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32. Kongress der Deutschen Kontinenz Gesellschaft

Deutsche Kontinenz Gesellschaft e. V.

05. - 06.11.2021, online

PANTHERA-Studie: Evaluation der subjektiv wahrgenommenen Beckenbodenfunktion bei Patientinnen mit gynäkologischen Tumoren und Mammakarzinom unter systemischer Tumortherapie mittels eines validierten Fragebogens „Pelvic floor disorders in patients under ANtineoplastic THERApy“. Zwischenanalyse 2020

Meeting Abstract

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Deutsche Kontinenz Gesellschaft e.V.. 32. Kongress der Deutschen Kontinenz Gesellschaft. sine loco [digital], 05.-06.11.2021. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2021. Doc26

doi: 10.3205/21dkg26, urn:nbn:de:0183-21dkg260

Veröffentlicht: 4. November 2021

© 2021 Blau-Schneider et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Gliederung

Text

Einleitung: Die Therapie von gynäkologischen Malignomen und Mammakarzinomen mittels Radiatio, Operation, antihormoneller und Chemotherapie führt häufig zu einer deutlichen Beeinträchtigung der Beckenbodenfunktion. Auch durch nervenschonende Operationstechniken kann nicht immer vermieden werden, dass autonome Nerven geschädigt werden, was zu Störungen in der Blasen- und Darmfunktion und auch der sexuellen Funktion führen kann. Zudem kann es zu fibrotischen Veränderungen und Synechienbildungen bis hin zu Stenosen, insbesondere nach intravaginaler Strahlentherapie kommen. Durch eine eventuell notwendige Adnexektomie wird bei prämenopausalen Patientinnen eine prämature Menopause mit häufig auftretenden klimakterischen Beschwerden, Lubrifikationsstörungen und Libidoverlust induziert. Ebenso kann es durch eine Chemotherapie oder Radiatio zu einer Einschränkung der Ovarialfunktion kommen. Auch bei jungen Patientinnen mit Hormonrezeptor positivem high risk Mammakarzinom ist eine ovarielle Suppression Bestandteil des Therapiekonzepts. Aber auch die antiöstrogene Therapie alleine führt häufig zu ausgeprägten urogenitalen Nebenwirkungen.

Zudem sind einige Risikofaktoren für Beckenbodenerkrankungen wie Nikotinabusus und Adipositas auch mit einem höheren Risiko für das Auftreten von Krebserkrankungen assoziiert, sodass von einer höheren Prävalenz von Beckenbodendysfunktionen in diesem Kollektiv auch schon vor Beginn der Therapie auszugehen ist.

Insbesondere auch das veränderte Körperbild beispielsweise nach einer Mastektomie oder radikalen Vulvektomien hat einen deutlichen Einfluss auf die Sexualfunktion der Patientinnen. All diese Faktoren können auch die Lebensqualität von Krebspatienten deutlich beeinflussen, was aufgrund der gestiegenen Anzahl von Langzeitüberlebenden durch verbesserte Therapiemöglichkeiten eine zunehmende Rolle spielt.

Für die Lebensqualität (QoL) sind auch eine intakte Blasen- und Darmfunktion von erheblicher Bedeutung. Sogenannte LUTS (Lower urinary tract symptoms) sowie Einschränkungen der Darmfunktion bis hin zu Inkontinenz können die QoL dieser Patientinnen stark beeinträchtigen.

In unserer Studie werden die Beeinträchtigung der Beckenbodenfunktion bei Patientinnen mit gynäkologischen Malignomen und Mammakarzinom unter systemischer Therapie erfasst und mögliche Einflussfaktoren evaluiert. Dies erfolgt mittels des standardisierten und validierten „Deutschen Beckenboden Fragebogens“ (K. Baessler, Berlin). Hiermit werden im Einzelnen die Blasen- und Darmfunktion, Senkungssymptomatik, Sexualfunktion und QoL der Patientinnen vor Beginn und nach Abschluss bzw. im Verlauf der Systemtherapie erhoben. Zudem werden die Art der Therapie (Operation, Radiatio, Systemtherapie) und weitere Risikofaktoren für eine Beckenbodendysfunktion wie Alter, Körpergewicht, Parität, Entbindungsmodus, Nikotinabusus, Voroperationen, Vorerkrankungen und Medikation erfasst. Ziel der Studie ist, mögliche Ansatzpunkte zur Prävention, Beratung und Behandlung der Symptomatik zu finden. Durch das gezielte Erfragen der Symptome werden die Patientinnen ermutigt, über dieses immer noch tabuisierte Thema zu sprechen, um so aktiv Zugang zu Therapiemöglichkeiten zu erhalten.

