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32. Kongress der Deutschen Kontinenz Gesellschaft

Deutsche Kontinenz Gesellschaft e. V.

05. - 06.11.2021, online

Hat die Messung der harnpflichtigen Substanzen im Serum einen Nutzen für die frühzeitige Erkennung einer postoperativen Obstruktion des Ureters?

Meeting Abstract

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  • corresponding author presenting/speaker Gerold Link - Universitätsfrauenklinik JLU Gieβen, Gieβen, Deutschland
  • author Marjo van Melick - Maastricht University Medical Centre (MUMC+), Maastricht, Niederlande
  • author Roy Kruitwagen - Maastricht University Medical Centre (MUMC+), Maastricht, Niederlande

Deutsche Kontinenz Gesellschaft e.V.. 32. Kongress der Deutschen Kontinenz Gesellschaft. sine loco [digital], 05.-06.11.2021. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2021. Doc58

doi: 10.3205/21dkg58, urn:nbn:de:0183-21dkg588

Veröffentlicht: 4. November 2021

© 2021 Link et al.
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Gliederung

Text

Einleitung: Die Verletzung des Ureters ist eine typische Komplikation in der Chirurgie des kleinen Beckens, die aber nicht häufig auftritt. In der Regel wird die Traumatisierung des Ureters jedoch nicht intraoperativ, sondern erst einige Tage später erkannt [1]. Um die Diagnosestellung zu beschleunigen, wird von manchen Autoren die perioperative Bestimmung des Kreatins im Serum als zuverlässiger Parameter einer normalen bilateralen Nierenfunktion empfohlen [2], [3], wobei ein Anstieg des Kreatinins über 0,2 mg/dL als ernst zu nehmender Hinweis auf eine Obstruktion des Ureters gilt [4]. Ziel der vorliegenden retrospektiven Untersuchung war es, den Stellenwert der Messung harnpflichtiger Substanzen in der postoperativen Diagnostik einzuordnen.

Methode: Anhand der medizinischen Dokumentation im Patientendossier wurde der postoperative Verlauf von neun Patientinnen mit Verdacht einer Schädigung des Ureters retrospektiv analysiert. Die herangezogenen Daten umfassten neben der klinischen Symptomatik und den biometrischen Parametern die temporären Veränderungen der im Routinelabor gemessenen harnpflichtigen Substanzen (Kreatinin [µmol/L], Harnstoff [mmol/L]) und der glomerulären Filtrationsrate (GFR [mL/min/1,73m2]), die über die Kreatinin-basierte CKD-EPI-Formel berechnet wurde. Darüber hinaus wurden interdisziplinäre diagnostische und interventionelle Maßnahmen erfasst. Die statistische Datenverarbeitung (SPSS) erfolgte über deskriptive Verfahren sowie Tests für verbundene und unverbundene Stichproben (Mann-Whitney-U-Test, t-Test).

Das Alter der Patientinnen betrug 28 bis 80 Jahre (53 ± 17) mit einem BMI zwischen 19 und 40 kg/m2 (25,7 ± 6,3). In 6/9 Fällen erfolgte wegen einer Deszensuserkrankung mit prädominanter Zystozele eine vordere Kolporrhaphie, die in 5 Fällen mit einer Prozedur am Uterus zur protektiven Fixation des Apex kombiniert wurde. Bei 2/9 Patientinnen bestand eine Pathologie unter der Geburt, die eine Sectio caesarea erforderte. In 1/9 Fall lag ein Ovarialkarzinom vor, welches durch zytoreduktives Debulking behandelt wurde.

Ergebnisse: Der Verdacht auf eine Läsion des Ureters beruhte bei den urogynäkologischen Patientinnen in 4 Fällen auf postoperativer Oligurie und Anurie sowie in 2 Fällen auf Flankenschmerzen. Bei den beiden durch Sectio entbundenen Frauen entstand wegen eines ein- und beiderseitigen lateralen Ausrisses der Uterotomie intraoperativ Zweifel an der Integrität des Ureters. Die onkologische Patientin gab postoperativ Rücken- und Flankenschmerzen an.

Bei allen drei nicht urogynäkologischen Patientinnen konnte eine Läsion des Harnleiters nachfolgend ausgeschlossen werden. In den sechs Fällen nach vorderer Kolporrhaphie bestand in einem Fall ein Kinking des linken Ureters, das spontan ausheilte. In den anderen fünf Fällen wurde durch bildgebende Verfahren (Nierensonographie, CT-IVP) und Zystoskopie eine Obstruktion des Ureters (2x unilateral, 3x bilateral) nachgewiesen, die eine Intervention erforderte.

In der gesamten Gruppe der neun Patientinnen trat das Symptom „Oligurie und Anurie“ postoperativ deutlich früher auf als das Symptom „Flankenschmerz“ (2,8 ± 1,0 vs. 28,8 ± 9,2 Stunden, p = 0,03). In allen Fällen mit verminderter Urinausscheidung (4/4) wurde nachfolgend eine Obstruktion des Ureters bestätigt, während bei unverminderter Urinproduktion in 4/5 Fällen eine Ureter-Obstruktion ausgeschlossen werden konnte. Im fünften Fall wurde später jedoch eine bilaterale Obstruktion nachgewiesen (p = 0,04). Bei Flankenschmerz wurde zweimal eine Obstruktion und einmal ein Kinking (3/4) beobachtet. Umgekehrt bestand trotz Abwesenheit von Schmerz bei 3/5 Patientinnen eine Obstruktion des Ureters (p = 0,60).

