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15. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

5. - 7. Oktober 2016, Berlin

Diabetes-Surveillance als Grundlage der Versorgungssteuerung

Meeting Abstract

  • Christa Scheidt-Nave - Robert Koch-Institut, Abteilung für Epidemiologie und Gesundheitsmonitoring, Berlin, Deutschland
  • Yong Du - Robert Koch-Institut, Abteilung für Epidemiologie und Gesundheitsmonitoring, Berlin, Deutschland
  • Christian Schmidt - Robert Koch-Institut, Abteilung für Epidemiologie und Gesundheitsmonitoring, Berlin, Deutschland
  • Andrea Teti - Robert Koch-Institut, Abteilung für Epidemiologie und Gesundheitsmonitoring, Berlin, Deutschland
  • Thomas Ziese - Robert Koch-Institut, Abteilung für Epidemiologie und Gesundheitsmonitoring, Berlin, Deutschland
  • Christin Heidemann - Robert Koch-Institut, Abteilung für Epidemiologie und Gesundheitsmonitoring, Berlin, Deutschland

15. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung. Berlin, 05.-07.10.2016. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2016. DocS02

doi: 10.3205/16dkvf003, urn:nbn:de:0183-16dkvf0039

Veröffentlicht: 28. September 2016

© 2016 Scheidt-Nave et al.
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Gliederung

Text

Hintergrund: Das Robert Koch-Institut (RKI) wurde 2015 vom Bundesministerium für Gesundheit (BMG) mit der Federführung zum Aufbau einer bevölkerungsbasierten Gesundheitsüberwachung (Public Health Surveillance) zum Diabetes mellitus in Deutschland betraut. Hiermit soll eine fortlaufende indikatorengestützte Gesundheitsberichterstattung zum Diabetes mellitus ermöglicht werden, die verlässliche und über die Zeit vergleichbare Aussagen zum Krankheitsgeschehen und zu Fortschritten bzw. verbleibenden Herausforderungen in der Prävention und Versorgung von Diabetes mellitus in Deutschland erlaubt. Eine Fülle von Daten zum Diabetes mellitus wird in Deutschland bereits auf nationaler oder regionaler Ebene erhoben. Beispiele sind bundesweite Daten des Robert Koch-Instituts zur Epidemiologie von Diabetes mellitus und anderen nicht übertragbaren Krankheiten aus bevölkerungsrepräsentativen Querschnittserhebungen, Meldedaten epidemiologischer und klinischer Register zum Typ 1-Diabetes bei Kindern und Jugendlichen sowie routinemäßig erhobene Versorgungsdaten der Disease Management Programme (DMP) und der Perinatalstatistik (Gestationsdiabetes-Screening). Eine zusammenfassende Bewertung der Ergebnisse für eine kontinuierliche Gesundheitsberichterstattung auf nationaler und regionaler Ebene ist bislang nur begrenzt möglich. Vorhabensziele zum Aufbau einer Diabetes-Surveillance in Deutschland sind vor diesem Hintergrund: Essentielle Kennzahlen (Indikatoren) und Berichtsformate für die Gesundheits-berichterstattung zur Epidemiologie, Prävention und Versorgung von Diabetes mellitus in Deutschland zu entwickeln, und eine Bestandsaufnahme zu Möglichkeiten und Limitationen der verfügbaren Datenlage vorzunehmen.

