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15. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

5. - 7. Oktober 2016, Berlin

Exploration von subjektiven Krankheits- und Behandlungskonzepten im Familienkontext: Zusammenhänge mit familiärer Belastung und gesundheitsbezogener Lebensqualität

Meeting Abstract

  • Katja Heyduck - Universitätsklinikum Freiburg, Institut für Qualitätsmanagement und Sozialmedizin, Freiburg, Deutschland
  • Jürgen Bengel - Universität Freiburg, Institut für Psychologie, Abteilung für Rehabilitationspsychologie und Psychotherapie, Freiburg, Deutschland
  • Erik Farin-Glattacker - Universitätsklinikum Freiburg, Institut für Qualitätsmanagement und Sozialmedizin, Freiburg, Deutschland
  • Manuela Glattacker - Universitätsklinikum Freiburg, Institut für Qualitätsmanagement und Sozialmedizin, Freiburg, Deutschland

15. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung. Berlin, 05.-07.10.2016. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2016. DocFV20

doi: 10.3205/16dkvf005, urn:nbn:de:0183-16dkvf0059

Veröffentlicht: 28. September 2016

© 2016 Heyduck et al.
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Gliederung

Text

Hintergrund: Subjektive Krankheits- und Behandlungskonzepte gelten als zentrale Determinanten des Krankheitsbewältigungsverhaltens (Leventhal et al., 2001) und werden mit einer Vielzahl von Outcomes in Zusammenhang gebracht (Hagger & Orbell, 2003). Neuere Forschungsansätze betonen zusätzlich die soziale Dimension der Selbstregulation, wodurch neben den subjektiven Konzepten der Patienten zunehmend auch die krankheits- und behandlungsbezogenen Überzeugungen naher Bezugspersonen in den Fokus gerückt sind (z.B. Figueiras & Weinman, 2003). Die Krankheits- und Behandlungskonzepte der Familienmitglieder sowie deren Überstimmung bzw. Diskrepanz stellen dabei wichtige Merkmale der Familie dar (Salewski, 2004), welche den Bewältigungsprozess und Outcomes wie das Belastungserleben oder die Lebensqualität der Patienten und deren Familien beeinflussen können. Systemische Untersuchungen subjektiver Konzepte im Kontext chronischer Erkrankungen im Kindes- und Jugendalter sind in der Forschung bislang jedoch unterrepräsentiert.

Fragestellung: Im vorliegenden Beitrag werden die Ergebnisse einer dyadischen Untersuchung der krankheits- und behandlungsbezogenen Überzeugungen jugendlicher Asthmapatienten und deren Eltern vorgestellt, wobei ein besonderer Fokus auf die Exploration von Zusammenhängen mit der wahrgenommenen familiären Belastung sowie der gesundheitsbezogenen Lebensqualität der jugendlichen Patienten und Eltern gelegt werden soll.

Methode: Die Datenerhebung wurde im Rahmen einer quantitativen Querschnittserhebung in Kooperation mit 7 Rehabilitationseinrichtungen für Kinder und Jugendliche durchgeführt. Messzeitpunkt bei den Jugendlichen war Reha-Beginn, die Befragung der Eltern wurde postalisch durchgeführt. Die Operationalisierung der subjektiven Konzepte erfolgte mit einer adaptierten Version des Illness Perceptions Questionnaire-Revised sowie dem Beliefs about Medicines Questionnaire. Zur Erfassung der gesundheitsbezogenen Lebensqualität wurden Module des DISABKIDS-Fragebogens und das Ulmer Lebensqualitäts-Inventar für Eltern eingesetzt. Die Erhebung des familiären Belastungserlebens erfolgte mit dem Familien-Belastungs-Fragebogen. Die untersuchte Stichprobe umfasste N=132 Jugendliche mit Asthma bronchiale und deren Hauptbezugspersonen im Rahmen des Asthmamanagements (i.d.R. die Eltern). Die Jugendlichen waren im Mittel 13,3 Jahre alt (SD=1,9; Range=11-18 Jahre), 56,8% der Befragten waren männlich. Das Alter der teilnehmenden Bezugspersonen variierte zwischen 29 und 65 Jahren (M=44,2; SD=5,8), der Anteil der leiblichen Mütter lag bei 87,9%. Die statistischen Auswertungen umfassten deskriptive Statistik, die Berechnung von dissimilarity scores (Jugendlichen-Wert minus Eltern-Wert), t-tests für abhängige Stichproben, Korrelationsanalysen und multiple Regressionsanalysen.

Ergebnisse: Die Ergebnisse zeigten in 6 von 9 Dimensionen signifikante Unterschiede in der Ausprägung der Krankheits- und Behandlungskonzepte von Jugendlichen und Eltern auf. Auch auf der Ebene der einzelnen Dyaden (Berechnung von dissimilarity scores) wurde über alle Dimensionen hinweg ein breiter Range von diskrepanten Wahrnehmungen deutlich. Zusammenhänge von jugendlichen und elterlichen Krankheits- und Behandlungskonzepten sowie deren dyadischer Übereinstimmung (dissimilarity scores) mit der gesundheitsbezogenen Lebensqualität der Jugendlichen zeigten sich in Bezug auf alle untersuchten Lebensqualitätsdimensionen (generic, asthma impact, asthma worry). Bezogen auf die elterliche Lebensqualität (5 Skalen und Gesamtscore) und die wahrgenommene familiäre Belastung (5 Skalen und Gesamtscore) zeigten sich insbesondere signifikante Korrelationen mit den krankheits- und behandlungsbezogenen Überzeugungen der Eltern sowie den dissimilarity scores. Regressionsanalytisch zeigte sich, dass die von den Jugendlichen wahrgenommenen Konsequenzen der Erkrankung und die berichtete emotionale Belastung sowie das elterlich eingeschätzte Krankheitsverständnis am stärksten mit der Lebensqualität der Jugendlichen assoziiert waren (generic R2=.56, asthma impact R2=.39, asthma worry R2=.47). Für die Lebensqualität der Eltern erwiesen sich elterlich wahrgenommene Konsequenzen und Krankheitsverständnis sowie die Eltern-Kind-Diskrepanz bzgl. der Notwendigkeit der Medikamente als stärkste Prädiktoren (Gesamtscore R2=.37). Bezogen auf die familiäre Belastung hatte die Eltern-Kind-Diskrepanz bzgl. der wahrgenommenen emotionalen Belastung den höchsten Vorhersagewert (Gesamtscore R2=.29).

Diskussion: Krankheits- und behandlungsbezogene Überzeugungen sowie deren Übereinstimmung in der Eltern-Kind-Dyade können einen wichtigen Beitrag zu einem vertieften, systemischen Verständnis der Lebensqualität und der familiären Belastungen von Familien mit einem chronisch kranken Kind/Jugendlichen liefern.

Praktische Implikationen: Die Adressierung von subjektiven Krankheits- und Behandlungskonzepten in der klinischen Versorgung kann ein lohnenswerter Ansatzpunkt für eine Verbesserung der Lebensqualität der jungen Patienten und ihrer Familien sein.