Das Zeitfenster der weiteren Diagnostik umfasste 5 bis 53 (32 ± 17) Stunden nach dem Eingriff ohne signifikanten Unterschied zwischen der Gruppe mit und ohne Obstruktion des Ureters (p = 0,19). Bei 5 Patientinnen wurde eine Nierensonographie durchgeführt. Eine Stauung des Nierenbeckens wurde in dem Fall mit Kinking und in drei Fällen mit Obstruktion des Ureters nachgewiesen. Eine weitere Sonographie nach Sectio war richtig negativ und ergab keine Normabweichung (p = 0,20). Die Befunde von CT-IVP (1x) und Zystoskopie (2x) erwiesen sich als richtig positiv.

Die Intervention in den 5 Fällen mit nachgewiesener Ureter-Obstruktion erfolgte 18 bis 73 (46 ± 25) Stunden nach der primären Operation. In 3/5 Fällen wurde eine ein- und doppelseitige Nephrostomie angelegt, in 2/5 Fällen wurden die Nähte der vorderen Kolporrhaphie gelöst. Nachfolgend wurde die pubozervikale Faszie erneut unter Schutz durch einen retrograd eingebrachten DJ-Katheter gerafft. Die Nephrostomieprozedur erfolgte im Mittel 42 Stunden später als die operative Revision (63 ± 14 vs. 21 ± 4, p = 0,03).

Im Kollektiv mit Obstruktion des Ureters wurde in einem Intervall von 8 bis 48 (25 ± 17) Stunden nach dem Primäreingriff, aber noch vor der Intervention ein deutlicher Anstieg von Kreatinin (89,5 ± 43,9 µmol/L, p = 0,03) und Harnstoff (2,4 ± 1,9 mmol/L, p = 0,15) gemessen, dem eine signifikante Abnahme der GFR parallel ging (-50,4 ± 25,2 mL/min/1,73m2, p = 0,03). Der minimale postoperative Anstieg des Kreatinins betrug 51 µmol/L = 0,6 mg/dL.

In einer Zeitspanne von 2 bis 20 (15 ± 9) Stunden nach der Intervention wurde wiederum eine signifikante Abnahme von Kreatinin (-55,0 ± 22,7 µmol/L, p = 0,02) und Harnstoff (-2,0 ±0,7 mmol/L, p = 0,01) beobachtet. Die GFR nahm umgekehrt um 18,4 ±7,4 mL/min/1,73m2 zu (p = 0,02).

Zwischen beiden Zeitintervallen (Operation bis Anstieg und Intervention bis Abfall der harnpflichtigen Substanzen) war kein statistisch signifikanter Unterschied nachweisbar (p = 0,31).

Bei den drei nicht urogynäkologischen Patientinnen sowie in dem Casus mit Kinking des Ureters wurden postoperativ dagegen keine deutlichen Veränderungen des Kreatinins und der GFR nachgewiesen (1. Messung: Delta Kreatinin -4,0 ± 11,3 µmol/L, p = 0,60; Delta GFR 2,5 ± 11,7 mL/min/1,73m2, p = 0,75; 2. Messung: 2 Einzelfälle mit Delta Kreatinin 6 bzw. -1 µmol/L und Delta GFR -6,6 bzw. 0,7 mL/min/1,73m2). Die Zeitpunkte der Blutuntersuchungen unterschieden sich nicht signifikant von jenen im Kollektiv der Patientinnen mit Obstruktion des Ureters (p > 0,09). Der maximale postoperative Anstieg des Kreatinins betrug 9 µmol/L = 0,1 mg/dL.

Schlussfolgerung: Für die frühzeitige Erkennung einer postoperativen Obstruktion des Ureters ist die Urinproduktion nach OP-Ende der schnellste und zuverlässigste Parameter. Sie sollte daher zeitnah erfasst werden. Der Flankenschmerz ist nicht wegweisend. Die Nierensonographie ist ein sensitives Verfahren, kann aber nicht zuverlässig zwischen Kinking und Obstruktion des Ureters diskriminieren. Das Monitoring der harnpflichtigen Substanzen im Serum bzw. die GFR kann die Diagnose einer Obstruktion laborchemisch bestätigen. Der größere Nutzen besteht aber wahrscheinlich im Sinne eines negativen prädiktiven Wertes eher zum Ausschluss als zum Nachweis einer interventionspflichtigen postoperativen Ureter-Obstruktion.

Interessenkonflikt: Bei keinem der Autoren bestehen Interessenkonflikte.


Literatur

1.
Drake MJ, Noble JG. Ureteric trauma in gynecologic surgery. Int Urogynecol J Pelvic Floor Dysfunct. 1998; 9: 108-17.
2.
Siddighi S, Yune JJ, Kwon NB, Hardesty JS, Kim JH, Chan PJ. Perioperative serum creatinine changes and ureteral injury. Int Urol Nephrol. 2017. DOI: 10.1007/s11255-017-1674-z Externer Link
3.
Walter AJ, Magtibay PM, Morse AN, Hammer RA, Hentz JG, Magrina JF. Perioperative changes in serum creatinine after gynecologic surgery. Am J Obstet Gynecol. 2002; 186: 1315-9.
4.
Stanhope CR, Wilson TO, Utz WJ, Smith LH, O’Brien PC. Suture entrapment and secondary ureteral obstruction. Am J Obstet Gynecol. 1991;164:1513-7.