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14. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

7. - 9. Oktober 2015, Berlin

Prävalenz und Trends in der Anwendung verordneter Arzneimittel und in der Selbstmedikation

Meeting Abstract

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  • Hildtraud Knopf - Robert Koch-Institut, Epidemiologie und Gesundheitsberichterstattung, Berlin, Deutschland

14. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung. Berlin, 07.-09.10.2015. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2015. DocV105

doi: 10.3205/15dkvf117, urn:nbn:de:0183-15dkvf1176

Veröffentlicht: 22. September 2015

© 2015 Knopf.
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Gliederung

Text

Hintergrund: Arzneimittel sind eine wesentliche Säule in der Prävention und Therapie von Krankheiten. Sie sind deshalb zur Einschätzung der Morbidität und dem damit verbundenen Versorgungsgeschehen auf Bevölkerungsebene unerlässlich und von hoher Public-Health-Relevanz. Ergebnisse zum Arzneimittelgebrauch, die neben der ärztlich verordneten Medikation den Bereich der Selbstmedikation einschließen, stehen für Deutschland nur durch die Gesundheitssurveys des Robert Koch Instituts zur Verfügung.

Fragestellung: Wie hoch ist die Prävalenz der Verordnungs- und Selbstmedikation und wie haben sich Verordnungs- und Selbstmedikation zwischen dem Bundes-Gesunheitssurvey 1998 (BGS98) und der Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland Welle 1 (DEGS1, 2008–2011) entwickelt?

Methode: Aus BGS98 liegen Angaben zur Arzneimittelanwendung für 7099 und aus DEGS1 für 7.091 Frauen und Männer im Alter von 18 bis 79 vor. Der aktuelle Arzneimittelgebrauch (in den letzten 7 Tagen vor der Untersuchung) wurde in einem standardisierten Computer assistierten persönlichen Interview (CAPI) erfasst. Die erfassten Präparate wurden mit der deutschen Version der Anatomisch-Therapeutisch-Chemischen (ATC) Klassifikation kodiert [1]. Unter verschriebener Medikation wurden alle von einer Ärztin/einem Arzt oder von einer Heilpraktikerin/einem Heilpraktiker verordneten und alle aus der Hausapotheke stammenden, ehemals verordneten Medikamente zusammengefasst. Eine Selbstmedikation beinhaltete ohne Rezept selbst gekaufte Präparate (OTC: Over The Counter) und Präparate aus der Hausapotheke, die nicht verschrieben worden waren. Die Analyse der Daten erfolgte mit Complex sample der SPSS Version 20. Signifikanz wurde mittels 95% Konfidenzintervallen und p-Werten geprüft.

Ergebnisse: In DEGS1 haben 38,8% der Teilnehmenden Arznei- und Nahrungsergänzungsmittel in Selbstmedikation und 58,8% nach Verordnung angewendet. Die Anwendungsprävalenz verordneter Medikation wird stark durch die Einnahme von ACE-Hemmern (ATC-Kode C09: 17,5%) und Beta-Rezeptoren-Blockern (ATC-Kode C07: 13,9%) beeinflusst. Auf den weiteren Rängen folgen Präparate zur Schilddrüsentherapie (ATC-Kode H03: 11,6%) sowie Sexualhormone und Modulatoren des Genitalsystems (ATC-Kode G03: 10,8%). In Selbstmedikation werden am häufigsten Präparate aus der ATC-Gruppe V06 (17,6%) angewendet. Hier bestimmen vor allem Nahrungsergänzungsmittel die Anwendungsprävalenz. Am zweithäufigsten werden mit 8,6% Analgetika (ATC Kode N02) eingenommen. Eine Selbstmedikation mit Antiphlogistika/Antirheumatika (ATC Kode M01) ist bei 4,3% der Studienpopulation zu verzeichnen, Husten und Erkältungspräparate (ATC Kode R05) werden zu 3,1% ohne Verordnung angewendet. Im zeitlichen Vergleich zwischen BGS98 und DEGS1 zeigt sich, dass die Prävalenz der Verordnunsmedikation nahezu unverändert geblieben (BGS98: 57,5%, DEGS1: 58,8%), die der Selbstmedikation signifikant angestiegen ist (BGS98: 31,2%, DEGS1: 38,8%). Obwohl die Prävalenz verordneter Medikation im zeitlichen Verlauf fast gleich geblieben ist, lassen sich für einzelne Arzneimittelgruppen Veränderungen beobachten: So hat sich z. B. die Anwendung von Lipidsenkern (ATC-Kode C10) von 5,6% auf 9,9% (p<0,001) nahezu verdoppelt. Im Gegensatz dazu ist die Anwendung menopausaler Hormontherapie bei Frauen im Alter von 40 bis 59 Jahren von 22,2% in BGS98 auf 7,9% (p<0,001) in DEGS1 zurückgegangen. In der Selbstmedikation sind u. a. bei der Anwendung von Schmerzmitteln (BGS98 10,0%; DEGS1: 12,2%) [2] sowie bei Vitamin-, Mineralstoffpräparaten und/oder Nahrungsergänzungsmitteln (BGS98: 12,3%; DEGS1: 19,3%) signifikante Anstiege zu verzeichnen.

Diskussion: Die Daten der bundesweiten Gesundheitssurveys liefern sowohl valide Informationen zur tatsächlichen Arzneimittelexposition ambulant versorgter Gruppen als auch zum Ausmaß von Verordnungs- und Selbstmedikation. Wiederholte Erhebungen repräsentativer Querschnittsdaten erlauben zudem Einschätzungen der Arzneimittelanwendung im Trend. Die Beurteilung des Arzneimittelanwendungsverhaltens unter Einschluss der Selbstmedikation ist vor allem unter dem Aspekt der Arzneimittelsicherheit relevant. Beim Einsatz von Arzneimitteln in Selbstmedikation zusätzlich zu verordneter Medikation kommt es nicht selten zu Multimedikation, die dem behandelnden Arzt oft nicht bekannt ist [3].


Literatur

1.
Wissenschaftliches Institut der AOK. Amtlicher ATC-Index mit DDD-Angaben für das Jahr 2008.
2.
Sarganas G, Buttery AK, Zhuang W, Wolf IK, Grams D, Schaffrath-Rosario A, Scheidt-Nave C, Knopf H. Prevalence, trends, patterns and associations of prescription and OTC analgesic use among adults in Germany. BMC pharmacol and toxycol. 2015 (submitted).
3.
Eichenberg C, et al. [Self-Medication – A Nationwide Representative Survey on Motives, Reasons and Sources on Consuming Over-the-Counter Medication]. Psychother Psychosom Med Psychol. 2015.