Die Problematik ist von erheblicher volkswirtschaftlicher Bedeutung und wir erwarten weitere Erkenntnisse, die uns in die Lage versetzen, betroffenen Patientinnen zu helfen. Das Innovative dieser Studie besteht u.a. darin, dass zwei sehr prävalente Diagnosen - gynäkologische Krebserkrankungen und Beckenbodendysfunktion - in ihrer wechselseitigen Interaktion und patientinnenbezogen analysiert werden sollen. Belastbare Literatur hierzu ist nur spärlich vorhanden.

Dies ermöglicht eine gezieltere Beratung und Prävention bei den betroffenen Patientinnen.

Es soll die Inzidenz die Inzidenz klinisch relevanter Verschlechterungen des Gesamtscores für die Beckenbodenfunktion bei Tumorpatientinnen während einer medikamentösen Tumortherapie evaluiert werden sowie potenzielle Zusammenhänge zwischen den verschiedenen Therapieformen und einzelnen Funktionsstörungen untersucht werden.

Methode:

Patientenkollektiv: Die Studie wurde 4/2018 initiiert. Als Screeningkollektiv dienen alle Patienten des Brustkrebszentrums und Gynäkologischen Krebszentrums des St. Josefs-Hospitals Wiesbaden. Als erstes Informationsmaterial wird ein Flyer mit einer Kurzzusammenfassung ausgehändigt. Die Patienten werden anhand der Ein- und Ausschlusskriterien rekrutiert.

Einschlusskriterien:

  • Histologisch gesichertes Mamma-, Ovarial-, Zervix, Vulva- oder Endometriumkarzinom sowie auch nichtepitheliale gynäkologische Malignome einschl. Trophoblasttumoren
  • UND entweder geplante (neo-)adjuvante oder palliative Systemtherapie oder geplante Umstellung der Systemtherapie aufgrund von Progress unter der laufenden Therapie

Ausschlusskriterien:

  • Alter < 18 Jahre
  • Systemtherapie aufgrund von Komorbiditäten nicht möglich
  • Systemtherapie nicht gewünscht
  • Patientin, die nicht in der Lage ist, den Fragebogen zu verstehen oder auszufüllen

Untersuchungsdesign:

Im adjuvanten und neoadjuvanten Setting erfolgt vor Applikation des 1. Zyklus einer neuen Therapie die Aushändigung des Beckenboden-Fragebogens und von einem Mitglied der Prüfgruppe wird ein zusätzlicher Anamnesebogens zur Erfassung der Nebenzielgrößen ausgefüllt. Nach Beendigung der Chemotherapie (i.d.R. 12-24 Wochen) sowie nach 12 Monaten und danach jährlich erfolgt eine erneute Evaluation mittels der gleichen Instrumentarien. Bei Patientinnen mit Radiochemothzerapie eines Zervixkarzinoms erfolgt die Reevaluation nach Beendigung der Strahlentherapie, nach 12 Monaten und danach jährlich.

Zielgrößen:

Hauptzielgröße: Primärer Endpunkt und Basis für die Fallzahlberechnung ist die Inzidenz klinisch relevanter Verschlechterungen des Gesamtscores der Beckenbodenfunktion.

Blasenfunktion, Darmfunktion, Senkungsproblematik und Sexualfunktion, QoL werden anhand von Scores mittels des validierten Deutschen Beckenboden Fragebogens erfasst ([1], s. Anhang und Literaturverzeichnis 9-10).

