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15. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

5. - 7. Oktober 2016, Berlin

Behandlungsgründe notfallbedingter Krankenhausfälle mit kurzer Verweildauer – eine Routinedatenanalyse

Meeting Abstract

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  • Josephine Jacob - Health Risk Institute, Berlin, Deutschland
  • Lennart Hickstein - Health Risk Institute, Berlin, Deutschland
  • Steffen Heß - Health Risk Institute, Berlin, Deutschland
  • Jochen Walker - Health Risk Institute, Berlin, Deutschland

15. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung. Berlin, 05.-07.10.2016. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2016. DocFV27

doi: 10.3205/16dkvf010, urn:nbn:de:0183-16dkvf0104

Veröffentlicht: 28. September 2016

© 2016 Jacob et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Gliederung

Text

Hintergrund: Die Inanspruchnahme von Krankenhausleistungen hat sich in den letzten 25 Jahren deutlich verändert. Während sich die Gesamtzahl der vollstationär behandelten Patienten um ca. 25% erhöht hat, ist die mittlere Verweildauer um ca. 45% zurückgegangen. In 2014 lag die mittlere Verweildauer stationärer Aufenthalte bei 7,4 Behandlungstagen. Rund 41% der vollstationären Behandlungsfällen (inkl. Sterbe- und Stundenfällen) in diesem Zeitraum waren Kurzlieger (1-3 Behandlungstage). Rund 35% der Gesamtkosten innerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) entstehen durch stationäre Behandlungen. Die Vermeidung kurzzeitiger stationärer Behandlungen, die ggf. auch ambulant adäquat behandelt werden könnten, haben das Potential die Kosten im stationären Bereich signifikant zu reduzieren.

Fragestellung: Ziel dieser Studie war es Behandlungsgründe kurzer Krankenhausaufenthalte mit Verweildauern ≤3 Tagen in verschiedenen Altersgruppen bei Frauen und Männern in GKV Routinedaten zu identifizieren um diese einer Prüfung auf potentielle Vermeidbarkeit zu unterziehen.

Methode: Basierend auf anonymisierten Routinedaten von rund vier Millionen gesetzlich Versicherten wurden retrospektiv vollstationäre Behandlungsfälle in 2010 und 2014 querschnittlich analysiert. Die Forschungsdatenbank entspricht in ihrer Alters- und Geschlechterzusammensetzung der der deutschen Bevölkerung. Stationäre Aufenthalte in Folge einer Notfallaufnahme wurden in Fälle mit einer Verweildauer von 0 Tagen (Stundenfälle), ≤ 1 Tag, ≤ 2 und ≤3 Tagen unterteilt. Sterbefälle und Behandlungsfälle von unter 18 jährigen Versicherten wurden von der Betrachtung ausgeschlossen. Die Stratifizierung erfolgte nach Geschlecht und Alter.

Ergebnisse: Insgesamt wurden in 2014 803.297 vollstationäre Fälle abgerechnet. Davon waren 57,6% reguläre stationäre Behandlungen (n=462.662), 42,3% Notfallaufnahmen (n=339.997) und 0,1% (n=638) Aufnahmen in Folge eines Unfalls. 45,4% der regulären Behandlungsfälle und 37,4% der Notfallaufnahmen wurden innerhalb von ≤3 Tagen behandelt.

Verweildauern von 0 Tagen, ≤ 1 Tag, ≤ 2, ≤3 Tagen wurden in 4,0%, 15,6%, 26,9% bzw. 37,4% der Behandlungsfälle in Folge einer Notfallaufnahme in 2014 beobachtet. Verglichen mit dem Jahr 2010 stieg der Anteil der Kurzlieger in allen Kategorien mit Ausnahme von Stundenfällen an.

Die Anteil kurzer Notfall-Krankenhausbehandlungen nahm mit zunehmendem Alter bei Männern und Frauen ab. Rund 50,3% aller Behandlungsfälle der 18 bis 65 Jährigen und 23,3% der Fälle der über 85 Jährigen entfielen auf Kurzzeitfälle.

Deutliche Unterschiede hinsichtlich der Behandlungsgründe zeigten sich zwischen Frauen und Männern und zwischen den vier untersuchten Altersgruppen. Die häufigsten Gründe für eine Notfallhospitalisierung mit ≤3 Tagen Aufenthaltsdauer waren bei Frauen zwischen 18 und 65 Jahren geburtsbedingt . Gleichaltrige Männer waren am häufigsten für weniger als vier Tagen aufgrund von psychischen und Verhaltensstörungen durch Alkohol hospitalisiert. Hospitalisierungen von ≤3 Tagen bei Frauen über 65 Jahren erfolgten am häufigsten zur Behandlung einer essentiellen Hypertonie und intrakranieller Verletzungen. Männer in diesem Alter wurden besonders häufig aufgrund von Vorhofflattern/Vorhofflimmern , Angina pectoris, Hypertonie und Rückenschmerzen für ≤3 Tage behandelt. Männer und Frauen über 75 Jahren wurden am häufigsten aufgrund von intrakraniellen Verletzungen, Angina pectoris, Synkope und Kollaps und Volumenmangel behandelt.

Diskussion: Ein Großteil der Behandlungsfälle in der jüngsten Altersgruppe waren auf ambulant schwerer behandelbare Gründe wie Geburten oder Alkoholintoxikationien zurückzuführen und daher nur eingeschränkt vermeidbar. Frauen und Männer ab 66 Jahren hingegen wurden häufig zur Behandlung eines Hypertonus und Rückenschmerzen für ≤3 Tage stationär behandelt. Die Verfügbarkeit adäquater ambulanter Versorgung könnte in dieser Altersgruppe Teile dieser Krankenhausfälle ggf. verhindern. Auch wenn Behandlungen von weniger als vier Tagen bei Versicherten über 86 Jahren seltener waren, könnten in dieser Altersgruppe insbesondere Behandlungen aufgrund von Volumenmangel vermieden werden.

Im Rahmen dieser Studie wurden nicht messbare Faktoren wie etwa patientenindividuelle psychosoziale sowie systembedingte Faktoren, die die Häufigkeit von Kurzzeithospitalisierungen beeinflussen können, nicht berücksichtigt. So können eine unzureichende häusliche Versorgung bei Vorliegen einer Pflegebedürftigkeit und die Nicht-Verfügbarkeit eines ambulanten Arztes in wohnortnähe zu einer vermehrten Inanspruchnahme stationärer Leistungen führen. Potentielle Einflussfaktoren wie Komorbiditäten und medikamentöse Therapien im Vorfeld der Behandlung wurden in dieser Studienphase nicht berücksichtigt.

Praktische Implikationen: Neue ambulante Versorgungsformen, wie beispielsweise spezialisierte ‚short-term-units‘, könnten als intermediäre Versorgungseinrichtungen zwischen ambulantem und stationärem Sektor fungieren und die Kosten für die stationäre Versorgung senken.