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32. Kongress der Deutschen Kontinenz Gesellschaft

Deutsche Kontinenz Gesellschaft e. V.

05. - 06.11.2021, online

Postpartale Evaluation der Beckenbodenfunktion und ihre Bedeutung für die Frührehabilitation der Funktionsstörung

Meeting Abstract

Deutsche Kontinenz Gesellschaft e.V.. 32. Kongress der Deutschen Kontinenz Gesellschaft. sine loco [digital], 05.-06.11.2021. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2021. Doc69

doi: 10.3205/21dkg69, urn:nbn:de:0183-21dkg694

Veröffentlicht: 4. November 2021

© 2021 Bani Al-Marjeh et al.
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Gliederung

Text

Einleitung: Anatomische und funktionelle Störungen des Beckenbodens haben vielfach ihren Ursprung in Schwangerschaft und Geburt. Nachgeburtlich sind die jungen Mütter so in die Versorgung des Neugeborenen und der Bewältigung ihres Alltags eingebunden, dass die wahrgenommenen ungünstigen Veränderungen zu keiner Handlung führen, die in der Lage ist, diese Situation zu verbessern. Die Teilnahme an der Rückbildungsgymnastik der Hebammen ist oftmals die einzige Zeit, in der sich die junge Mutter mit dem Beckenboden überhaupt befasst, nicht selten dann auch das einzige Mal. Im Rahmen unserer Beckenbodenschwerpunkttätigkeit am Klinikum Werra-Meißner haben begonnen, den in unserer Geburtshilfe Level 4 Klinik entbundenen Frauen einen Beckenbodencheck anzubieten, zu dem wir in einem Zeitraum von 8-12 Wochen postpartum einluden. Von 400 Entbundenen haben um 15 % dieses Angebot wahrgenommen. Wir zeigen und analysieren hier die gewonnen Daten im Hinblick auf subjektive Einschätzung der Entbundenen und objektiven Befunde, deren Korrelation bzw. Diskrepanz und die nach unserem Dafürhalten sinnvollen Behandlungsstrategien.

Methode: Im Zeitraum zwischen 20.10.2018 und 26.1.2021 wurden am Klinikum Werra-Meißner in Eschwege 880 Kinder geboren. Alle Mütter erhielten im Rahmen von Entlassungsuntersuchung und -gespräch eine mündliche und schriftliche Einladung zu einem Beckenbodencheck 8-12 Wochen p.p. in unserem Beckenbodenschwerpunkt. 120 Frauen (um 15 %) kamen dieser Einladung nach. Zum Beckenbodencheck gehörten eine ausführliche geburtshilfliche und postpartale Beckenbodenanamnese sowie eine körperliche urogyn. Untersuchung des Beckenbodens durch ein und denselben Untersucher. Hierzu gehörten die Speculumeinstellung sowie die Palpation der Beckenbodenmuskulatur nach dem gezeigten Evaluationsschema (Abbildung 1 [Abb. 1]). Entsprechend der erhobenen Befunde erfolgte die Einleitung weitergehender Maßnahmen gemäß den abgebildeten Flussdiagrammen (Abbildung 2 [Abb. 2], Abbildung 3 [Abb. 3], Abbildung 4 [Abb. 4]).

Ergebnisse: Bei 120 Frauen lag die Parität median bei 1 Geburt (SD 0,84). Das mediane Geburtsgewicht (KG) lag bei 3560 g (SD 567 g) und der mediane Kopfumfang (KU) bei 35 cm (SD 8,4 cm).

30 Frauen gaben subjektive Beschwerden am Beckenboden an (25 %), dabei meinte eine Pat. an einer anat. Störung zu leiden, 14 Frauen nahmen funktionelle Defizite wahr, 15 weitere gaben beides an. Bei den 30 betroffenen Frauen lagen die KU zwischen 35 und 37 cm, die KG bei 3500-3800 g.

Objektiv pathologische Befunde am Levator erhoben wir bei 70 Frauen, anatomische Schäden fanden sich bei 7 Frauen, 31 Frauen hatten funktionelle Defizite, 32 litten unter beidem. Hier stimmten die KU- und KG-Werte mit dem anderen Kollektiv überein.

