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15. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

5. - 7. Oktober 2016, Berlin

Standardisiertes Assessment des medizinischen und pflegerischen Versorgungsbedarfes von Menschen mit Demenz in der Häuslichkeit

Meeting Abstract

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  • Wolfgang Hoffmann - Institut für Community Medicine, Universitätsmedizin Greifswald, Versorgungsepidemiologie und Community Health, Greifswald, Deutschland

15. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung. Berlin, 05.-07.10.2016. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2016. DocV028

doi: 10.3205/16dkvf072, urn:nbn:de:0183-16dkvf0722

Veröffentlicht: 28. September 2016

© 2016 Hoffmann.
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Gliederung

Text

Hintergrund: Menschen mit Demenz (MmD) sind auf eine multiprofessionelle und sektorenübergreifende Versorgung angewiesen, um so lange wie möglich ein selbstbestimmtes Leben führen zu können. Um diese Versorgung gewährleisten zu können, müssen die individuellen Bedarfe der MmD identifiziert und umgesetzt werden. Zur Unterstützung der Identifikation dieser Bedarfe wurde im Rahmen der Studie DelpHi-MV (Demenz: lebensweltorientierte und personenzentrierte Hilfen in Mecklenburg Vorpommern) ein computergestütztes Interventions-Management-System (IMS) entwickelt und implementiert. Das IMS ist ein regelbasiertes Expertensystem, dass individuelle Patientencharakteristiken mit programmierten Regeln abgleicht. Funktionen des IMS umfassen (1) die Identifikation individueller Bedarfe der Patienten und (2) die Ableitung der entsprechender Interventionsempfehlungen für die Dementia Care Manager (DCM). Nach Diskussion, Überprüfung und ggfs. Ergänzung in einer interaktiven Fallkonferenz werden diese Empfehlungen dem behandelnden Hausarzt in einem Informationsbrief weitergeleitet.

Fragestellungen: 1) Welche offenen Versorgungsbedarfe haben MmD in der primärärztlichen Versorgung und welche Faktoren sind mit der Anzahl an offenen Bedarfen assoziiert? 2) Führt die Implementierung des IMS zur verbesserten Identifikation von individuellen Bedarfen sowie zu verbesserten Interventionsempfehlungen, um diese Bedarfe adäquat zu adressieren?

Methoden: DelpHi-MV ist eine laufende hausarztbasierte, cluster-randomisierte, kontrollierte Interventionsstudie zur Entwicklung und Implementierung eines subsidiären, integrativen, sektorübergreifenden Dementia Care Management-Programms. Ziel ist die Optimierung der Versorgung von ambulant betreuten Menschen mit Demenz (MmD) und ihren Angehörigen. 1) Die Analyse der Versorgungsbedarfe basiert auf 227 MmD (=70 Jahre, zu Hause lebend). 2) Vor der Einführung des IMS erfolgte die Identifikation der Bedarfe sowie die Erstellung entsprechender Interventionsempfehlungen für 96 Patienten durch die DCM. Sie nutzten dafür ein schriftliches Manual, welches die gleichen Regeln enthielt, die anschließend im IMS programmiert wurden. Für diese Analyse wurde das IMS nach seiner Einführung in die Studiensoftware rückwirkend auf diese 96 Patienten angewendet. So konnte die Entscheidung der DCM damit verglichen werden, welche Bedarfe das IMS für diese Patienten identifiziert hätte und welche Interventionen das System vorgeschlagen hätte. Nach Implementierung des IMS erfolgte die Identifizierung der Bedarfe sowie die Erstellung von Interventionsempfehlungen für 33 weitere Patienten computergestützt.

Ergebnisse: 1) Insgesamt wurden offene Versorgungsbedarfe von allen vorher definierten 26 Kategorien identifiziert. MmD hatten im Durchschnitt 8,77 (±5,04, Range 0-31) offene Versorgungsbedarfe. Mehr als 90% der MmD hatten mindestens drei offene Versorgungsbedarfe. Der größte Anteil der identifizierten Bedarfe bezog sich auf die pflegerische Versorgung (38%), die sozialrechtliche Beratung und Unterstützung (20%) sowie auf die pharmakologische Versorgung (15%). Schwerere körperliche Einschränkung war der einzige Faktor, der mit einer höheren Anzahl an offenen Versorgungsbedarfen assoziiert war, unabhängig vom Alter, dem Geschlecht, der Lebenssituation, der Kognition und der Depressivität der Patienten sowie von der Verfügbarkeit eines informell Pflegenden. 2) Vor der Implementierung des IMS betrug die Übereinstimmung zwischen (nachträglich) durch das IMS vorgeschlagenen und tatsächlich durch die DCM empfohlenen Interventionen lediglich 28%. Die Übereinstimmung stieg nach der Implementierung des IMS auf 74%. Die Anzahl der Interventionsempfehlungen, die die DCM an den behandelnden Hausarzt weiterleiteten, stieg nach Einführung des IMS um 85%.

Diskussion: Die Ergebnisse zeigen, dass primärärztlich versorgte MmD eine Vielzahl an unterschiedlichen offenen Versorgungsbedarfen haben. Die Erkennung dieser Bedarfe unter Nutzung eines standardisierten Assessments ist von entscheidender Bedeutung für die individuelle und bedarfsgerechte Versorgung. Zudem wurde deutlich, dass die Identifikation von diesen individuellen Bedarfen sowie die Empfehlung von entsprechenden Interventionen durch den Einsatz eines computergestützten IMS erheblich verbessert werden kann. Die Identifikation selbst sowie die Unterstützung mithilfe eines IMS können daher einen positiven Einfluss auf die Lebenssituation der MmD nehmen und besitzen erhebliches Potential, z.B. einen längeren Verbleib der MmD in der Häuslichkeit zu ermöglichen.