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15. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

5. - 7. Oktober 2016, Berlin

WHO-Report zu ambulant-sensitiven Krankenhausfällen in Deutschland

Meeting Abstract

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  • Leonie Sundmacher - Ludwig-Maximilians-Universität München, Fachbereich Health Services Management, München, Deutschland

15. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung. Berlin, 05.-07.10.2016. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2016. DocFV23

doi: 10.3205/16dkvf066, urn:nbn:de:0183-16dkvf0661

Veröffentlicht: 28. September 2016

© 2016 Sundmacher.
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Gliederung

Text

Hintergrund: Dem Konzept der ambulant-sensitiven Diagnosen (ASD) liegt die Annahme zugrunde, dass Krankenhausfälle infolge bestimmter Diagnosen durch effektives Management chronischer Erkrankungen, effektive Akutbehandlungen im ambulanten Sektor oder Immunisierungen vermieden werden können. Ende des Jahres 2015 wurde der erste Bericht zu ambulant-sensitiven Krankenhausfällen in Deutschland der World Health Organisation (WHO) in Zusammenarbeit mit dem Fachbereich Health Services Management der LMU veröffentlicht.

Fragestellung: Auf Grundlage der verfügbaren Evidenz zu ambulant-sensitiven Krankenhausfällen und von Ergebnissen aus Experteninterviews spricht die WHO Handlungsempfehlungen aus.

Methode: Die Handlungsempfehlungen stützen sich insbesondere auf die 2015 veröffentlichte Studie von Sundmacher et al. (2015). Innerhalb eines Konsensprozesses wurde eine Liste ambulant-sensitiver Diagnosen (ASD) zusammengestellt, die für das deutsche Gesundheitssystem abgestimmt ist. Vierzig Ärzte aus allen für die Behandlung von ASD relevanten medizinischen Disziplinen nahmen an der Delphi-Befragung teil. Die vorgeschlagene Kernliste umfasst 22 Diagnosegruppen, die 90% aller Krankenhausfälle infolge ASD sowie Hospitalisierungen mit mindestens 85% Vermeidbarkeit durch einen effektiven ambulanten Sektor abdeckt.

Darüber hinaus wurden Experteninterviews mit Vertretern der Selbstverwaltung zur Akzeptanz von ambulant-sensitiven Krankenhausfällen als Indikator für die Qualitätsmessung und die Performanz des Gesundheitssystems geführt.

Ergebnisse: Von den 18,6 Mio. Krankenhausfällen in Deutschland 2012 stuften die Teilnehmer der Delphi-Befragung 5,04 Mio. Krankenhausfälle als ambulant-sensitiv ein. Hiervon wurden 3,72 Mio. als tatsächlich vermeidbar bewertet. Die häufigste genannte Strategie zur Reduzierung von Krankenhausfällen infolge ASD ist die Verbesserung kontinuierlicher Behandlung im ambulanten Sektor. Der Ressourcenverbrauch der tatsächlich vermeidbaren Krankenhausfälle wird auf 7,2 Mrd. Euro geschätzt. Die Teilnehmer der Delphi-Analyse repräsentieren verschiedene medizinische Disziplinen im ambulanten und stationären Sektor in unterschiedlichen Regionen Deutschlands. Trotz der Heterogenität der Gruppe wurden in der vorliegenden Studie überraschend hohe Konsensraten erreicht: In der letzten Runde lag die finale Konsensrate unter den Teilnehmern bei durchschnittlich 98 Prozent. Der geringste Konsens bei einer Diagnosegruppe lag bei 87 Prozent.

Die Experteninterviews zeigten, dass die Vertreter der Selbstverwaltung ambulant-sensitive Krankenhausfälle durchschnittlich als nützlichen Indikator der Qualitätsmessung betrachten.

Diskussion: Dem ambulanten Sektor wird im Zuge des demographischen Wandels große Bedeutung beim Management von chronisch kranken und multimorbiden Patienten zukommen. Die systematische Erfassung und Rückmeldung der gemessenen Qualität ist vor diesem Hintergrund eine wichtige Maßnahme, um eine effektive und effiziente Versorgung zu ermöglichen. Darüber hinaus ist die Stärkung der kontinuierlichen Behandlung von Relevanz. Auch wenn sich die meisten Patienten für einen Haus- oder Allgemeinarzt als erste Anlaufstelle in der Versorgung entscheiden, existiert in Deutschland kein verpflichtendes Gatekeeper-System. Prinzipiell darf ein Patient jeden Arzt aufsuchen, so dass der ambulante Arzt nicht notwendigerweise von parallelen oder zusätzlichen Behandlungen erfährt – es sei denn der Patient informiert den Arzt. Dies birgt die Gefahr von Unter-, Über- und Fehlversorgung bergen. Beispielsweise kann mangelnde Koordination innerhalb des ambulanten Sektors zu Inkompatibilität von Medikation, Verlust von Lebensqualität aufgrund doppelter medizinischer Tests und Behandlungen, Informationslücken auf Seiten des Arztes und/oder Ineffizienzen führen.

Praktische Implikation: Die WHO empfiehlt die Stärkung der Behandlungskontinuität und das systematische Monitoring von ASK-Trends.