Methode: Projektmeilensteine des vom BMG über vier Jahre (07/2015-06/2019) geförderten Vorhabens zur Diabetes-Surveillance sind: (1) Entwicklung eines wissenschaftlichen Rahmenkonzeptes und Definition von Kernindikatoren, (2) Bestandsaufnahme zur Datenverfügbarkeit und Datennutzbarkeit für die fortlaufende Gesundheitsberichterstattung zum Diabetes mellitus auf nationaler und regionaler Ebene, (3) Entwicklung von Berichtsformaten (Prototypen) für eine indikatorengestützte Gesundheitsberichterstattung zum Diabetes mellitus in Deutschland mit Einschätzung der möglichen Erweiterung auf andere nicht übertragbare Krankheiten. Die Erarbeitung eines Rahmenkonzeptes und die Auswahl der Kernindikatoren gründen sich auf eine Sichtung und Bewertung der wissenschaftlichen Evidenz zur Surveillance, Prävention und Versorgung des Diabetes mellitus und einen strukturierten Konsensprozess. In den wissenschaftlichen Austausch und Konsensfindungsprozess werden alle relevanten Akteure in Deutschland auf regionaler und nationaler Ebene einbezogen. Hierzu sind mehrere Workshops eingeplant. Eine Sichtung und Bewertung der vorhanden Datenlage in Deutschland im Abgleich mit den konsentierten Indikatoren erfolgt auf der Basis von Machbarkeits- und Methodenstudien auf nationaler und regionaler Ebene in Kooperation mit wissenschaftlichen Projektpartnern. Das Vorhaben wird durch einen interdisziplinären wissenschaftlichen Projektbeirat begleitet.

Ergebnisse: Zur Erarbeitung von Rahmenkonzept und Kernindikatoren wurden bislang ein nationaler und ein internationaler Workshop durchgeführt. Vier entscheidende Handlungsfelder wurden definiert, denen eine Vorauswahl von insgesamt 45 Einzelindikatoren zugeordnet wurde: (1) Diabetes-Risiko reduzieren, (2) Diabetes-Früherkennung und Behandlung verbessern, (3) Diabetes-Komplikationen reduzieren, (4) Krankheitslast und Krankheitskosten von Diabetes reduzieren. Im laufenden Konsentierungsprozess wurden zunächst 18 Indikatoren sowie mehrere Stratifizierungsvariablen (Alter, Geschlecht, Migrationshintergrund, sozioökonomischer Status, Wohnregion) als essentiell eingestuft. Die Konsensfindung soll bis Ende 2016 abgeschlossen sein und in der Folge publiziert werden. Zur Einschätzung der Datenlage in Deutschland wurden bereits vier Methodenprojekte initiiert, deren Ergebnisse bis Ende des Jahres 2016 vorliegen sollen (Prävalenzschätzungen zu Typ 1-Diabetes bei Erwachsenen und Typ 2-Diabetes bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland; Ausbau von Daten zur Versorgungsqualität bei Gestationsdiabetes in der KV-Region Nordrhein; Ausbau der Surveillance und Aufbau von Zeitreihen zu diabetesbedingten ambulant-sensitiven Krankenhausfällen aus der DRG-Statistik; Soll-Ist-Analyse von Dokumentationsstandards zur hausärztlichen Versorgung von Erwachsenen mit Typ 2-Diabetes am Beispiel der AOK-Württemberg). Weitere Methodenstudien (z. B. zur nachhaltigen sekundären Nutzung von Daten der gesetzlichen Krankenversicherung) sind in Planung.

Diskussion: Mit der erfolgreichen Implementierung einer indikatorengestützten Diabetes-Surveillance wäre in Deutschland erstmals eine zusammenfassende und über die Zeit vergleichbare Beurteilung von Krankheitsdynamik sowie Präventions- und Versorgungsgeschehen zum Diabetes möglich. Erfahrungen im Ausland weisen darauf hin, dass der Erfolg entscheidend von folgenden Faktoren abhängt: Einigung aller beteiligten Akteure in Forschung, Praxis und Gesundheitspolitik auf gemeinsame Ziele und Handlungskonsequenzen; Validität, Praxisrelevanz und Effizienz der ausgewählten Indikatoren; Möglichkeit stratifizierter Analysen unter Berücksichtigung von soziodemografischen Variablen und regionalen Unterschieden. In Kanada konnte gezeigt werden, dass sich am Beispiel Diabetes mellitus Pionierarbeit für den Aufbau von Surveillance-Strukturen zu anderen nicht übertragbaren Krankheiten (Non Communicable Diseases, NCD) mit hoher Public Health Relevanz leisten lässt.