Nebenzielgröße:

  • Tumortyp (Mammakarzinom, Ovarialkarzinom, Zervixkarzinom, Endometriumkarzinom, Vulvakarzinom)
  • TNM-Stadium
  • Körpergewicht und Körpergröße
  • Alter
  • Art der Tumortherapie
  • Anzahl der Vortherapien (Chemolinie)
  • Parität und Entbindungsmodus
  • Nikotinabusus
  • gynäkologische Voroperationen
  • Vorerkrankungen
  • Medikation

Wie werden die Zielgrößen erfasst?

Im Rahmen der Vorstellung für den 1. Therapiezyklus werden mittels einer von einem Prüfarzt durchgeführten Anamnese Risikofaktoren für eine Beckenbodendysfunktion wie Alter, Körpergewicht, Körpergröße, Parität, Entbindungsmodus, Nikotinabusus, Voroperationen, Vorerkrankungen und Medikation erfasst. Dann wird der Deutschen Beckenboden Fragebogen von den Patientinnen selbst ausgefüllt. Nach den o.g. Zeitintervallen erfolgt entweder im Rahmen der Vorstellung zur Therapieapplikation oder im Falle einer abgeschlossenen Therapie telefonisch eine Überprüfung der Angaben auf dem Anamnesebogen. Zudem wird erneut der Deutsche Beckenboden Fragebogen, entweder im Rahmen der persönlichen Vorstellung oder nach postalischer Zusendung von der Patientin ausgefüllt.

Statistik: Es sollen mind. 200 Patientinnen eingebracht werden.

Primärer Endpunkt und Basis für die Fallzahlberechnung ist die Inzidenz klinisch relevanter Verschlechterungen des Gesamtscores. Dieser streut quasi-stetig auf ganzzahligen Werten zwischen 0 (beste Funktion) und 40 (größtmögliche Dysfunktion). Candy eta al. [2] befanden eine mittlere Differenz von 3,4 Punkten bei Verlaufskontrollen als großen, 1,7 als geringen Unterschied. Wir definieren daher die Inzidenz relevanter Verschlechterung als Anstieg des Gesamtscores um mindestens 3 Punkte. Für diese Inzidenz errechnen wir das zweiseitige 95%-Konfidenzintervall aus zwei exakten einseitigen 97.5%-Konfidenzintervallen mit Hilfe der Binomialverteilung. Wir erwarten eine Inzidenz von 50% Verschlechterungen (Alternativhypothese). Wenn dies zutrifft, kann anhand des Konfidenzintervalls der entsprechende zweiseitige statistische Test zum 5%-Niveau das Vorliegen einer Inzidenz von 40% (Nullhypothese) bei einer Fallzahl von 200 Patientinnen mit 80 % Power statistisch widerlegen .

Als Sekundärkriterien schätzen wir die mittleren Veränderungen des Gesamtscores und der Subscores jeweils mit zweiseitigen 95%-Konfidenzintervallen. Wir erwarten ganzzahlige Veränderungen im Bereich von etwa -5 (Verbesserung) bis 10 (Verschlechterung). Wir erwarten für den Gesamtscore einen Mittelwert von 3 Punkten Verschlechterung (Alternativhypothese) und eine Standardabweichung von 1.5 Punkten (REF). Der auf der Basis des Konfidenzintervalls durchgeführte zweiseitige Einstichproben-t-Test zum 5%-Niveau hat dann eine Power von 80%, um einen Mittelwert von nur 2.7 Punkten Verschlechterung (Nullhypothese) statistisch zu widerlegen. Aufgrund der Fallzahl von 200 kann auch bei schiefen Verteilungen der t-Test angewendet werden (zentraler Grenzwertsatz). Darüber hinaus werden ohnehin alle Auswertungen der Sekundärkriterien als explorativ betrachtet.

Die Fallzahlberechnungen wurden mit Stplan (Version 4.5) erstellt.

Es ist geplant, die Patientinnen nach Chemotherapieschema sowie Entität auszuwerten, um homogeneren Gruppen Rechnung zu tragen.

Wir halten eine Vergleichsgruppe für nicht zwingend erforderlich, da entsprechende Daten aus der Literatur vorliegen [2], [3].

Die Studienleitung und Studienkoordinatorin sichern zu, dass nur einwilligungsfähige Patientinnen in die Studie eingeschlossen werden.

