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32. Kongress der Deutschen Kontinenz Gesellschaft

Deutsche Kontinenz Gesellschaft e. V.

05. - 06.11.2021, online

Uro-Geriatrie einmal anders herum: Ist minimal-invasiv auch schonend für den Operateur?

Meeting Abstract

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Deutsche Kontinenz Gesellschaft e.V.. 32. Kongress der Deutschen Kontinenz Gesellschaft. sine loco [digital], 05.-06.11.2021. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2021. Doc59

doi: 10.3205/21dkg59, urn:nbn:de:0183-21dkg597

Veröffentlicht: 4. November 2021

© 2021 Wiedemann et al.
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Gliederung

Text

Einleitung: „Like a smooth sailing“ und andere Werbeslogans suggerieren, dass neue, minimal-invasive Operationsmethoden bei gleicher Effektivität nicht nur schonender für den Patienten, sondern auch stressärmer für den Operateur seien. Dies wäre ein Argument für die Schonung der Ressource „Mensch“ als Operateur. Der Gehalt dieser Hypothese sollte nun erstmals durch den Vergleich zweier Methoden zur Behandlung der subvesikalen Obstruktion und Überlaufinkontinenz des Mannes im Hinblick auf ihr Stresslevel bei dem Operateur überprüft werden.

Methode: Untersucht wurde als Surrogatparameter für intraoperativen Stress die Herzfrequenzvariabilität (HRV) während der Durchführung von 129 transurethralen Eingriffen (44 transurethrale Elektroresektionen der Prostata TURP, 83 180-Watt-XPS-Greenlightlaserungen der Prostata GLL) bei 4 Operateuren er urologischen Klinik des Ev. Krankenhauses Witten, die anhand ihres OP-Katalogs und der Anzahl der schon durchgeführten TURP und GLL als „sehr erfahren“ (Nr. 1), „erfahren“ (Nr. 2 und 3) und „Anfänger“ (Nr. 4) klassifiziert worden waren (s. Tabelle 1 [Tab. 1]).

Zugrundeliegend für die Nutzung der HRV als Surrogatparameter für Stress ist die Beobachtung, dass die in Ruhe Millisekunden betragenden physiologischen Schwankungen der Herzfrequenz unter Stressbedingungen abnehmen. Dies ist durch eine halbautomatische Auswertung der kontinuierlichen Aufzeichnungen eines besonders leistungsfähigen des EKG-Rekorders während der Operation unter standardisierten Bedingungen möglich. Der Begriff Herzfrequenzvariabilität vereint dabei eine Vielzahl von mathematisch berechneten Parametern, welche die Varianz, Rhythmik oder Komplexität einer Zeitreihe von aufeinander folgenden Herzaktionen - den sog. NN-Intervallen (normal-to-normal) - kennzeichnet. Beurteilt wurden dabei zahlreiche Parameter der Zeitdomäne, der Frequenzdomäne und der sog. „symbolischen Dynamik“ (physikalisches Modell, in dem ein dynamisches System in diskreten Zeitschritten betrachtet und jeder gewählten Teilmenge ein "Symbol" zugeordnet wird). So wurde der Abstand zweier Herzschläge NN (normal-to-normal), die sich daraus ergebende Standardabweichung SDNN (standard-deviation-normal-to-normal), der Anteil der Intervalle mit mindestens 50 Millisekunden Abweichung vom vorherigen Intervall PNN50 (percentage-normal-to-normal-50ms), Herzschläge ohne Abweichungen (pattern-with-zero-variation POV), Schläge mit 2 Abweichungen P2V (pattern-with-2-variations), Herzschläge mit 2 Abweichungen innerhalb des Schwellenwertes P2V_t (pattern with-2-variations with threshold), der Frequenz (low freuquency logLF und LogLF/HF) und weitere gemessen. Ein erhöhtes Stresslevel der Operateure sollte sich dadurch abbilden, dass der mittlere RR-Abstand, SDNN, RMSSD, PNN50, ln(HF) sowie P2V und P2V_t sinken und ln(LF), ln(LF/HF) und P0V und P0V_t steigen. Mit Hilfe des Wilcoxon-Tests wurde geprüft, ob der Unterschied der Parameter zwischen den beiden Verfahren (TUR-P und GLL) für das jeweilige metrische Merkmal pro Operateur signifikant war. Zusätzlich wurden mittels eines Regressionsmodells die interindividuellen personenspezifischen Unterschiede der vier Operateure vergleichbar gemacht und ebenfalls mit Hilfe des Wilcoxon-Tests bezüglich des unterschiedlichen Stresslevels bei der Durchführung der TUR-P und GLL verglichen. Für alle Tests wurde ein Signifikanzniveau p-Wert < 0,05 gewählt.

