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Deutscher Kongress für Orthopädie und Unfallchirurgie (DKOU 2015)

20.10. - 23.10.2015, Berlin

Etablierung von regionalen TraumaNetzwerken: Eine qualitative Studie zu Auswirkungen auf Strukturen, Kooperationsprozesse und Sozialkapital zwischen beteiligten Kliniken

Meeting Abstract

  • presenting/speaker Johannes Weigl - Medizinische Soziologie, Universität Regensburg, Regensburg, Germany
  • Antonio Ernstberger - Klinik für Unfallchirurgie, Universitätsklinikum Regensburg, Regensburg, Germany
  • Michael Koller - Zentrum für Klinische Studien, Uniklinikum Regensburg, Regensburg, Germany
  • Michael Nerlich - Klinik für Unfallchirurgie, Universitätsklinikum Regensburg, Regensburg, Germany
  • Julika Loss - Medizinische Soziologie, Universität Regensburg, Regensburg, Germany

Deutscher Kongress für Orthopädie und Unfallchirurgie (DKOU 2015). Berlin, 20.-23.10.2015. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2015. DocWI39-1215

doi: 10.3205/15dkou248, urn:nbn:de:0183-15dkou2484

Veröffentlicht: 5. Oktober 2015

© 2015 Weigl et al.
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Gliederung

Text

Fragestellung: Die Schwerstverletztenversorgung ist seit dem Weißbuch nicht mehr Aufgabe einer Klinik, sondern die eines TraumaNetzwerks (TN). Dies entspricht der zunehmenden Bedeutung des Zusammenschlusses von Kliniken zu regionalen Verbänden. Diese Studie untersucht, welche strukturellen und organisatorischen Veränderungen sich in beteiligten Kliniken im Zuge der TN-Mitgliedschaft ergeben. Zudem wird beleuchtet, welchen Einfluss die Kooperation auf die Qualität sozialer Beziehungen innerhalb dieser Netzwerke und die Motivation der Teilnehmer hat. Diese Aspekte lassen sich durch das Konzept des social capital (Sozialkapital) erfassen. Sozialkapital beschreibt die Ressourcen, die durch die Teilhabe an einem Netz sozialer Beziehungen entstehen können, z.B. in Nachbarschaften oder Betrieben, und ist ein anerkanntes Konzept, um Leistungsfähigkeit oder gesundheitsfördernde Konditionen in komplexen Organisationen zu erklären.

Methodik: Es wurden semi-standardisierte face-to-face-Interviews mit den verantwortlichen Chef- bzw. Oberärzten von 23 unfallchirurgischen Kliniken eines TN geführt, dem derzeit 26 Kliniken angehören. Erfragt wurden u.a. Veränderungen in den jeweiligen Kliniken, die Struktur der Zusammenarbeit, Entscheidungswege, Identifikation mit dem Netzwerk, Reziprozität und Vertrauen sowie gemeinsames Agieren. Die Interviews wurden aufgezeichnet, wörtlich transkribiert, anonymisiert und mittels systematischer Inhaltsanalyse ausgewertet.

Ergebnisse und Schlussfolgerung: Die Interviewten berichten, dass die Teilnahme am TN die Behandlungsabläufe verändert habe, v.a. durch Einführung fester Algorithmen. Insbesondere lokale Traumazentren haben im Gegensatz zu (über)regionalen Versorgern eine materielle Aufrüstung erfahren. Der Austausch innerhalb des Netzwerkes findet hauptsächlich in den vierteljährlichen TN-Treffen aller Klinikvertreter statt, zwei Chefärzte veranstalten nun gemeinsame Workshops für ihre Mitarbeiter. Die Entscheidungswege im Netzwerk werden als transparent bewertet, 21/23 Interviewpartner fühlen sich gehört und eingebunden, was insbesondere auf den integrierenden Leitungsstil des TN-Sprechers und das offene Klima in der Gruppe zurückgeführt wird. 21 Interviewpartner bestätigen die Entwicklung eines Gemeinschaftsgefühls („Wir Unfallchirurgen in der Region X“), die Ausbildung eines Vertrauensverhältnisses untereinander sowie das Verfolgen gemeinsamer Ziele. Eine Kerngruppe hat sich zudem zu gemeinsamem berufspolitischem Engagement zusammengeschlossen. Nur zwei Befragte geben an, medizinisch nicht zu profitieren oder sich in Versorgungsaspekten gelegentlich bevormundet zu fühlen.

Der Zusammenschluss unfallchirurgischer Kliniken zu einem regionalen TN hat je nach Versorgungsstufe zu teils erheblichen Verbesserungen auf Klinikebene geführt. Der Aufbau von Vertrauen und die Entstehung einer gemeinsamen Kultur und Identität weisen auf erhebliches Sozialkapital innerhalb des TN hin. Die Ausbildung von Sozialkapital hängt dabei offensichtlich stark von der Leitung des TN ab.