Unsere statistische Beratung erfolgte durch:
Frau Dr. Erika Graf
Institut für medizinische Biometrie und Statistik
Med.Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg i. Br.
Stefan-Meier-Str. 26, 79104 Freiburg i. Br.

Datenschutz: Die Daten werden personenbezogen erfasst, dann vor der Auswertung mittels einer fortlaufenden Fallnummer pseudonymisiert und zur geplanten Publikation anonymisiert.

Die Daten werden unter Berücksichtigung gesetzlicher Aufbewahrungsfristen gespeichert (in der Regel bis zu 10 Jahre) und anschließend gelöscht.

Sämtliche einschlägigen Datenschutzbestimmungen werden eingehalten, so insbesondere die Bestimmungen des Bundesdatenschutzgesetzes, der EU-Datenschutzgrundverordnung sowie der Kirchlichen Datenschutzordnung.

Ergebnisse: Die Studie ist ongoing. Im Oktober 2018 wurden kurz nach Initiierung der Studie erste Ergebnisse als Poster auf dem DGGG präsentiert. Bei den bisher eingeschlossenen Patienten betrug der Beckenboden-Dysfunktionsscore vor Therapiebeginn 3,8/ 40, war insgesamt somit niedriger als erwartet. Bei den Patientinnen mit Genitalkarzinomen war er dabei tendenziell höher als bei den Patientinnen mit Mammakarzinomerkrankung, aufgrund der kleinen Fallzahl jedoch nicht statistisch signifikant. Ebenfalls keinen Einfluss hatten die anderen erhobenen Parameter wie Adipositas, Vorerkrankungen, Medikation, Schwangerschaften und vaginale Geburten. Fast zwei Drittel der Patientinnen gaben an, sexuell aktiv zu sein, wobei dies unabhängig vom Alter war.

Der zweite Erfassungszeitpunkt des Beckenbodenscores wurde aufgrund der noch kurzen Laufzeit der Studie noch nicht erreicht, so dass bezüglich der erwarteten Verschlechterung noch keine Aussage gemacht werden konnte.

Tabelle 1 [Tab. 1] zeigt nun den Rekrutierungsstatus vom 06.03.2020.

Im Rahmen des 32. Kongresses der Deutschen Kontinezgesellschaft werden wir die aktuellen Ergebnisse aller bis dahin eingeschlossenen Patienten vorstellen.

Schlussfolgerung: Bislang existieren keine Daten zu einer spezifischen Verschlechterung der Beckenbodenfunktion unter antineoplastischer Therapie bei Patienten mit Mammakarzinom oder Genitalkarzinom. Durch das gezielte Erfragen der Symptome werden die Patientinnen ermutigt, über dieses immer noch tabuisierte Thema zu sprechen, um so aktiv Zugang zu Therapiemöglichkeiten zu erhalten.

Das Innovative dieser Studie besteht u.a. darin, dass zwei sehr prävalente Diagnosen - gynäkologische Krebserkrankungen und Beckenbodendysfunktion - in ihrer wechselseitigen Interaktion und patientinnenbezogen analysiert werden können.

Die Ergebnisse dieser prospektiven Studie eröffnen so die Möglichkeit, Ansatzpunkte zur gezielten Prävention und Behandlung der Beckenbodendysfunktion bei onkologischen Patienten zu identifizieren.


Literatur

1.
Baessler K, Juninger B. Beckenboden-Fragebogen für Frauen. Validierung eines Instrumentes mit posttherapeutischem Modul zur Evaluation von Symptomen, Leidensdruck, Lebensqualität , Verbesserung und Zufriedenheit. Aktuel Urol. 2011;42:316-322.
2.
Candy B, Jones L, Vickerstaff V, Tookman A, King M. Interventions for sexual dysfunction following treatments for cancer in women. Cochrane Database Syst Rev. 2016 Feb 2;2:CD005540
3.
Whicker M, Black J, Altwerger G, Menderes G, Feinberg J, Ratner E. Management of sexuality, intimacy, and menopause symptoms in patients with ovarian cancer. Am J Obstet Gynecol. 2017;217(4):395-403.