gms | German Medical Science

14. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

7. - 9. Oktober 2015, Berlin

Häufigkeit und Erkennen der Generalisierten Angststörung in der primärärztlichen Versorgung

Meeting Abstract

  • Lisa Knothe - Institut für Klinische Psychologie und Psychotherapie, Behaviorale Epidemiologie, TU Dresden, Deutschland
  • Katja Beesdo-Baum - Institut für Klinische Psychologie und Psychotherapie, Behaviorale Epidemiologie, TU Dresden, Deutschland
  • Susanne Knappe - Institut für Klinische Psychologie und Psychotherapie, TU Dresden, Deutschland
  • Diana Pietzner - Institut für Klinische Psychologie und Psychotherapie, Behaviorale Epidemiologie, TU Dresden, Deutschland

14. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung. Berlin, 07.-09.10.2015. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2015. DocP009

doi: 10.3205/15dkvf150, urn:nbn:de:0183-15dkvf1503

Veröffentlicht: 22. September 2015

© 2015 Knothe et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Gliederung

Text

Hintergrund: Die Generalisierte Angststörung (GAS) ist eine durch übermäßige und unkontrollierbare Ängste und Sorgen charakterisierte psychische Störung. Sie tritt häufig in der Allgemeinbevölkerung auf (Lebenszeitprävalenz ca. 5%, 12-Monatsprävalenz: 2–3%) und verläuft zumeist chronisch. Aufgrund der meist ausgeprägten Begleitsymptomatik wie etwa Schlaf- und Konzentrationsstörungen ersuchen Betroffene oft Hilfe in der primärärztlichen Versorgung. Bisherige Studien verweisen allerdings darauf, dass die psychischen Ursachen dieser Symptomatik oft unentdeckt und unbehandelt bleiben. Somit stellt die Störung das medizinische Versorgungssystem vor eine besondere Herausforderung.

Fragestellung: Wie häufig ist die GAS in der primärärztlichen Versorgung in Deutschland? Bei wie vielen und welchen Patienten mit GAS erkennt der Arzt eine Angststörung, bei wie vielen zumindest eine psychische Störung?

Methodik: Im Rahmen einer versorgungsepidemiologischen Studie wurden in fünf nach Repräsentativitätskriterien gewählten Regionen Deutschlands 269 Hausärzte, Allgemeinärzte, und hausärztlich tätige Internisten mit 3.563 unausgelesenen Patienten an einem Stichtag mittels Fragebogen untersucht. Für 3.015 Patienten liegen Screening-Daten bezüglich der Generalisierten Angststörung vor (Anxiety Screening Questionnaire, ASQ; ergänzt durch verhaltensbezogene Symptome). Das Vorliegen einer Angststörung sowie anderer psychischer Störungen wurde durch den Arzt in einem Arztfragebogen beurteilt. Es wurde ermittelt, wie viele Patienten, die aufgrund des ASQ aktuell als GAS-Patienten diagnostiziert wurden, vom Arzt 1.) richtig hinsichtlich der Diagnose einer Angststörung oder 2.) zumindest als psychischer Fall (irgendeine psychische Störung) erkannt wurden. Soziodemografische Merkmale auf Seiten der Patienten sowie Merkmale auf Seiten des Arztes wurden regressionsanalytisch als Prädiktoren guter Erkennensraten untersucht. Weiterhin wurde mittels logistischer Regression analysiert, ob GAS-typische Verhaltensweisen wie Rückversicherung, Sicherheitsverhalten, aktive und gedankliche Vermeidung sowie Prokrastination, mit dem Erkennen assoziiert sind.

Ergebnisse: Die mit ASQ ermittelte 12-Monats-Prävalenz einer GAS (nach DSM-5 Kriterien) betrug 5,9%. Die 1-Monats-Prävalenz war mit 5,6%, wie bei einer chronischen Erkrankung zu erwarten, nur unwesentlich geringer. Bei 36,4% der betroffenen Patienten wurde durch den Arzt eine aktuelle Angststörung (sicher/unterschwellig) diagnostiziert. Bei 74,4% der GAS-Fälle erkannten die Ärzte das Vorliegen einer psychischen Störung. Einige Patientenvariablen wie Angstprobleme oder Depression als Anlass des Arztbesuches, das aktuelle Vorliegen einer Depression sowie das Vorliegen einer größeren Anzahl behavioraler GAS-Symptome waren mit dem Erkennen einer Angststörung durch den Arzt assoziiert. Für Arztvariablen wie die Erfahrung (Anzahl der Praxisjahre) oder die Anzahl an Weiterbildungen zu psychischen Störungen zeigten sich keine Assoziationen.

Diskussion: Die Ergebnisse zur Prävalenz bestätigen die Bedeutung der GAS in der primärärztlichen Versorgung. Im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung tritt die GAS bei Hausarztpatienten ca. doppelt so häufig auf. Die Prävalenzen entsprechen Befunden einer in Deutschland im Jahr 2001 durchgeführten Studie zur GAS im primärärztlichen Bereich (GAD-P-Studie). Obgleich drei von vier der betroffenen Patienten zumindest als „psychischer Fall“ erkannt werden, so scheint die diagnostische Unsicherheit im Erkennen der GAS als Angststörung noch immer erheblich zu sein. Eine entsprechend indizierte Behandlung wird somit bei vielen Betroffenen nicht (frühzeitig) eingeleitet. Im Hinblick auf das hohe Chronifizierungsrisiko dieser Störung besteht hier ein deutlicher Verbesserungsbedarf.

Praktische Implikationen: Ein wesentlicher Schritt besteht darin, die GAS überhaupt als solche zu erkennen, um anschließend eine adäquate Behandlung einleiten zu können. Unter Berücksichtigung der begrenzten Zeit, die Ärzten pro Patient zur Verfügung steht, erscheint der Einsatz kurzer Screening-Instrumente oder Checklisten für psychische Störungen hilfreich und nützlich; ebenso Maßnahmen für Patienten (z.B. psychoedukative Materialien), die dazu beitragen könnten, psychische Beschwerden wie Angst und Sorgen und damit einhergehende Verhaltensweisen beim Hausarzt explizit anzusprechen.