gms | German Medical Science

14. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

7. - 9. Oktober 2015, Berlin

Soziale Unterschiede in der Inanspruchnahme ambulant-ärztlicher Leistungen

Meeting Abstract

Suche in Medline nach

  • Petra Rattay - Robert-Koch-Institut, Epidemiologie und Gesundheitsberichterstattung, Berlin, Deutschland

14. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung. Berlin, 07.-09.10.2015. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2015. DocV104

doi: 10.3205/15dkvf116, urn:nbn:de:0183-15dkvf1164

Veröffentlicht: 22. September 2015

© 2015 Rattay.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Gliederung

Text

Hintergrund: Personen mit einem niedrigen sozioökonomischen Status (SES) sind häufiger von chronischen Krankheiten und Gesundheitsproblemen betroffen als Personen mit höherem SES. Infolgedessen haben sie auch einen höheren Bedarf an Leistungen des medizinischen Versorgungssystems. Internationale und nationale Studien legen nahe, dass Personen mit niedrigem SES häufiger hausärztliche und seltener fachärztliche Leistungen in Anspruch nehmen als Personen mit hohem SES. Allerdings ist die Vergleichbarkeit internationaler Ergebnisse aufgrund der Unterschiedlichkeit der Gesundheitssysteme begrenzt.

Fragestellung:

Zeigen sich in Deutschland aktuell in der Inanspruchnahme ambulant-ärztlicher Leistungen Unterschiede nach dem SES? Bestehen hierbei Unterschiede zwischen Allgemeinmedizinern und spezialisierten Facharztgruppen?

Haben SES-Unterschiede in der Inanspruchnahme auch nach Berücksichtigung des Versorgungsbedarfs, der Art der Krankenversicherung sowie der regionalen Arztdichte Bestand?

Methode: Datenbasis bildet die DEGS1-Studie, die von 2008 bis 2011 vom Robert Koch-Institut durchgeführt wurde. Die Stichprobe wurde zum einen über die Einwohnermeldeämter gezogen, zum anderen durch ehemalige Teilnehmer des Bundes-Gesundheitssurveys 1998 (BGS98) ergänzt. Die Response betrug bei den Ersteingeladenen 42% und bei den ehemaligen Teilnehmern des BGS98 62%. Im Altersbereich von 18 bis 69 Jahren nahmen 6754 Personen teil.

Die Daten zur Inanspruchnahme ambulant-ärztlicher Leistungen sowie zum SES wurden im schriftlichen Fragebogen erhoben. Der SES wurde mit einem mehrdimensionalen Index erfasst, der auf Angaben zu Bildungsabschlüssen, zur beruflichen Stellung sowie zum Netto-Äquivalenzeinkommen basiert.

Assoziationen zwischen der 12-Monats-Kontaktquote (Anteil von Personen mit mindestens einem Arztkontakt) und dem SES wurden mittels binär logistischer Regressionen untersucht. Zur Beurteilung von Assoziationen zwischen dem SES und der 12-Monats-Kontakthäufigkeit (durchschnittliche Kontaktzahl von Personen mit Arztkontakt) wurden zero-truncated Negativ-Binomial-Regressionen für Zähldaten berechnet.

In den Regressionsmodellen wurde schrittweise für soziodemografische Merkmale, gesundheitsbezogene und medizinische Bedarfsfaktoren, die Art der Krankenversicherung und die regionale Hausarzt-, Facharzt- und Psychotherapeutendichte kontrolliert.

Ergebnisse: Für die Allgemeinmedizin findet sich sowohl bei Frauen als auch bei Männern der niedrigen und mittleren Statusgruppe eine höhere Kontaktquote als in der hohen Statusgruppe, welche bei Männern mit niedrigem SES jedoch nicht statistisch signifikant ausfällt. Suchen Frauen und Männer der niedrigen und mittleren Statusgruppe einen Allgemeinmediziner auf, liegt die Kontakthäufigkeit signifikant höher als bei denjenigen mit hohem SES. Die Adjustierung für Bedarfsfaktoren führt zwar zu einer Verringerung der statusspezifischen Unterschiede. Aber auch nach zusätzlicher Kontrolle für die Krankenversicherungsart bleibt die Kontakthäufigkeit bei Frauen und Männern mit niedrigem SES gegenüber denjenigen mit hohem SES signifikant erhöht.

Für spezialisierte Facharztgruppen zeigen sich bei Männern und Frauen zunächst keine signifikanten SES-Unterschiede in der Kontaktquote. Werden bei Frauen allerdings Bedarfsfaktoren kontrolliert, liegt die Kontaktquote bei Frauen mit niedrigem und mittlerem SES signifikant niedriger als bei Frauen mit hohem SES. In der Kontakthäufigkeit zeichnen sich nach Kontrolle des Bedarfs weder bei Frauen noch bei Männern signifikante SES-Unterschiede ab. Alle genannten Assoziationen bleiben auch nach zusätzlicher Kontrolle für die regionalen Arztdichten bestehen.

Diskussion: Die vorliegenden Ergebnisse weisen darauf hin, dass Personen mit niedrigem SES bei ähnlichem Bedarf häufiger Allgemeinmediziner in Anspruch nehmen als Personen mit hohem SES und dass Frauen mit hohem SES bei ähnlichem Bedarf eher spezialisierte Facharztgruppen aufsuchen als Frauen mit niedrigem SES. Auffällig sind die geschlechtsspezifischen Unterschiede bei spezialisierten Facharztgruppen. Die Inanspruchnahme ambulant-ärztlicher Leistungen erfordert somit eine differenzierte Betrachtung nach Geschlecht und medizinischen Fachgebieten.

Mögliche Erklärungsansätze für SES-Unterschiede in der Inanspruchnahme verschiedener Arztgruppen könnten in unterschiedlichen Präferenzen auf Seiten der Patienten, einer unterschiedlichen Steuerung auf Seiten der Ärzte und einer unterschiedlichen Arzt-Patienten-Kommunikation liegen. Auch finanzielle Zuzahlungen (Praxisgebühr, IGEL-Leistungen) könnten eine Rolle spielen.

Es bleibt zu diskutieren, inwieweit die statusspezifischen Inanspruchnahmemuster Hinweise auf eine nicht bedarfsgerechte Versorgung bzw. Versorgungsungleichheiten geben. Neben der Quantität der Inanspruchnahme sollte künftig auch untersucht werden, inwieweit sich die Qualität der Versorgung mit dem SES der Patienten unterscheidet.