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14. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

7. - 9. Oktober 2015, Berlin

Bedingungsfaktoren bei der Implementierung von medizinisch-beruflich orientierten Rehabilitationsprozessen

Meeting Abstract

  • Philipp Preßmann - Institut für Rehabilitationsforschung Norderney, Bad Salzuflen, Deutschland
  • Sonja Kleine - Institut für Rehabilitationsforschung Norderney, Bad Salzuflen, Deutschland
  • Jürgen Philipp - Salzetalklinik und Klinik am Lietholz, Bad Salzuflen, Deutschland
  • Birgit Leibbrand - Salzetalklinik, Bad Salzuflen, Deutschland

14. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung. Berlin, 07.-09.10.2015. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2015. DocP058

doi: 10.3205/15dkvf293, urn:nbn:de:0183-15dkvf2932

Veröffentlicht: 22. September 2015

© 2015 Preßmann et al.
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Gliederung

Text

Hintergrund: Menschen mit besonderen beruflichen Problemlagen (BBPL) sind durch eine deutliche Diskrepanz zwischen beruflicher Leistungsfähigkeit und den Arbeits(platz)anforderungen gekennzeichnet. Um sie wieder ins Erwerbsleben zu integrieren, werden medizinisch-beruflich orientierte Rehabilitationsleistungen (MBOR) angeboten, deren Effektivität vielfach belegt ist (Hillert et al. 2009, Müller-Fahrnow et al. 2006). Jedoch bedürfen diese MBOR-Maßnahmen eines höheren therapeutischen Aufwandes im Vergleich zur konventionellen medizinischen Rehabilitation. Um die notwendigen Entscheidungen zur Ressourcenallokation treffen zu können, müssen Patienten mit MBOR-Bedarf gefiltert und deren Bedarfslage beschrieben werden, damit man sie den passenden Therapien bedarfsadäquat zuordnen kann. Dieser MBOR-Prozess (Zugang, Diagnostik, Therapie, Übergang) muss in den von der Deutschen Rentenversicherung belegten Einrichtungen vorgehalten werden, wobei eine flächendeckende Implementierung aus der Perspektive der Kliniker generell schwierig zu bewerkstelligen ist, da sowohl Mittel als auch das Know-how für eine Umsetzung vor Ort fehlen. Die Vorgehensweise erfordert ein gemeinsames und umfassendes Vorgehen auf verschiedenen Ebenen, das auf die spezifischen Zielgruppen innerhalb sowie außerhalb des Reha-Teams (Stakeholder) zugeschnitten und an die lokalen Gegebenheiten angepasst ist (Grol & Grimshaw 2003, Meyer & Vollmar 2013, Wensing et al. 2013).

Fragestellung: Auf welche Weise gelingt die Implementierung von medizinisch-beruflich orientierten Rehabilitationsprozessen und welche Bedingungen (hemmende und fördernde Faktoren) können identifiziert werden?

Methode: Mittels einer formativen Evaluation wird ein integriertes MBOR-Behandlungskonzept in zwei kooperierenden, orthopädisch ausgerichteten Reha-Kliniken eines Standortes entwickelt und implementiert. Für die Konzeptentwicklung wurde ein Bottom-up Ansatz gewählt.

Das gewonnene Datenmaterial entstammt einer Ist-Analyse der Ausgangsbedingungen sowie qualitativen Interviews und Fokusgruppen im Verlauf der Implementierungsaktivitäten. Befragt wurden alle an der Ausgestaltung beteiligten Therapeuten, Ärzte und Patienten.

Die Auswertung erfolgte als qualitative Inhaltsanalyse, EDV-gestützt mit dem Programm MAXQDA.

Ergebnisse: Mit dem gewählten Bottom-up Ansatz ist es allen beteiligten Therapeuten und Ärzten möglich, am Prozess der Konzeptentwicklung mitzuwirken. Eine gesteigerte Motivation kann auf die Partizipationsmöglichkeiten und die für die eigene Arbeit wahrgenommene Sinnhaftigkeit bei der Entwicklung eines gemeinsamen MBOR-Konzeptes zurückgeführt werden. Zu Beginn differierte das Verständnis vom Konzept der MBOR sehr weit. In der Folge wurde durch gezielte Fortbildung eine gemeinsame Ausgangsbasis geschaffen.

Bis dato konnten verschiedene begünstigende und hemmende Bedingungsfaktoren für die Konzeptimplementierung identifiziert werden: Als Barrieren werden die begrenzten räumlichen, zeitlichen und personellen Kapazitäten thematisiert. Ambivalent ist die Einschätzung des Reha-Teams zur Kommunikation, Vernetzung und zum Umgang mit erhobenen Informationen. Alle Beteiligten betonen die Bedeutsamkeit einer interdisziplinären Kommunikation, wobei von Therapeutenseite angeregt wird, sich zusätzlich in einem nicht-ärztlichen Behandler-Team auszutauschen. Mitunter wird bemängelt, dass die Therapieplanung und -verordnung durch die aufnehmenden Ärzte nicht immer passgenau ist. Zur Verbesserung von Screening, Diagnostik sowie bedarfsadäquater Therapieplanung und -steuerung plädieren Psychologie, Sozialberatung, Ergo-, Sport- und Physiotherapie für mehr Mitsprache in den facheigenen Behandlungsfeldern. Zu einem frühen Zeitpunkt der MBOR bestehe ein erhöhter Informationsbedarf in den Abteilungen. Die vorläufigen Ergebnisse fließen kontinuierlich in den Prozess der Konzeptentwicklung ein.

Diskussion: Um Prozesse bei der Behandlung von MBOR-Patienten optimieren zu können, ist der Einbezug der klinischen Experten eine erste wichtige Voraussetzung. Zunächst entstand bei den Praktikern Motivation zur Mitarbeit, die in der Folge als Verpflichtung interpretiert wurde. Auf diese Weise war ein Fundament für die Konzeptentwicklung, Modifikation, Ausrichtung an den lokalen Bedingungen sowie den Bedürfnissen der beteiligten Berufsgruppen und Patienten gegeben. Durch die formative Evaluation können Prozessoptimierungen kontinuierlich reflektiert, korrigiert und an die Gegebenheiten vor Ort adaptiert werden. Erkenntnisse werden fortwährend in die Praxis zurückgespiegelt und tragen zur Weiterentwicklung des Konzeptes und dessen Implementierung bei.

Praktische Implikationen: Die Anwendung eines Bottom-up Ansatzes und insbesondere die Einbeziehung aller Stakeholder sollten standardmäßig bei der Implementierung von MBOR-Prozessen zur Anwendung kommen. Weitere Implikationen können nach Abschluss des Projektes benannt werden.