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15. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

5. - 7. Oktober 2016, Berlin

Gesundheitskompetenz und Gesundheitsverhalten bei türkischen und nicht-türkischen Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz

Meeting Abstract

  • Ute Karbach - Zentrum für Versorgungsforschung Köln, IMVR, Köln, Deutschland
  • Birgit Mews - HerzNetzKöln2, Köln, Deutschland
  • Elisabeth Kohnen - HerzNetzKöln2, Köln, Deutschland
  • Roman Pfister - Uniklinik Köln, Klinik III Innere Medizin, Herzzentrum, Köln, Deutschland
  • Christian Schneider - Kardiologie an der Pan Klinik Köln, Köln, Deutschland
  • Hans W. Höpp - HerzNetzKöln2, Köln, Deutschland
  • Nicole Ernstmann - Universitätsklinikum Bonn, Klinik und Poliklinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Forschungsstelle für Gesundheitskommunikation und Versorgungsforschung, Bonn, Deutschland

15. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung. Berlin, 05.-07.10.2016. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2016. DocV082

doi: 10.3205/16dkvf077, urn:nbn:de:0183-16dkvf0775

Veröffentlicht: 28. September 2016

© 2016 Karbach et al.
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Gliederung

Text

Hintergrund: Die Herzinsuffizienz ist eine in der Regel chronische Erkrankung mit ungünstiger Prognose. Bei einer Prävalenz von ca. 2-5 % der über 60- Jährigen beträgt die Ein-Jahres Sterblichkeit ca. 10 %. Damit gehört die Herzinsuffizienz zu den chronischen Erkrankungen, die eine ähnlich ungünstige Prognose haben wie fortgeschrittene Tumorerkrankungen. Durch Therapien lässt sich die Prognose der Herzinsuffizienz deutlich verbessern. Epidemiologische Daten zeigen jedoch, dass ca. 30 % der betroffenen Patientinnen und Patienten gar nicht oder nicht ausreichend therapiert werden (1,2). Daten aus anderen Ländern zeigen, dass die ethnische Abstammung und der Migrationshintergrund einen relevanten Einfluss auf die Diagnose und Therapie der Herzschwäche haben (3-5).

Strukturierte Versorgungsprogramme führen in der Regel zur Leitlinien-näheren Behandlung, zur Prognoseverbesserung, zur Stärkung der Krankheitseinsicht sowie zur Steigerung der Lebensqualität. Der Zugang zu entsprechenden Modellen ist jedoch häufig bereits durch deren Ansatz und Struktur beschränkt. So wurde im Rahmen eines seit 2007 im Kölner Raum existierenden Herzinsuffizienz-Versorgungsmodells (HNK2) die Beobachtung gemacht, dass sowohl Frauen als auch Patientinnen und Patienten mit türkischem Migrationshintergrund unterrepräsentiert sind. Daher wurde in der Kölner GemaB-Studie geprüft, inwiefern unter bestimmten Modell-Voraussetzungen (aufsuchende, zielgruppenspezifische Ansprache potenzieller Modellteilnehmender männlichen und weiblichen Geschlechts in deutscher bzw. türkischer Sprache) die genannten individuellen Inanspruchnahme-Barrieren im Rahmen dieses strukturierten Herzinsuffizienz-Versorgungsmodells eine Rolle spielen bzw. überwunden werden können.

Fragestellung: Die vorliegende Arbeit untersucht die Gesundheitskompetenz von türkischen und nicht-türkischen Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz im Rahmen eines strukturierten Herzinsuffizienz-Versorgungsprogramms mit intensivierten Rekrutierungsbemühungen für türkischsprachige Patientinnen und Patienten.

Methode: Deutsch- und türkischsprachige potenzielle Modell-Teilnehmende werden bei Einschluss in die vorliegende Studie sowie nach einem Jahr Modellteilnahme standardisiert befragt. Hierzu wurden zwei Fragebogen entwickelt und in einem standardisierten Prozess ins türkische übersetzt (6). Vor dem Hintergrund des zu erwartenden Alters der Teilnehmenden sowie einem möglicherweise bedeutsamen Anteil an Menschen mit funktionalem Analphabetismus in der türkischen Zielgruppe wurden die Fragebogen sprachlich so einfach wie möglich gestaltet. Die zu operationalisierenden soziodemographischen Variablen und gesundheitswissenschaftlichen Konstrukte wurden in einzelne Items übersetzt. Auf den Einsatz umfangreicher Skalen wurde verzichtet, um möglichst viele Personen der Zielgruppe erreichen zu können. Die Daten werden mittels Pearson-Chi-Quadrat-Tests und T-Tests auf signifikante Unterschiede getestet.

Ergebnisse: Insgesamt beantworten 131 türkische und 287 deutsche Modell-Teilnehmende die Fragen zur Gesundheitskompetenz zum Zeitpunkt ihres Modelleintritts (T0) und nach mindestens einem Jahr ihrer Modellzugehörigkeit (T1).

Im Behandlungsverlauf zeigen sich für die Gruppe der deutschen Teilnehmenden signifikante Unterschiede in der Bewertung dreier Items. So ist von einer signifikanten Zunahme der Gesundheitskompetenz bei folgenden Items auszugehen: „Ich weiß über die wichtigsten Dinge meiner Herzerkrankung Bescheid“, „Wenn es mir schlechter geht, gehe ich zum Arzt“ und „Wenn ich an Gewicht zunehme, merke ich das immer“.

Ebenso wie in der Gruppe der deutschen Modell-Teilnehmenden zeigt sich in der türkischen Gruppe eine signifikante Zunahme der Gesundheitskompetenz hinsichtlich zweier Items: „Ich weiß über die wichtigsten Dinge meiner Herzerkrankung Bescheid“ und „Wenn ich an Gewicht zunehme, merke ich das immer“. Abweichend von der Gruppe der deutschen Modell-Teilnehmenden zeigt sich eine Zunahme der Gesundheitskompetenz im folgenden Item: „Wenn es mir schlechter geht, sage ich es jemandem aus meiner Familie“.

Diskussion sowie praktische Implikationen: Die vorliegenden Daten zeigen, dass sich die Gesundheitskompetenz in der türkischen und in der deutschen Gruppe im Beobachtungszeitraum von einem Jahr positiv entwickelt hat. Das Modell ist eine komplexe Intervention. Daher sollten Folgeuntersuchungen die wirksamen Modellkomponenten herausarbeiten, um zukünftige Interventionen zielgruppenspezifisch gestalten zu können.

Des Weiteren zeigte die GemaB-Studie, dass es keine individuellen Barrieren der Inanspruchnahme eines integrierten Versorgungsmodells bei türkischen Patientinnen und Patienten gibt, wenn diese gezielt angesprochen werden. Somit könnte die Unterrepräsentanz der Menschen mit Migrationshintergrund in strukturierten Versorgungsmodellen in diesem Fall eher organisational – z.B. in den Arbeits- und Dokumentationsroutinen – bedingt sein. Hier könnten qualitative Folgestudien Aufschluss geben.