Objektivierte anatomische Defekte im Bereich der Scheide fanden wir in 50 Fällen, eine erhebliche Diskrepanz zu den 16 wahrgenommenen Defekten durch die Frauen (3:1).

Deszensus: Tabelle 1 [Tab. 1]

Levatorfunktion: Tabelle 2 [Tab. 2]

Levatordefekte: Tabelle 3 [Tab. 3]

Inkontinenz: Tabelle 4[Tab. 4]

Therapieindikationen: Tabelle 5 [Tab. 5]

Schaden und Geburtsmodi: Tabelle 6 [Tab. 6]

Schlussfolgerung: Aus den erhobenen Daten lässt sich folgendes ableiten:

  • Subj. Einschätzung und objektiver Befund sind in mind. 50 % der Fälle diskrepant, in allen Fällen wird der Beckenboden in seiner Integrität von der Frau überschätzt, nur in einem Fall unterschätzt.
  • Eine Behandlungswürdigkeit/-bedürftigkeit sahen wir in diesem Kontext in 27/32 Fällen (85 %) mit anatomischen, 54/63 mit funktionellen (86 %) und 22/26 mit gemischten Störungen (85 %)
  • Schädigung im Bereich der Muskulatur des Beckenbodens (v.a. Levator ani) fanden wir in ca. 60% der Fälle, wobei das Ausmaß der Schäden weder mit Kindsgewicht noch mit dem KU korrelierte.
  • Eine Kontinenzproblematik fand sich in etwas über 10 % der Fälle, dabei war es nur 1 Frau, die eher über Drangproblematik klagte und 10 %, die eine typ. Belastungsinkontinenz angaben, eine Analinkontinenz beobachteten wir in unserem Kollektiv nicht.
  • Senkungen fanden wir in ca. 42 %, wobei auch hier das Ausmaß der Schäden weder mit Kindsgewicht noch mit dem KU korrelierte.
  • Eine der Frauen wollten trotz des subjektiv von ihnen wahrgenommenen Defizits keine konsequente Therapie, bei den asymptomatischen Patientinnen mit objektiven Befunden und einer daraus resultierenden Behandlungsindikation waren es 8/46 (ca. 17 %).

Wir halten die Beckenbodenfrührehabilitation auf der Basis der Ergebnisse des postpatalen Beckenbodenchecks für eine hervorragende Möglichkeit frühstmöglich positiv und ggf. multimodal auf die durch Schwangerschaft und Geburt entstandenen Störung(en) einzuwirken und hoffen damit einen Grundstein legen zu können für eine später längere Beckenbodengesundheit. Wir konnten zeigen, dass Geburtsmodus, kindliche Daten und subjektives Empfinden der Mutter keine ausreichende Sicherheit bieten, die tatsächliche Beckenbodenfunktionsstörung korrekt einzuschätzen. Aus diesem Grund ist die möglichst systematische Evaluation der Beckenbodenfunktion postpartal ein wichtiges Instrument zur Einleitung frührehabilitiver Maßnahmen. Optimalerweise wäre sie in der gyn. Praxis angesiedelt und würde zur Überweisung auffälliger Fälle an einen Beckenbodenschwerpunkt führen können.

Interessenkonflikt: keine


Literatur

1.
Fischer A. Elektrotherapie des Beckenbodens. Frauenarzt. 2016; 57(12):1136-1144.
2.
Senn E. Elektrotherapie: Gebräuchliche Verfahren der physikalischen Therapie - Grundlagen, Wirkungsweisen, Stellenwert. Thieme-Verlag; 1990.
3.
Fischer A. Externe elektromuskuläre Aktivierung. Zeitschrift für Physiotherapeuten. 2016;68(11):127-131.
4.
Fischer A. Beckenbodenrehabilitation post partum - ein interdisziplinäres Problem und die Unterstützung durch modulierte mittelfrequente Elektrotherapie. gyn. 2020;25:237-247.