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14. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

7. - 9. Oktober 2015, Berlin

Zeitliche Trends bei der Inanspruchnahme von Rehabilitationsmaßnahmen bei Kindern und Jugendlichen in Baden-Württemberg

Meeting Abstract

  • Silke Jankowiak - Institut für Rehabilitationsmedizinische Forschung an der Universität Ulm, Bad Buchau, Deutschland
  • Julia Dannenmaier - Institut für Rehabilitationsmedizinische Forschung an der Universität Ulm, Bad Buchau, Deutschland
  • Rainer Kaluscha - Institut für Rehabilitationsmedizinische Forschung an der Universität Ulm, Bad Buchau, Deutschland
  • Gert Krischak - Institut für Rehabilitationsmedizinische Forschung an der Universität Ulm, Bad Buchau, Deutschland

14. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung. Berlin, 07.-09.10.2015. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2015. DocP057

doi: 10.3205/15dkvf292, urn:nbn:de:0183-15dkvf2929

Veröffentlicht: 22. September 2015

© 2015 Jankowiak et al.
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Gliederung

Text

Hintergrund: Chronische Erkrankungen beeinflussen die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen und können die spätere Erwerbsfähigkeit beeinträchtigen. Die medizinische Rehabilitation stellt dabei ein wichtiges Instrument zur Sicherung der Leistungsfähigkeit sowie zur späteren Eingliederung in das Erwerbsleben dar.

Obwohl in den letzten Jahren eine deutliche Zunahme der chronischen Erkrankungen im Kindes- und Jugendalter zu verzeichnen ist, ging die Antragszahl bei Rehabilitationsmaßnahmen für Kinder und Jugendliche deutlich zurück. Angesichts dieser Diskrepanz müssen Faktoren identifiziert werden, die einen Einfluss auf den Rehabilitationszugang haben und eine bedarfsgerechte Inanspruchnahme beeinträchtigen können. Neben individuellen Faktoren können auch regionale Rahmenbedingungen unterschiedliche Zugangswege und damit eine unterschiedliche Rehabilitationsinanspruchnahme bedingen.

Fragestellung: Im Rahmen der Untersuchung wurde der Frage nachgegangen, welche regionalen Besonderheiten und zeitlichen Trends bei der Inanspruchnahme von Rehabilitationsleistungen in Baden-Württemberg bestehen und inwiefern sich dabei der in den Studien berichtete zeitliche Wandel des Morbiditätsspektrums widerspiegelt. Eine weitere Frage bestand darin, welche regionalen Rahmenbedingungen die Inanspruchnahme von Rehabilitationsmaßnahmen bedingen.

Methode: Mit Hilfe der Rehabilitationsstatistikdatenbasis (RSD) der Deutschen Rentenversicherung Baden-Württemberg (DRV-BW), die Informationen zu durchgeführten Rehabilitationsmaßnahmen bei Kindern und Jugendlichen umfasst, sowie Angaben des Statistisches Landesamtes Baden-Württemberg (StaLA) zur Bevölkerung im Alter zwischen 0 und 15 Jahren, wurde die Rate der Rehabilitanden für jede der 12 Regionen in Baden-Württemberg jeweils für die Jahre 2005 bis 2012 bestimmt. Im Rahmen eines Prognosemodells (SAS 9.3, Proc Mixed) zur Vorhersage des zeitlichen Verlaufs der Rehabilitandenrate wurden weitere Informationen des StaLAs zu Strukturmerkmalen der Regionen herangezogen (Bevölkerungsdichte, Siedlungs-/Verkehrsfläche, Anteile sozialversicherungspflichtig Beschäftigter und Arbeitsloser, Arztdichte Kinderärzte/Allgemeinmediziner).

Ergebnisse: Die für Baden-Württemberg ermittelte durchschnittliche Rehabilitandenrate stieg für Kinder und Jugendliche von 70/100.000 im Jahr 2005 auf 99/100.000 im Jahr 2008. Nachdem die Rate auf 79/100.000 im Jahr 2010 abfiel, stabilisierte sie sich bei 82/100.000 in den Jahren 2011 und 2012. Der zeitliche Verlauf der Rehabilitandenrate unterschied sich z.T. deutlich zwischen den Regionen, wobei in keiner Region ein eindeutiger Trend ersichtlich war. Die über den Zeitraum von 2005 bis 2012 berechnete mittlere Rate an Rehabilitanden reichte von 63/100.000 in der Region Hochrhein-Bodensee bis 124/100.000 in der Region Heilbronn-Franken. Während die Inanspruchnahme von Rehabilitationsleistungen im Beobachtungszeitraum in der Region Hochrhein-Bodensee am geringsten variierte, zeigte sich in der Region Nord-Schwarzwald die größte Varianz.

Bei der Regressionsanalyse hatte lediglich der Anteil Arbeitsloser in einer Region einen signifikanten Einfluss. Dabei ist die Inanspruchnahme von Rehabilitationsmaßnahmen umso geringer, je höher der Anteil Arbeitsloser ist (p<0.0001).

Diskussion: Die Inanspruchnahme von Rehabilitationsmaßnahmen im Kindes- und Jugendalter unterschied sich erheblich zwischen den Regionen in Baden-Württemberg. Es ist zu bezweifeln, dass sich diese Abweichungen alleine durch regionale Differenzen bei der Erkrankungslast erklären lassen.

Die beobachtete zeitliche Entwicklung der Inanspruchnahme von Rehabilitationsleistungen korrespondiert nicht mit der in Studien berichteten Zunahme der chronischen Erkrankungen in der Zielgruppe. Sie deckt sich aber mit Angaben der Gesundheitsberichterstattung [1], die auch von anderen Rentenversicherungsträgern und Krankenkassen durchgeführte Maßnahmen umfasst. Dies stützt die Hypothese, dass keine bedarfsgerechte Inanspruchnahme von Rehabilitationsleistungen vorliegt und lässt insofern eine Unterversorgung vermuten.

Praktische Implikationen: Um den tatsächlichen Rehabilitationsbedarf unter Kindern und Jugendlichen zu ermitteln, bedarf es einer systematischen Erfassung der Krankheitslast in der Zielgruppe. Zudem bestehen aufgrund einer überlappenden Zuständigkeit von Krankenkassen und Rentenversicherung Unklarheiten, die die Antragstellung womöglich erschweren. Für die Aufklärung der Inanspruchnahme von Rehabilitationsmaßnahmen sind weitere Studien zum Rehabilitationszugang erforderlich, die gleichermaßen regionale und individuelle Lebensverhältnisse sowie systemimmanente Barrieren berücksichtigen. Die Ergebnisse tragen zu einer bedarfsgerechten Versorgung von Kindern und Jugendlichen, die angesichts der demografischen Entwicklung besonders bedeutsam ist, bei.


Literatur

1.
Diagnosedaten der Vorsorge- oder Rehaeinrichtungen mit mehr als 100 Betten nach Jahr, Altersgruppe und Wohnort. Online unter: http://www.gbe-bund.de Externer Link