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15. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

5. - 7. Oktober 2016, Berlin

„Tailoring Interventions for Chronic Diseases“ – Ergebnisse einer Prozessevaluation von fünf randomisiert-kontrollierten Studien

Meeting Abstract

  • Cornelia Jäger - Universitätsklinikum Heidelberg, Allgemeinmedizin und Versorgungsforschung, Heidelberg, Deutschland
  • Tobias Freund - Universitätsklinikum Heidelberg, Abteilung Allgemeinmedizin und Versorgungsforschung, Heidelberg, Deutschland
  • Jost Steinhäuser - Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Institut für Allgemeinmedizin, Lübeck, Deutschland
  • Joachim Szecsenyi - Universitätsklinikum Heidelberg, Abteilung Allgemeinmedizin und Versorgungsforschung, Heidelberg, Deutschland
  • Michel Wensing - Universitätsklinikum Heidelberg, Abteilung Allgemeinmedizin und Versorgungsforschung, Heidelberg, Deutschland

15. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung. Berlin, 05.-07.10.2016. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2016. DocFV42

doi: 10.3205/16dkvf049, urn:nbn:de:0183-16dkvf0499

Veröffentlicht: 28. September 2016

© 2016 Jäger et al.
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Gliederung

Text

Hintergrund: Die unzureichende Darstellung des vermuteten Wirkmechanismus von Interventionen und die damit verbundene mangelnde Reproduzierbarkeit wird häufig kritisiert. „Tailoring“ ist ein Ansatz zur Erhöhung der Transparenz und Effektivität von Interventionen, indem die verwendeten Strategien explizit auf die Überwindung zuvor erhobener Barrieren und die gezielte Nutzung von Förderfaktoren abzielen. Die Studienlage zeigt, dass „tailored interventions“ effektiv sein können, jedoch fehlt es an einem einheitlichen Vorgehen und Vergleichen zwischen „tailored und non-tailored interventions“. Das Projekt “Tailoring Interventions for Chronic Diseases (TICD)” wurde in 5 europäischen Ländern durchgeführt. Es wurden 5 maßgeschneiderte Interventionen zur Implementierung von evidenzbasierten Empfehlungen für 5 chronische Erkrankungen entwickelt und separat in randomisiert-kontrollierten Studien evaluiert. Keine der Studie konnte einen positiven Effekt auf die Hauptzielgröße (Grad der Implementierung) nachweisen. Die Prozessevaluationen aller Studien folgten einem gemeinsamen Protokoll und wurden in Teilen länderübergreifend ausgewertet. Zu diesem Zweck wurde für jede Intervention ein „logisches Modell“ erarbeitet, das den vermuteten Wirkmechanismus darstellte.

Fragestellung: Die Prozessevaluation zielte auf die Überprüfung der logischen Modelle und die Beantwortung der folgenden Forschungsfragen ab:

  • Welche Barrieren und Förderfaktoren (Determinanten) sind aus Sicht der Teilnehmer relevant und stimmen diese mit den in der Entwicklungsphase identifizierten Determinanten überein?
  • Inwieweit haben die Teilnehmer vorgeschlagenen Strategien angewendet und adaptiert?
  • Wie hilfreich sind die vorgeschlagenen Strategien aus Sicht der Teilnehmer?
  • Wurden die adressierten Determinanten aus Sicht der Teilnehmer modifiziert?
  • Welche anderen Strategien hätten die Teilnehmer hilfreich empfunden?

Methode: Die Entwicklung der 5 Interventionen beinhaltete die Identifikation von Determinanten und Strategien mittels verschiedener Methoden (Brainstorming, Interviews, Fokusgruppen, Fragebögen) sowie die Priorisierung derselben in einem Konsensverfahren (d.h. Bewertung der Determinanten hinsichtlich Relevanz und Modifizierbarkeit und der Strategien hinsichtlich Machbarkeit und Effektivität). Die Prozessevaluation bestand aus Interviews mit den Hausärzten / Practice Nurses der Interventionsgruppe und einer Fragebogenerhebung unter den Hausärzten / Practice Nurses der Interventions- und Kontrollgruppe. Die Interviews wurden in der jeweiligen Landessprache geführt und mittels qualitativer Inhaltsanalyse ausgewertet. Die abgeleiteten Kategorien wurden mit je einem Ankerzitat ins Englische übersetzt und von einem Forscher hinsichtlich qualitativer und quantitativer Aspekte analysiert. Die Fragebogenerhebung erfolgte ebenfalls in der jeweiligen Landessprache mit anschließender Übersetzung ins Englische und deskriptiver Auswertung.

Ergebnisse: Es wurden 68 Interviews durchgeführt, 125 Teilnehmer beantworteten den Fragebogen. Insgesamt kamen in den 5 Studien 28 Strategien zum Einsatz, die 38 Determinanten adressieren sollten. Von den Determinanten wurden 76% (n=29) von der Mehrheit der Zielgruppe als relevant und 95% als modifiziert erachtet. Im Durchschnitt fanden 51% der Teilnehmer die Strategien hilfreich und 47% gaben an, sie wie geplant angewendet zu haben. Die Varianz der Antworten zwischen den verschiedenen Ländern und Strategien war hoch. In den Interviews nannten die Befragten 89 Determinanten, von denen 70% (n=62) bereits in der Entwicklungsphase identifiziert und 45% (n=40) priorisiert worden waren. Die Teilnehmer schlugen 65 weitere Strategien vor, von denen 54% (n=35) zuvor identifiziert und 20% (n=13) als prinzipiell effektiv und machbar bewertet, aber nicht verwendet worden waren.

Diskussion: Die Teilnehmer bestätigten die in den logischen Models spezifizierten Hypothesen größtenteils. Dies steht in einem Widerspruch zu der Tatsache, dass keine der Studien einen positiven Effekt auf die Implementierung der Empfehlungen nachweisen konnte. Auffällig war, dass der Großteil der von der Zielgruppe als relevant erachteten Determinanten und Strategien in der Entwicklungsphase zwar identifiziert, aber nicht priorisiert oder verwendet worden war. Schwierigkeiten und Heterogenität zeigten sich zudem bei der Bezeichnung und Beschreibung der Strategien.

Praktische Implikationen: Zukünftige Aufgaben für die Implementierungsforschung bestehen in der Entwicklung effektiverer Methoden für die Priorisierung von Determinanten und Strategien im Kontext des Tailorings sowie in der Entwicklung eines Systems zur eindeutigen Klassifizierung von Implementierungsstrategien.