gms | German Medical Science

15. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

5. - 7. Oktober 2016, Berlin

Telemedizin in der Behandlung von Menschen mit Diabetes mellitus durch nicht-ärztliche Berufsgruppen: ein Sicherheitsrisiko? – Ergebnisse eines Scoping Reviews

Meeting Abstract

  • Marcus Redaelli - Universitätsklinikum Köln, Institut für Gesundheitsökonomie und Klinische Epidemiologie, Köln, Deutschland
  • Tjarko Geelvink - Universitätsklinikum Köln, Institut für Gesundheitsökonomie und Klinische Epidemiologie, Köln, Deutschland
  • Sana Mirhoseiny - Universitätsklinikum Köln, Institut für Gesundheitsökonomie und Klinische Epidemiologie, Köln, Deutschland
  • Horst Christian Vollmar - Medizinische Fakultät der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, Institut für Allgemeinmedizin, Düsseldorf, Deutschland
  • Stephanie Stock - Universitätsklinikum Köln, Institut für Gesundheitsökonomie und klinische Epidemiologie, Köln, Deutschland

15. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung. Berlin, 05.-07.10.2016. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2016. DocFV31

doi: 10.3205/16dkvf064, urn:nbn:de:0183-16dkvf0645

Veröffentlicht: 28. September 2016

© 2016 Redaelli et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Gliederung

Text

Hintergrund: Weltweit ist eine steigende Prävalenz des Diabetes mellitus zu beobachten. Die generelle Ressourcenknappheit in den meisten Gesundheitssystemen führt zu einem Handlungsdruck, der verstärkt innovative Versorgungsmodelle für Menschen mit Diabetes mellitus erfordert. Der Einsatz von Telemedizin und die damit mögliche Delegation ärztlicher Tätigkeiten an nicht-ärztliches Personal werden international als Potential gesehen, die medizinische Versorgungsqualität für Betroffene zu verbessern und nachhaltig zu sichern.

Fragestellung: Kann der Einsatz von Telemedizin durch nicht-ärztliche Berufsgruppen die Versorgungsqualität von Menschen mit Diabetes mellitus verbessern?

Methode: In den Literaturdatenbanken Pubmed, EMBASE und Google Scholar wurde mit definierten Schlagwörtern systematisch recherchiert. Es wurden deutsch- und englischsprachige Studien eingeschlossen, die alternative Versorgungsmodelle durch nicht-ärztliche Berufsgruppen in der Behandlung von Patienten mit Diabetes mellitus beforschen. Darauf aufbauend wurde eine Subgruppenanalyse für telemedizinische Interventionen durchgeführt. Der Suchzeitraum wurde von 01/1994 bis 12/2013 eingegrenzt. Um die komplexen telemedizinischen Interventionen umfassend zu bewerten, wurden zunächst die Komponenten und deren Zusammenhänge identifiziert, die einen Einfluss auf das Outcome der untersuchten komplexen Interventionen haben. Hierzu gehörten Formen der verwendeten Telemedizin, die Qualifikation der Berufsgruppe, die Berücksichtigung der Medikation sowie die Form, Inhalte und der zeitliche Umfang der Interventionen. Als Rahmenbedingungen für die Intervention wurden das Setting und das länderspezifische Gesundheitssystem betrachtet. Um ein möglichst breites Spektrum an Ergebnisparametern abzudecken, wurden sowohl biomedizinische als auch gesundheitsökonomische Outcomeparameter betrachtet. Außerdem wurde die Qualität der Studien anhand des Studiendesigns, der Fallzahlplanung, und der Nachhaltigkeit der Ergebnisse hin untersucht.

Ergebnisse: Es konnten 135 Studien entsprechend den Kriterien identifiziert werden, wovon 68 Studien eine telemedizinische Intervention aufwiesen. Die überwiegende Zahl der telemedizinischen Studien wurde im RCT-Design durchgeführt (52 RCT, 9 Vorher-Nachher-Studien, 7 CCT). Unterschiedliche telemedizinische Technologien wurden in den Studien häufig miteinander kombiniert. So wurde das Telefon in 80% der Studien alleine oder in Kombination als Interventionsmedium genutzt. 26% der telemedizinischen Studien benutzen computerassistierte, webbasierte Systeme in Kombination mit anderen Kommunikationsmedien. In 10% der berücksichtigten Studien fand eine Intervention mittels Videokonferenz statt. Am häufigsten wurde die Telemedizin von Pflegepersonal durchgeführt (66% der Studien). Andere nicht-ärztliche Berufsgruppen in den Studien waren Pharmazeuten, Ernährungsberater und Sozialarbeiter. Dabei fand in 78% der Studien eine Schulung der Patienten über ihre Diabeteserkrankung statt. Die Mehrheit der Studien untersuchte eine Intervention im ambulanten Setting (91 % der Studien). In 61 der 68 berücksichtigten Studien (90%) wurde der HbA1c als biomedizinischer Outcomeparameter für die Qualität der Versorgung gemessen. In 62% der Studien zeigte sich eine Verbesserung des HbA1c. Die Mortalität wurde nur in einer Studie berücksichtigt. Andere relevante Endpunkte waren Lebensqualität (29%) und Patientenzufriedenheit (26%), wovon 65% eine Steigerung der Lebensqualität und 78% eine Steigerung der Patientenzufriedenheit zeigten. Nur in zwölf der 68 Studien (18%) wurden die Kosten der Telemedizinintervention untersucht. Sieben Kostenstudien zeigten eine Einsparung.

Diskussion: Insgesamt lässt sich eine Verbesserung der Versorgung ablesen. Vor allem der HbA1c, der für die langfristige Qualität der Blutzuckereinstellung als Maß gilt, konnte gesenkt werden. Die Lebensqualität, die maßgeblichen Einfluss auf die Compliance des Betroffenen ausübt, konnte gesteigert werden. Zudem konnte eine hohe Patientenzufriedenheit nachgewiesen werden. Trotz Zunahme der Kosten durch eine ressourcenintensivere Versorgung konnten, unabhängig der Studiendauer, sogar Einsparungen erzielt werden. Die internationalen Ergebnisse veranlassen zu Überlegungen, ob in Deutschland über eine flächendeckende telematische Versorgung durch nicht-ärztliches Fachpersonal nachgedacht werden muss.

Praktische Implikationen: Die Ergebnisse der internationalen Studien weisen ein hohes Potential der Telemedizin auf. In Deutschland sollte daher eine telemedizinische Ausrichtung in der flächendeckenden Regelversorgung durch nicht-ärztliche Berufsgruppen zur Steigerung der Effektivität und Effizienz vorangetrieben werden.

Contributed equally: M. Redaelli, T. Geelvink, S. Mirhoseiny, H. C. Vollmar, S. Stock