Ergebnisse: Die Darstellung der HRV-Parameter für den sehr erfahren Operateur 1 ist in Tabelle 2 [Tab. 2] dargestellt. Von 14 ausgewerteten Parametern wiesen 8 signifikant auf ein höheres Stresslevel bei der GLL der Prostata im Vergleich mit der TURP hin, 3 Parameter auf ein erhöhtes Stresslevel bei der TURP, 3 Parameter wurden als indifferent ausgewertet.

Bei den beiden erfahrenen Operateuren 2 und 3 wiesen analog 10 von 14 Parametern bzw. 8 von 14 Parametern auf ein erhöhtes Stresslevel bei der GLL hin; lediglich bei Operateur 3 zeigte der RR-Abstand ein höheres Stresslevel bei der TURP an. Für den Anfänger, Operateur 4, ergab sich ein uneinheitliches Bild: 5 Messwerte zeigten ein erhöhtes Stresslevel bei der GLL, 2 ein erhöhtes Stresslevel bei der TURP, 7 Parameter zeigten keine signifikante Tendenz (s. Tabelle 3 [Tab. 3]).

Wurde die interindividuelle Streuung der bei den vier Operateuren gemessenen Parameter mittels Regressionsanalyse vergleichbar gemacht, so ergab sich eine tendenziell höhere Stressbelastung durch GLL; allerdings musste die Annahme der Normalverteilung für die Werte SDNN, RMSSD, PNN50, ln(LF), ln(HF), P0V, P2V, P0V_t und P2V_t verworfen werden; die Ergebnisse des Regressionsmodells waren somit weniger belastbar hinsichtlich ihrer Interpretierbarkeit (s. Tabelle 4 [Tab. 4]).

Schlussfolgerung: Bei 3 Operateuren verursachte das Verfahren der Greenlightlaserung ein tendenziell höheres Stressniveau; beim vierten Operateur, der bezüglich seines Erfahrungsgrades als „Anfänger“ eingestuft wurde, war das Ergebnis eher uneinheitlich, obwohl auch hier mehrheitlich Parameter in diese Richtung wiesen. Wurden die zusammengefassten Messergebnisse der vier Operateure mittels Regressionsanalyse um personenspezifische Unterschiede bereinigt, so zeigte sich bei dieser Beurteilung ebenfalls ein Trend zu einer höheren Stressreaktion bei Greenlightlaserungen, auch wenn die Ergebnisse des Regressionsmodells aufgrund fehlender Annahme einer Normalverteilung weniger belastbar hinsichtlich ihrer Interpretierbarkeit sind. Dies gibt Hinweise darauf, dass das neuere Verfahren GLL – obwohl für den Patienten schonender und blutungsärmer - dem Operateur ein erhöhtes Maß an Aufmerksamkeit abverlangt. Die Anzahl der durchgeführten Eingriffe (alle Operateure hatten teilweise deutlich mehr transurethrale Prostataresektionen durchgeführt) und das damit verbundene Maß an Routine scheint die Stressreaktion des Operateurs günstig zu beeinflussen. Dies bedeutet nicht nur im Hinblick auf die operative Expertise, die dem Patienten zugute kommt, sondern auch für einen schonenden, stressarmen Umgang mit der Ressource „Mensch“ als Operateur die Empfehlung einer Departmentbildung, in der nicht jeder Operateur alles operiert, sondern sich auf einen Eingriff oder eine Gruppe von Eingriffen – dann aber in hoher Frequenz spezialisiert.

Interessenkonflikt:

  • A. Wiedemann:
    • Beratung: Acticore, Dr. Pfleger, Pfizer, Mec-Abc, Omega Pharma
    • Vortragstätigkeit: Acticore, Allergan, Aristo, Berlin-Chemie, Boston Scientific, Desitin, Dr. Pfleger, Ipsen, Jansen, Lilly, Meda, Medac, Omega-Pharma
    • Forschungsunterstützung: Paul-Kuth-Stiftung, Boston Scientific, Dr. Pfleger
  • E. Stein: Vortragshonorare: B. Braun Melsungen AG