. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung. Berlin, 05.-07.10.2016. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2016. DocFV49

doi: 10.3205/16dkvf104, urn:nbn:de:0183-16dkvf1045

Veröffentlicht: 28. September 2016

© 2016 Karimova et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Gliederung

Text

Hintergrund: Diabetes mellitus ist eine der häufigsten chronischen Erkrankungen mit seit Jahren steigender Prävalenz. Die Entwicklung von Komplikationen ist in hohem Maße von unterschiedlichen Einflussfaktoren abhängig, wie dem Schweregrad bereits vorhandener Komplikationen, von sozio-demographischen Faktoren sowie von der Qualität der erhaltenen Versorgung. Eine engmaschige, strukturierte Versorgung kann diese Komplikationen verzögern oder verhindern.

Fragestellungen: Ziel dieser Studie ist es, zu untersuchen, ob sich im Rahmen der hausarztzentrierten Versorgung (HzV) nach § 73b SGB V in Baden-Württemberg Unterschiede im Erreichen verschiedener klinischer Endpunkte zwischen eingeschriebenen und nicht eingeschriebenen AOK-Versicherten mit Diabetes mellitus in den Jahren 2011-13 ergaben.

Methoden: Es wurde eine retrospektive Kohortenstudie basierend auf Routinedaten der AOK-Baden-Württemberg durchgeführt. Patienten mit einer in 2010 epidemiologisch gesicherten Diabetesdiagnose (ICD-10: E10-E14) wurden eingeschlossen (217.964 Patienten), und von 2011 bis Ende 2013 (2014) nachverfolgt. Die DM-Komplikationen wurden aus ICD-Abrechnungsdiagnosen (ambulant und stationär) identifiziert. Folgende klinische Endpunkte (inzidente Fälle) wurden in die Betrachtung eingeschlossen: Dialyse, Erblindung, Amputation, Herzinfarkt, Reinfarkt, Schlaganfall, KHK, Hypoglykämie, Mortalität. Die Zeit bis zum Auftreten des jeweiligen klinischen Endpunktes wurde in Tagen (beginnend vom 01.01.2011) bis zum Index-Ereignis (Erreichen des klinischen Endpunktes) berechnet. Es wurde zusätzlich ein auf Abrechnungsdaten basierender Score (aDCSI), der die Krankheitsschwere von Diabetikern abbilden soll, aus dem ICD-9 auf ICD-10 adaptiert und berechnet. Weitere patienten-, praxis- und krankheitsspezifische Einflussfaktoren wurden als Prädiktoren einbezogen. Zur Auswertung der Zeit bis zum ersten Ereignis wurden gemischte Cox-Regressionsmodelle eingesetzt.

Ergebnisse: Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Behandlung innerhalb der HzV tatsächlich den Eintritt von Komplikationen zu verzögern hilft: In der HzV-Gruppe war das relative Risiko einer Dialyse innerhalb 2011-2013 nach der Adjustierung um 23,2% signifikant vermindert (Hazard Ratio 0.768, p=<.0001). Innerhalb der Beobachtungszeit war das Risiko einer Amputation in der HzV-Gruppe um 24,3 % verringert (Hazard Ratio 0.757, p=<.0001). Vorteile für die HzV-Gruppe wurden auch bei Erblindung, Herzinfarkt, Schlaganfall und KHK gefunden.

In der HzV-Gruppe war das relative Risiko einer Hypoglykämie in der Beobachtungszeit nach der Adjustierung um 23 % signifikant erhöht. Bezüglich Reinfarkt und Mortalität wurden keine signifikanten Unterschiede beobachtet.

Eine hohe allgemeine (Charlson-Index) und krankheitsspezifische (aDCSI) Morbidität erhöhen ebenfalls das Risiko.

Diskussion: Die Versorgungsvorteile in der HzV-Gruppe wurden in unserer Evaluationsstudie bestätigt. Allerdings wurden alle Auswertungen mittels Routinedaten gemacht, die viele Vor- und Nachteile haben. Die zu erwartenden typischen DM-Komplikationen können in den Routinedaten komplikationsspezifisch und zusammengefasst als Summe aller Schädigungen (z.B. mittels aDCSI) gut identifiziert werden. Limitationen bestehen jedoch in fehlenden klinischen Daten (HbA1c, Blutdruck), allerdings haben Chen et al. [1] in der Validierungsanalyse des Morbiditäts-Scores ‚adapted Diabetes Complications Severity Index‘ kaum Unterschiede zwischen Morbiditätsindex mit Labortwerten (DCSI) und ohne Labortwerte (aDCSI) gefunden. Eine weitere Limitation ist möglicherweise das unterschiedliche Diagnosen-Kodierungsverhalten in der HzV- und Nicht-HzV-Gruppe.

Praktische Implikationen: Die Ergebnisse der Überlebenszeitanalyse zeigen, dass die Behandlung innerhalb der HzV-Gruppe Komplikationen zu verzögern hilft. Offenbar werden durch die Elemente der pauschalisierten Vergütung, Chronikerzuschläge, Qualitätszirkel, DMP-Einschreibung und nicht zuletzt die Einschreibung in eine feste Hausarztpraxis als primärem Ansprech- und Koordinationspartner tatsächlich bessere Rahmenbedingungen für eine primärärztliche Versorgung geschaffen.


Literatur

1.
Chen HL, Hsu WW, Hsiao FY. Changes in prevalence of diabetic complications and associated healthcare costs during a 10-year follow-up period among a nationwide diabetic cohort. J Diabetes Complications. 2015 May-Jun;29(4):523-8. DOI: 10.1016/j.jdiacomp.2015.02.002 Externer Link