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14. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

7. - 9. Oktober 2015, Berlin

Prospektiv-randomisierte Studie zur telemedizinischen Betreuung von psychiatrischen Patienten mit Telefonkontakten und SMS-Nachrichten

Meeting Abstract

  • Neeltje van den Berg - Universitätsmedizin Greifswald, Institut für Community Medicine, Abt. Versorgungsepidemiologie und Community Health, Greifswald, Deutschland
  • Hans Grabe - Universitätsmedizin Greifswald, Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Greifswald, Deutschland
  • Sebastian Baumeister - Universitätsklinikum Regensburg, Institut für Epidemiologie und Präventivmedizin, Regensburg, Deutschland
  • Harald Freyberger - Universitätsmedizin Greifswald, Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Greifswald, Deutschland
  • Wolfgang Hoffmann - Universitätsmedizin Greifswald, Institut für Community Medicine, Abt. Versorgungsepidemiologie und Community Health, Greifswald, Deutschland

14. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung. Berlin, 07.-09.10.2015. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2015. DocFV54

doi: 10.3205/15dkvf142, urn:nbn:de:0183-15dkvf1425

Veröffentlicht: 22. September 2015

© 2015 van den Berg et al.
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Gliederung

Text

Hintergrund: Die Prävalenzen psychiatrischer Erkrankungen sind in Deutschland, wie in vielen anderen Ländern, sehr hoch. Die DEGS-Studie zeigte eine Lebenszeitprävalenz von 43% für psychiatrische Erkrankungen, die Häufigsten sind Depression, somatoforme und Angststörungen. Die Behandlungsraten sind gering, z. B. wurde in der Region Vorpommern in der SHIP-Studie eine Behandlungsrate von 20% ermittelt. Insbesondere in ländlichen Regionen gibt es in vielen Fällen Lücken in der ambulanten Betreuung psychiatrischer Patienten. Telemedizinische Betreuungskonzepte können diese Lücken überbrücken.

Fragestellung: Kann mit einer telemedizinischen Intervention, bestehend aus telefonischen Kontakten und SMS-Nachrichten, eine Verbesserung der Scores (Schweregrade) der Symptomskalen des Instruments BSI-18 für Angst, Depressivität und Somatisierung erreicht werden?

Methoden: Es wurde eine drei-armige, prospektiv-randomisierte Studie durchgeführt. Eingeschlossen wurden Patienten mit Diagnosen in den Bereichen Depression, Angst-, Anpassungs- und somatoforme Störungen, die kurz vor der Entlassung aus einer psychiatrischen Tagesklinik standen. Ausschlusskriterien waren geplante Wiederaufnahmen in der Tagesklinik sowie Patienten mit wiederkehrenden Suizidkrisen oder mit manifestem Selbstverletzungsverhalten. Die Interventionen bestanden aus regelmäßigen Telefonaten (Studienarm 1) oder aus Telefonaten und zusätzlichen SMS-Nachrichten (Studienarm 2). Die Telefonate wurden von Pflegekräften durchgeführt und bestanden aus einem standardisierten Teil mit Fragen zu Symptomen, Inanspruchnahme medizinischer Leistungen und Medikation sowie aus einem frei gestaltbaren Teil, in dem über wichtige Themen und Ereignisse im Leben des Patienten gesprochen wurde. In den SMS-Nachrichten wurden aktuelle Ereignisse angesprochen. Der dritte Studienarm war eine Vergleichsgruppe mit üblicher Betreuung. Der Interventionsdauer betrug 6 Monate. Die Scores zu Angst, Depression und Somatisierung der Interventionspatienten wurden nach 6 Monaten mit den Patienten der Kontrollgruppe auf der Basis von Kovarianzanalysen verglichen. Zusätzlich wurde eine Sensitivitätsanalyse mit den 75% Patienten mit den höchsten Scores zu Baseline für die jeweiligen Symptomskalen durchgeführt.

Ergebnisse: Es wurden 123 Patienten in die Studie eingeschlossen (71,5% Frauen, Durchschnittsalter 44,0 Jahre). 91,0% der Teilnehmer hatte eine affektive Störung (ICD10 F30-F39), 45,9% eine neurotische, Belastungs- oder somatoforme Störung (ICD10 F40-F48).

Bei 113 Teilnehmern konnte nach 6 Monaten die Follow-up Analyse durchgeführt werden. Der Score für Angst war in der zweiten Studienarm (Telefonate und SMS-Nachrichten) nach 6 Monaten 2,04 Punkte niedriger als in der Kontrollgruppe (p=0,042). Bei Depression zeigte der erste Studienarm (nur Telefonate) die besten Ergebnisse (-1,73 im Vergleich zur Kontrollgruppe; p=0,097). Die Scores für Somatisierung zeigten keine Unterschiede zwischen den Studienarmen.

Die Sensitivitätsanalyse mit den 75% Patienten mit den höchsten Scores zu Baseline zeigte signifikante Effekte für Angst für den zweiten Interventionsarm (p=0,036) und für Depression für den ersten Interventionsarm (p=0,046).

Diskussion: Es wurden zwei niedrigschwellige telemedizinische Interventionen in einer randomisierten Studie analysiert mit insgesamt guten Ergebnissen für Patienten mit Depression und Angststörungen. Die Interventionen folgten direkt auf die teilstationäre Therapie, es wurden damit Lücken in der Behandlung vorgebeugt. Es wurde eine breite Patientengruppe mit verschiedenen Diagnosen eingeschlossen. Eine Limitation der Studie war, dass deshalb keine krankheitsspezifischen Messinstrumente angewendet werden konnten, mit denen die Effekte wahrscheinlich präziser hätten gemessen werden können.

Praktische Implikationen: Das Versorgungskonzept wurde nach der erfolgreichen Evaluation in Kooperation mit 6 psychiatrischen Institutsambulanzen und Tageskliniken in der Region Vorpommern als Regelversorgung fortgeführt. Weiter wurde die Intervention weiterentwickelt für Patienten mit schweren psychiatrischen Erkrankungen (Schizophrenie, bipolare Störungen).