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15. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

5. - 7. Oktober 2016, Berlin

Evaluationsergebnisse aus der Darmkrebsfrüherkennung: informierte Entscheidung und Inanspruchnahme von Präventionsleistungen

Meeting Abstract

  • Dirk Horenkamp-Sonntag - Wissenschaftliches Institut der TK für Nutzen und Effizienz im Gesundheitswesen (WINEG), Hamburg, Deutschland
  • Beate Bestmann - Wissenschaftliches Institut der TK für Nutzen und Effizienz im Gesundheitswesen (WINEG), Hamburg, Deutschland
  • Udo Schneider - Wissenschaftliches Institut der TK für Nutzen und Effizienz im Gesundheitswesen (WINEG), Hamburg, Deutschland
  • Susanne Engel - Wissenschaftliches Institut der TK für Nutzen und Effizienz im Gesundheitswesen (WINEG), Hamburg, Deutschland
  • Roland Linder - Wissenschaftliches Institut der TK für Nutzen und Effizienz im Gesundheitswesen (WINEG), Hamburg, Deutschland

15. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung. Berlin, 05.-07.10.2016. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2016. DocFV13

doi: 10.3205/16dkvf039, urn:nbn:de:0183-16dkvf0399

Veröffentlicht: 28. September 2016

© 2016 Horenkamp-Sonntag et al.
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Gliederung

Text

Hintergrund/Fragestellung: Von 2003 bis 2011 nutzten lediglich 19% der anspruchsberechtigten Männer und 21% der Frauen die Präventionsmöglichkeit bei Darmkrebs. Deshalb wurde in den vergangenen Jahren durch verschiedenste politische Aktivitäten versucht, die Teilnahmerate an der Krebsfrüherkennung zu erhöhen. Mit dem am 09.04.2013 in Kraft getretenen Krebsfrüherkennungs- und registergesetz (KFRG) wurden die Voraussetzungen geschaffen, dass Versicherte künftig zur Früherkennung eingeladen werden. Ziel dieser Maßnahmen ist es, die informierte Entscheidung der Anspruchsberechtigten zu fördern und zu unterstützen.

Im Rahmen eines TK-Projekts zur informierten Entscheidung bei Darmkrebsfrüherkennung bestand die Gelegenheit, indikationsbezogene GKV-Routinedaten (Sekundärdaten) mit zielgruppenspezifischen Befragungsergebnissen (Primärdaten) zu verbinden (Datenlinkage). Somit konnte der Zusammenhang zwischen einer informierten Entscheidung und Art bzw. Umfang von darmkrebsspezifischen Leistungsinanspruchnahmen analysiert werden.

Methode: Datengrundlage war ein Kollektiv von 2.251 TK-Versicherten aus der KV Bayerns, das neben einem persönlichen Anschreiben auch darmkrebsspezifische Informationen bei Erreichen des Anspruchsalters von 50 bzw. 55 Jahren mit nachgeschaltetem Fragebogen erhielt. Inhalt des Fragebogens war u. a. die informierte Entscheidung, die sich aus den Komponenten Wissen sowie Einstellung in Kongruenz mit Inanspruchnahme zusammensetzt. Im Anschluss daran wurde analysiert, ob und wie sich die nachgelagerten Leistungsinanspruchnahmen von Versicherten mit informierter Entscheidung von denen ohne informierte Entscheidung unterschieden. Hierzu wurden die ambulanten Gebührenordnungspositionen der Beratung zur Krebsfrüherkennung (GOP 01740), die präventive (01741) und kurative Koloskopie (13421) sowie die Untersuchung auf Blut im Stuhl (01734) berücksichtigt.

Um die Ergebnisse des im Sommer 2013 gestarteten Regionalprojekts vor dem Hintergrund zeitlicher und regionaler Trendveränderungen kausal interpretieren zu können, wurde untersucht, inwiefern sich Art und Umfang der Teilnahme an Präventionsmaßnahmen im Langzeitverlauf (2007-2014) bei allen TK-Versicherten (> 9 Mio.) regional verändert haben.

Ergebnisse:

a) bundesweit: Sekundärdaten

Von 2007 bis 2014 wurden TK-Versicherte 1.814.083 Mal zur Krebsfrüherkennung beraten. Dabei waren die Inanspruchnahme von Hämoccult (-24,6%), präventiver Koloskopie (-28,5%) und Beratung (- 19,5%) insgesamt rückläufig, wobei in den letzten Jahren ein zunehmender Trend zu verzeichnen war. Regional gibt es sehr ausgeprägte Unterschiede, z.B. wurde in Berlin 2014 mehr als dreimal so viel präventiv koloskopiert wie in Hessen.

b) Bayern: Linkage von Primär- und Sekundärdaten

Als Ergebnis der Primärdaten trafen 58,7% der Versicherten (n = 1.322) keine informierte Entscheidung zur Teilnahme an der Vorsorge (Gruppe non-informed), 929 Versicherte (41,3%) hingegen eine informierte Entscheidung (Gruppe informed). Während bei den 55-jährigen der Gruppe non-informed in 23,7% der Fälle eine Koloskopie durchgeführt wurde, erfolgte dies bei informed nur bei 13,7% der Versicherten (χ²-Test: p < 0,001). Der Anteil von Versicherten, die sich beraten ließen, war bei non-informed (25,0%) etwas höher als bei informed (22,4%). Der jährliche Hämoccult für Versicherte ab 50 Jahren war bei non-informed (23,0%) geringer als bei informed (33,1%) (p < 0,001). Bei den 55-jährigen war der zweijährliche Hämoccult als Alternative zur Früherkennungskoloskopie ebenfalls bei non-informed (41,7%) geringer als bei informed (45,9%) (p = 0,203).

Diskussion und praktische Implikationen: Von 2007 bis 2014 ist über alle Maßnahmen zur Darmkrebsfrüherkennung hinweg bundesweit ein sehr deutlicher Rückgang der Patientenbeteiligung festzustellen. Dieser wird nicht durch eine vermehrte Inanspruchnahme der Beratung kompensiert. Somit lässt sich nicht schlussfolgern, dass als Ergebnis des ärztlichen Gesprächs (GOP 01740) weniger Präventionsmaßnahmen in Anspruch genommen wurden.

Im Zusammenhang mit der informierten Entscheidung zeigen die Gruppen informed und non-informed deutliche Unterschiede in Art und Umfang der Leistungsinanspruchnahmen. Die Koloskopie als relativ invasives Verfahren wird bei Versicherten, die eine informierte Entscheidung getroffen haben, um fast die Hälfte weniger in Anspruch genommen. Da der Hämoccult als Alternative zur Koloskopie in der Gruppe informed in beiden Altersgruppen etwas mehr in Anspruch genommen wurde, kann dies als möglicher Kompensationseffekt interpretiert werden.

GKV-Routinedatenanalysen sind geeignet, im Rahmen einer Politikfolgenforschung zeitnah Hinweise auf Veränderungen bei der Teilnahme an Krebsfrüherkennungsprogrammen zu geben. Inwieweit die Ergebnisse aus Bayern auf Versicherte übertragbar sind, die vorab weder ein persönliches Anschreiben noch darmkrebsspezifische Informationen erhalten haben, wird aktuell mit KV-übergreifenden Analysen verifiziert.