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15. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

5. - 7. Oktober 2016, Berlin

Umgang mit dem Thema „Autofahren und Demenz in der Hausarztpraxis“ – Entwicklung einer konsensus-basierten Handlungsempfehlung

Meeting Abstract

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  • Verena Leve - Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, Institut für Allgemeinmedizin, Düsseldorf, Deutschland
  • Katharina Ilse - Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, Institut für Allgemeinmedizin, Düsseldorf, Deutschland
  • Marie Ufert - Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, Institut für Allgemeinmedizin, Düsseldorf, Deutschland
  • Stefan Wilm - Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, Institut für Allgemeinmedizin, Düsseldorf, Deutschland
  • Michael Pentzek - Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, Institut für Allgemeinmedizin, Düsseldorf, Deutschland

15. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung. Berlin, 05.-07.10.2016. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2016. DocFV17

doi: 10.3205/16dkvf043, urn:nbn:de:0183-16dkvf0439

Veröffentlicht: 28. September 2016

© 2016 Leve et al.
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Gliederung

Text

Hintergrund: Im Hinblick auf den progredienten Krankheitsverlauf der häufigsten Demenzformen und die damit verbundenen kognitiven Einschränkungen nimmt das Risiko für Verkehrsunfälle im mittleren Demenzstadium zu. Hausärzte/innen werden von Angehörigen und Menschen mit Demenz als Schlüsselfiguren in der Ansprache der Fahrtätigkeit benannt. Für Hausärzte/innen ergeben sich im Umgang mit der Thematik Spannungsfelder aus unterschiedlichen Erwartungen in der triadischen Beziehung sowie aus juristischen und ethischen Anforderungen bezogen auf den Erhalt von Patientenautonomie und öffentlicher Sicherheit. Um eine praxistaugliche Handlungsempfehlung für den hausärztlichen Praxisalltag zu entwickeln, müssen die Sichtweisen aller Akteure/innen Berücksichtigung finden.

Fragestellung: Welche Aspekte zum Thema „Autofahren und Demenz“ sind aus Sicht der Beteiligten (Menschen mit Demenz, Angehörige, Hausärzte/innen) für die Hausarztpraxis bedeutsam? Welche Barrieren und förderlichen Faktoren gibt es, um patientenzentriert gemeinsame Entscheidungen im Umgang mit dem Kraftfahrzeug zu finden? Welche Schwerpunkte ergeben sich hieraus für eine Handlungsempfehlung, und wie werden diese von Experten/innen verschiedener Professionen bewertet?

Methode: Im Rahmen eines von der Deutschen Alzheimer Gesellschaft geförderten Projekts wurde zunächst ein Review durchgeführt, um den internationalen Forschungsstand zu ermitteln und relevante Aspekte auf das hausärztliche Versorgungssetting in Deutschland zu übertragen. In Fokusgruppen mit Menschen mit Demenz, Angehörigen und Hausärzten/innen wurden darüber hinaus die unterschiedlichen Bedarfslagen für das hausärztliche Beratungssetting ermittelt. Die transkribierten Aufzeichnungen wurden inhaltsanalytisch ausgewertet und bilden – mit den Ergebnissen des Reviews – die Basis für einen Entwurf zur Empfehlung zum Umgang mit dem Thema Autofahren und Demenz im hausärztlichen Praxisalltag. Die Bewertung und Weiterentwicklung dieser Empfehlung erfolgte in einem multiprofessionellen Experten-Workshop mit 20 Teilnehmenden aus Allgemeinmedizin, Rechtswissenschaften, Verkehrspsychologie, Angehörigenvertretung und anderen relevanten Bereichen.

Ergebnisse: An den Fokusgruppen nahmen insgesamt 6 Menschen mit Demenz, 15 Angehörige, 4 hauptamtliche Begleitpersonen und 12 Hausärzte/innen sowohl aus städtischen als auch ländlichen Regionen teil.

Insbesondere für Menschen mit Demenz ist der Autonomieerhalt über die eigene Mobilität von zentraler Bedeutung. Angehörige ebenso wie Hausärzte/innen erleben das Autofahren bei Demenz vor diesem Hintergrund als kritisch in der Ansprache mit den Patienten/innen. Es werden insbesondere Auswirkungen auf der Beziehungsebene befürchtet.

Der Einbezug der Angehörigen wird von Hausärzten/innen als wesentlich für den erfolgreichen Umgang mit dem Thema Fahrsicherheit bewertet. Zur Unterstützung werden klare Kriterien für den Zeitpunkt der Ansprache und der Fahraufgabe sowie Kommunikationshilfen für die Ansprache gefordert. Auch Informationen zu Kompensationsmöglichkeiten und Mobilitätsalternativen sowie Dokumentationshilfen werden für den hausärztlichen Praxisalltag als hilfreich bewertet. Das Engagement anderer Akteure (andere Facharztgruppen etc.) wird als bedeutsam erachtet.

Im Rahmen des Experten/innen-Workshops wurden vor allem ethische und rechtliche Ergänzungen zu der bestehenden Handlungsempfehlung diskutiert. Auch wurden Vorschläge zum Einbezug anderer Professionen wie Verkehrsbehörden, Automobilvereine/-clubs und Fahrschulen zur Prüfung der Fahrsicherheit ergänzt.

Diskussion: Die nötige Balance zwischen Dokumentation und Aufklärung sowie patientenzentrierter allgemeinmedizinischer Versorgung zu halten, ist ein Ziel der Weiterentwicklung der Handlungsempfehlung. Hierbei gilt es zum einen, für Hausärzte/innen mehr Transparenz in Bezug auf diagnostische und rechtliche Aspekte zu schaffen. Zum anderen steht im Vordergrund, praxis- und alltagstaugliche Mobilitätshilfen und Strategien zum Erhalt der Mobilität darzustellen sowie die Zusammenarbeit mit anderen Akteuren und Angehörigen zu stärken.

Praktische Implikationen: Eine Empfehlung für die hausärztliche Praxis sollte ein ressourcenorientiertes Vorgehen für die Entwicklung von Strategien im Umgang mit relevanten Einschränkungen ermöglichen und den Einbezug anderer Berufsgruppen berücksichtigen.