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14. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

7. - 9. Oktober 2015, Berlin

Von der Evidenzsynthese zur Innovation in der Versorgung: Eine Potenzialanalyse zur aufrechten Geburt als Grundlage für eine randomisiert-kontrollierte Interventionsstudie.

Meeting Abstract

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  • Gertrud M. Ayerle - Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Medizinische Fakultät, Institut für Gesundheits- und Pflegewissenschaft, Halle (Saale), Deutschland
  • Elke Mattern - Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Medizinische Fakultät, Institut für Gesundheits- und Pflegewissenschaft, Halle (Saale), Deutschland

14. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung. Berlin, 07.-09.10.2015. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2015. DocV13

doi: 10.3205/15dkvf017, urn:nbn:de:0183-15dkvf0171

Veröffentlicht: 22. September 2015

© 2015 Ayerle et al.
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Gliederung

Text

Hintergrund: Für die Ermittlung und Darstellung eines versorgungsrelevanten Gesundheitsproblems eignet sich der forschungsmethodische Leitfaden zur Erstellung einer Potenzialanalyse [1].

In der Potenzialanalyse zur aufrechten Gebärhaltung bei physiologischen Geburten in deutschen Kreißsälen [2], die in der Zeitschrift für Evidenz, Fortbildung und Qualität im Gesundheitswesen (ZEFQ) publiziert wurde, wird beschrieben, wie eine aufrechte Gebärhaltung – im Vergleich zu einer liegenden Gebärhaltung – Komplikationen bei der Geburt reduzieren und das subjektive Empfinden der Frau in Erinnerung an die Geburt positiv beeinflussen kann.

Zahlen von AQUA zeigen, dass fast die Hälfte aller Frauen in Deutschland Ihr Kind liegend oder halb sitzend gebären. Auch in ärztlich geleiteten Kreißsälen werden Gebärende, mit geplanter Spontangeburt im Kreißsaal, primär durch eine Hebamme betreut. Die Hebamme leitet an und koordiniert medizinisch notwendige Untersuchungen mit dem Wunsch der Frau, sich zu bewegen oder zu ruhen. Für Deutschland liegen keine Zahlen vor, ob sich die Komplikationsraten der Geburt bei liegender und aufrechter Gebärhaltung unterscheiden.

Ziel:

a) Nahziel war die Erstellung einer Potenzialanalyse.
b) Mittelfristiges Ziel war die Ausarbeitung eines Studienprotokolls mit dem Design einer randomisiert kontrollierten Studie (RCT) zur Förderung der Raten spontaner Geburten bei schwangeren Frauen im Geburtszeitraum (> 37+0 Schwangerschaftswochen).
c) Langfristiges Ziel war, eine ausführliche Skizze zum Projekt „BE-UP“ [3] im Rahmen der Ausschreibung „Klinische Studien mit hoher Relevanz für die Patientenversorgung“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) einzureichen, nachdem die Projektskizze durch ein interdisziplinäres Gutachtergremium in der ersten Runde des zweistufigen Antragverfahrens positiv begutachtet worden war.

Entsprechend des Leitfadens des Deutschen Cochrane Zentrums wurden das Gesundheitsproblem, die Folgen für die Gesellschaft und der Versorgungsstatus in Deutschland beschrieben. Die sich daraus ergebende Fragestellung wurde durch das PICOS-Schema präzisiert und dessen Schlüsselwörter für die strukturierte internationale Recherche genutzt. Ein Cochrane-Review, vier zeitlich nachfolgende RCTs und eine Fall-Kontroll-Studie wurden zur Wertung identifiziert. Die Klientenzentrierten Endpunkte im Cochrane-Review waren nach GRADE bewertet. Evidenzlücken und Ergebnisse mit noch fehlender Bewertung nach GRADE, Aussagen zu Kosten und Langzeitwirkungen wurden beschrieben. Für die Forschungsempfehlung wurden die Wertung der Ergebnisse, Bedürfnisse der betroffenen Klientel und die aktuelle Versorgungspraxis in Deutschland berücksichtigt.

Die methodischen Aspekte zur Erstellung des Studienprotokolls wurden unter Beteiligung von Nutzerinnen und Hebammen konzipiert: Design der individuell randomisierten kontrollierten Studie mit mindestens 20 geburtshilflichen Abteilungen in Nordrhein Westfalen und Sachsen Anhalt als Kooperationspartner, individuelle Ein- und Ausschlusskriterien, die komplexe Intervention, die Durchführung und Messgrößen.

