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15. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

5. - 7. Oktober 2016, Berlin

20 Jahre Krankenhausfallanalyse in Sachsen-Anhalt – Was haben wir gelernt?

Meeting Abstract

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  • Enno Swart - Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg, Institut für Sozialmedizin und Gesundheitsökonomie, Magdeburg, Deutschland
  • Silke Piedmont - Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg, Institut für Sozialmedizin und Gesundheitsökonomie, Magdeburg, Deutschland
  • Bernt-Peter Robra - Otto von Guericke-Universität Magdeburg, Institut für Sozialmedizin und Gesundheitsökonomie, Magdeburg, Deutschland

15. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung. Berlin, 05.-07.10.2016. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2016. DocFV10

doi: 10.3205/16dkvf062, urn:nbn:de:0183-16dkvf0628

Veröffentlicht: 28. September 2016

© 2016 Swart et al.
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Gliederung

Text

Hintergrund: Im Jahr 1996 publizierten AOK Sachsen-Anhalt und Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg eine Krankenhausfallanalyse. Sie lieferte erstmalig für ein Bundesland eine umfassende Beschreibung des stationären Versorgungsgeschehens. Diese Analyse verstetigte sich im Laufe der vergangenen 20 Jahre zu einer beinahe jährlichen Routineberichterstattung mit wechselnden ergänzenden Schwerpunktthemen. Dieser neuartige Zugang zu Routinedaten der gesetzlichen Krankenversicherung stellte einen Prototyp für eine Reihe weiterer Berichtformate gesetzlicher Krankenkassen dar, die inzwischen alle Versorgungssektoren umfassen.

Fragestellung: Die wissenschaftliche Nutzung von Sozialdaten, hier speziell der GKV-Leistungsdaten, konnte sich innerhalb der Versorgungsforschung etablieren. An dieser Stelle sollen die daraus generierten methodischen und inhaltlichen Erkenntnisse dargestellt und deren Impulse für die kleinräumige Versorgungsforschung und -planung reflektiert werden. Schließlich soll ein Ausblick auf die zukünftige Ausgestaltung der Krankenhausfallanalysen unternommen werden.

Methodik: Grundlage der Krankenhausfallanalysen waren Abrechnungsdaten der AOK Sachsen-Anhalt nach § 301 SGB V. Übermittelt wurden Informationen zu sämtlichen teil- und vollstationären Behandlungsfälle aller AOK-Versicherten, unabhängig von ihrem Erbringungsort. Die Daten enthielten patientenbezogene Angaben zu Alter, Geschlecht und Wohnort (4stellige Postleitzahl), zu Dauer und Ort der Behandlung, Aufnahme- und Entlassungsgrund, Haupt-/Nebendiagnosen, Leistungen nach dem OPS-Katalog sowie Entgelte. Für definierte Fragestellungen wurden zusätzlich Leistungsdaten aus anderen Versorgungssektoren herangezogen. Der Bezug auf die Versichertengesamtheit ermöglichte die Ableitung epidemiologischer Versorgungsindikatoren; ein eindeutiges Pseudonym erlaubte die Abbildung versichertenbezogener Krankheitsverläufe.

Ergebnisse: Nach deutlichem Bettenabbau steigt bei standardisierter Betrachtung das stationäre Versorgungsvolumen inzwischen nur noch leicht, liegt aber konstant 30% höher als im Bundesdurchschnitt. In Verbindung mit dem demographischen Wandel verschieben sich Leistungsschwerpunkte (weniger Pädiatrie und Geburtshilfe, steigender Anteil chronischer Krankheiten). Eine Leistungsverdichtung wird sichtbar (mehr Fälle bei sinkender Verweildauer nach der Einführung der DRG). Auffällig ist eine zeitlich und räumlich stabile Versorgungsheterogenität, besonders bei elektiven Leistungen. Deren Gründe liegen jenseits morbiditätsbedingter Unterschiede sowohl in der angebotsorientierten Indikationsstellung (z.B. im hohen Anteil von Linksherzkatheteruntersuchungen ohne nachfolgende therapeutische Intervention) wie auch im Inanspruchnahme- und Einweisungsverhalten gerade in strukturschwachen Regionen. Wanderungsanalysen lieferten Erkenntnisse für die Landeskrankenhausplanung, etwa zum hohen Ausmaß Landesgrenzen überschreitender Inanspruchnahme im Harz oder in der Altmark. Patientenseitigen Analysen identifizierten Gruppen von Versicherten mit hoher Inanspruchnahme und ihre Versorgungsmuster, etwa Patienten mit chronischen somatischen oder psychiatrischen Erkrankungen (insb. Drehtür-Versorgung bei Suchtpatienten). Ein Vergleich der Leistungsmuster strukturgleicher oder räumlich benachbarter Krankenhäuser ermöglicht die Evaluation der Wirksamkeit von Schwerpunktbildungen (z.B. diabetologischer Schwerpunktpraxen). Ein steigender Anteil von Notfällen auf nahezu 50% aller Krankenhausfälle weist auf aktuelle Herausforderungen des stationären Sektors hin.

Diskussion: Die regelmäßigen Krankenhausfallanalysen für die AOK Sachsen-Anhalt haben maßgeblich zur systematischen Entwicklung methodischer Zugänge und wissenschaftlicher Standards bei Nutzung der Routinedaten der gesetzlichen Krankenversicherung beigetragen. Damit hat sich die Sekundärdatenanalyse als wichtiger Zweig der Versorgungsforschung etabliert. Die kleinräumigen Analysen konnten nachhaltige Wirkung erzielen, was an Projekten wie dem Versorgungsatlas des ZI oder dem Faktencheck Gesundheit der Bertelsmann-Stiftung erkennbar wird. Die AOK nutzt die Ergebnisse regelmäßig für Steuerung und Weiterentwicklung des stationären Sektors in Gesprächen mit Leistungserbringern und Gremien der Selbstverwaltung.

Praktische Implikationen: Zur nachhaltigen Steuerung des stationären Sektors werden zunehmend sektorübergreifende Analysen Bedeutung gewinnen. Das betrifft etwa die Evaluation von Versorgungsstrukturen (z.B. Medizinische Versorgungszentren) oder Initiativen zur Reduzierung stationärer Inanspruchnahme bei chronischen Erkrankungen (DMP). Die letzten Jahre waren primär geprägt durch sektorspezifische Analysen der Daten einzelner Kostenträger. Aktuelle methodische Entwicklungen betreffen kassen- und sektorübergreifende Analysen von GKV-Routinedaten und das Datenlinkage von Primär- und Sekundärdaten und zeigen weiter steigendes Potenzial für die Versorgungsforschung und -planung.

Contributed equally: E. Swart, S. Piedmont, B.-P. Robra