gms | German Medical Science

14. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

7. - 9. Oktober 2015, Berlin

„Es geht ja noch“ – Einflussfaktoren auf die Inanspruchnahme von ehrenamtlichen Unterstützungsangeboten für Menschen mit Demenz und ihre betreuenden Angehörigen

Meeting Abstract

  • Andrea Leipold - Hochschule Fulda, Fulda, Deutschland
  • Daphne Hahn - Hochschule Fulda, Fulda, Deutschland
  • Ilse Heberlein - Hochschule Fulda, Fulda, Deutschland
  • Klaus Stegmüller - Hochschule Fulda, Fulda, Deutschland
  • Miguel Nemelka - Hochschule Fulda, Fulda, Deutschland

14. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung. Berlin, 07.-09.10.2015. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2015. DocP071

doi: 10.3205/15dkvf161, urn:nbn:de:0183-15dkvf1612

Veröffentlicht: 22. September 2015

© 2015 Leipold et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Gliederung

Text

Hintergrund: Wie kann eine ländliche Region der Herausforderung begegnen, dass aufgrund des demographischen Wandels die Zahl demenziell erkrankter Menschen ansteigt und familiäre Pflegepotentiale abnehmen? Ein gemeinnütziger Verein, der durch vielfältige ehrenamtliche Aktivitäten das soziale Miteinander in seiner Heimatregion stärken möchte, nahm sich dieser Frage an. Er fungierte als Träger eines Modellvorhabens nach § 45c und § 45d SGB XI und führte von 2011 bis 2014 ein Projekt zur Prävention, Begleitung und Unterstützung bei Demenz durch. Es wurden niedrigschwellige, regional bisher nicht verfügbare Angebote für Menschen mit Demenz und ihre betreuenden Angehörigen eingerichtet. Der Ausbau dieser ehrenamtlichen Unterstützung ergänzt vorhandene professionelle Versorgungsstrukturen. Ziel war es, die häusliche Versorgung demenzerkrankter Menschen nachhaltig zu stärken und ihre Angehörigen zu entlasten.

Fragestellung: Mit der ehrenamtlichen aufsuchenden Demenzbegleitung und einer Angehörigengruppe standen zwei zentrale Angebote des Projektes im Fokus der wissenschaftlichen Evaluation. Eine wesentliche Bedeutung hatte die Forschungsfrage, welche fördernden bzw. hemmenden Faktoren deren Inanspruchnahme beeinflussen können. Weitere Bewertungskriterien waren Durchführbarkeit, Innovationsgehalt, präventive Effekte, Nachhaltigkeit und Übertragbarkeit der entwickelten Unterstützungsmöglichkeiten.

Methode: Die wissenschaftliche Begleitung erfolgte nach dem Ansatz der formativen und summativen Evaluation. In einem Methoden-Mix-Design wurden Experteninterviews, Gruppendiskussionen, teilnehmende Beobachtung und standardisierte schriftliche Befragungen eingesetzt. Die qualitativen Daten wurden nach der Grounded Theory ausgewertet, die Analyse der quantitativen Daten erfolgte mithilfe deskriptiver statistischer Verfahren. Vielfältige Zielgruppen wie hauptamtliche Mitarbeitende des Trägervereins, betreuende Angehörige, ehrenamtliche Betreuungskräfte, ambulante Pflegedienste und die Bevölkerung waren in die Evaluation einbezogen. Die Triangulation von Methoden und die Perspektiven verschiedener Akteursgruppen ermöglichten es, die Forschungsergebnisse im Projektverlauf zu verdichten.

Ergebnisse: Bereits wenige Monate nach Projektbeginn konnten die ehrenamtliche Demenzbegleitung, eine Angehörigengruppe sowie niedrigschwellige Beratungsmöglichkeiten eingeführt werden. Die Angebote sind aus Sicht der Begleitforschung als durchführbar, innovativ und bedarfsgerecht zu bewerten. Jedoch war die Zahl ihrer Nutzerinnen und Nutzer sehr gering. Die Evaluationsergebnisse verweisen auf vielfältige Faktoren, die eine Inanspruchnahme hemmen. Das Wissen über Demenz, deren Stigmatisierung und Tabuisierung, Rollenerwartungen an Angehörige sowie der Bekanntheitsgrad der Angebote sind wesentliche Barrieren. Als wichtiger Türöffner, um den Zugang zu erleichtern, ist die im letzten Projektjahr eingeleitete Kooperation mit ambulanten Pflegediensten zu betrachten.

Diskussionen: Die identifizierten Barrieren führen dazu, dass Unterstützung außerhalb des privaten Umfeldes häufig erst in Anspruch genommen wird, wenn betreuende Angehörige bereits stark belastet sind. Die stundenweise Entlastung durch die ehrenamtliche Demenzbegleitung oder der Besuch einer Angehörigengruppe können dann als nicht mehr bedürfnisgerecht wahrgenommen und daher nicht genutzt werden. Daraus folgt der Bedarf, bei betroffenen Familien das Bewusstsein zu fördern, dass niedrigschwellige Angebote bereits präventiv in Anspruch genommen werden können, um die Stabilität des Versorgungsarrangements zu bewahren. Zu bilanzieren ist, dass im Modellvorhaben die Kraft der bereits aus der Forschungsliteratur bekannten Barrieren unterschätzt und nachfragefördernde Faktoren wie die breite Verankerung des Vereins in der Bevölkerung oder eine flexible, klientenorientierte Gestaltung der Angebote überschätzt wurden. Limitiert wird die Untersuchung durch geringe Samplegrößen und die selektive Auswahl von Forschungsteilnehmerinnen und -teilnehmern.

Praktische Implikationen: Um Nutzungsbarrieren in der niedrigschwelligen Unterstützung häuslich versorgter Menschen mit Demenz aktiv zu begegnen, ist ein Zeitraum von drei Jahren als zu kurz anzusehen. Eine längere Projektlaufzeit könnte eine nachhaltige Etablierung neuer ehrenamtlicher Angebote unterstützen. Eine Kooperation zwischen ehrenamtlichen Angeboten und professionellen Versorgungsstrukturen wie ambulanten Pflegediensten oder Hausärztinnen und -ärzten kann den Zugang zur niedrigschwelligen Unterstützung erleichtern. Die Öffentlichkeitsarbeit ist adressatengerecht zu gestalten, um das Wissen über Demenzerkrankungen und die Bekanntheit niedrigschwelliger Unterstützung zu fördern. Informationen zu den Angeboten sollten kontinuierlich kommuniziert werden, um die Zielgruppen dann zu erreichen, wenn bei ihnen ein Informationsbedarf vorliegt.