Ergebnisse: Dass eine überwiegend aufrechte Haltung Gebärender zum Erleben einer interventionsarmen physiologischen Geburt beiträgt mit Vorteilen für Mutter und Kind, ist evident. WHO, britische Leitlinien und der Expertinnenstandard in Deutschland empfehlen aufgrund der Studienlage, dass alle Frauen die von ihnen gewünschte Position einnehmen sollen mit dem expliziten Hinweis durch Fachpersonen, dass eine liegende oder halbsitzende Position in der Austreibungsphase möglichst zu vermeiden sei. Frauen mit und ohne Schwangerschaftsrisiken, die im Geburtszeitraum entbinden und bei denen eine Spontangeburt geplant ist, können von der aufrechten Gebärhaltung profitieren. Als Zielgruppe zur Randomisierung wurden daher Erst- und Mehrgebärende im Geburtszeitraum mit Einlingsschwangerschaft und einer geplanten Spontangeburt bestimmt, die sich in der aktiven Eröffnungsphase der Geburt im Kreißsaal befinden. Kriterien zum Ausschluss waren Gebärende, die sich bereits in der Geburtsphase befinden, Frauen mit Gestosen, mit einer Totgeburt oder einem schwerkranken Feten und Frauen mit dem Wunsch nach einer Wassergeburt.

Wenig wird in den Studien des Cochrane-Reviews berichtet über die Ausstattung des Kreißsaals und über die Unterstützung der Frauen durch die Hebammen. Positive Effekte von Mobilität wurden in anderen Cochrane-Reviews in der Eröffnungsphase und in alternativen Kreißsälen ohne prodominantes Gebärbett berichtet. Die Umgebung motiviert sowohl die Gebärenden als auch das Personal.

Für die Interventionsgruppe der geplanten Studie wurde daher ein umgestalteter Kreißsaal geplant mit Elementen, die zu aufrechten Positionen einladen. Die Hebammen sollten ihre Kompetenzen in einer Schulung zur Unterstützung Gebärender in aufrechten Haltungen erweitern. In der Kontrollgruppe erhielten die Gebärenden die zurzeit übliche Betreuung.

Das primäre Outcome war die vaginale Geburt, sekundäre Outcomes waren Interventionen während der Geburt und der Nabelschnur-pH <7,0. Dies entspricht den Outcome-Maßen bisheriger Studien.

Selbstwirksamkeit, Selbstbestimmung und Angsterleben werden als bedeutende Themen der Geburtserfahrung beschrieben. Langzeitwirkungen auf die Beziehung zum Kind, zum Partner und auf eine folgende Geburt sind aber zu wenig untersucht. In zwei Cochrane-Reviews wird eine standardisierte Messung der Zufriedenheit der Mütter mit der Geburt angemahnt. Für die geplante Studie wurde daher die Befragung mit einem validierten Assessment, der Labour Agentry Scale, LAS, geplant. Damit sollte drei Monate postpartum die Zufriedenheit der Frauen mit ihrer Geburt erhoben werden.

Eine Potenzialanalyse ist als Vorarbeit zur Erstellung einer ausführlichen Projektskizze geeignet. Cochrane-Reviews und weitere Studien aus den letzten Jahren ließen die Vermutung zu, dass die Umgestaltung des Kreißsaals die Implementation aufrechter Gebärhaltungen unterstützt und zur Erhöhung der Rate an Spontangeburten beiträgt, so dass weniger Gebärende rekrutiert werden müssen. Unseren Recherchen zufolge muss der komplexe Prozess der Geburt durch eine komplexe Intervention beforscht werden.


Literatur

1.
Voigt-Radloff S, Stemmer R, Behrens J, Horbach A, Ayerle GM, Schäfers R, Binnig M, Mattern E, Heldmann P, Wasner M, Braun C, Marotzki U, Kraus E, George S, Müller C, CorstenS, Lauer N, Schade V, Kempf S. Forschung zu komplexen Interventionen in der Pflege- und Hebammenwissenschaft und in den Wissenschaften der Physiotherapie, Ergotherapie und Logopädie. 1. Auflage. 2013. DOI: 10.6094/UNIFR/2013/1 Externer Link
2.
Mattern E, Voigt-Radloff S, Ayerle GM. Potenzialanalyse zur aufrechten Gebärhaltung bei physiologischen Geburten in deutschen Kreißsälen (Analysis of potential for research on giving birth in an upright position in German hospitals). ZEFQ. 2014;108(Suppl. 1), 20-28.
3.
Clinical and client-centred outcomes of a combined intervention to promote spontaneous vaginal births in obstetrical units: a RCT (BE-UP).