gms | German Medical Science

32. Kongress der Deutschen Kontinenz Gesellschaft

Deutsche Kontinenz Gesellschaft e. V.

05. - 06.11.2021, online

Alterskrankheit Inkontinenz? Das Problem des postoperativen Delirs und seine Prävention: Ein Projektbericht

Meeting Abstract

Suche in Medline nach

Deutsche Kontinenz Gesellschaft e.V.. 32. Kongress der Deutschen Kontinenz Gesellschaft. sine loco [digital], 05.-06.11.2021. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2021. Doc09

doi: 10.3205/21dkg09, urn:nbn:de:0183-21dkg092

Veröffentlicht: 4. November 2021

© 2021 Wiedemann et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Gliederung

Text

Einleitung: Die Inzidenz eines Delirs bei stationär-urologischen Patienten wird mit 3,4–7,8 % unter Bevorzugung des männlichen Geschlechts angegeben (Matsuki et al. 2020, Xue et al. 2016) und stellt eines der Probleme bei der operativen Versorgung von stationären Patienten dar. Es ist mit erhöhter Mortalität, persistierenden kognitiven Defiziten, vermehrten Heimeinweisungen und erhöhten Kosten keinesfalls eine folgenlose, vorübergehende Erscheinung, wie es der Begriff „Durchgangssyndrom“ suggeriert. Vor diesem Hintergrund entschloss sich die Krankenhausleitung des Ev. Krankenhauses Witten, 2018 ein Projekt zur Delirprävention mit der Einstellung einer delirbeauftragten Pflegekraft aufzulegen. Diese sollte besonders gefährdete Patienten am Vortag einer Operation kontaktieren, testen, in den OP begleiten, im Aufwachraum wieder in Empfang nehmen, zur Station begleiten und nachbesuchen bzw. -testen. Die Einschlusskriterien, Assessments und Delirdefinition wurden durch die entsprechende Projektgruppe festgelegt.

Methode: In dem vorliegenden wissenschaftlichen Projekt wurde die delirbeauftragte Pflegekraft 6 Wochen lang begleitet. Die Charakteristika der Patienten aus Unfallchirurgie (UCH) und Urologie (UR) mit positivem „ISAR“-Screening als Einschlusskriterium, die erhobenen Assessments wie Barthel-Index, Uhrentest und Minimental-State-Test, die Anzahl der eingenommenen Medikamente und darunter der anticholinerg wirksamen Substanzen sowie die Ergebnisse der durchgeführten Beobachtungen wurden ausgewertet und Schlussfolgerungen im Sinne einer Optimierung bzw. Weiterentwicklung des Projektes getroffen. Vor allem die durch die Projektgruppe getroffene Auswahl von Einschlusskriterien und Messinstrumenten sollte im Hinblick auf Wirksamkeit und Effizienz überprüft werden.

Ergebnisse: Entgegen der ursprünglichen Vorgabe (Begleitung von UCH- und UR-Patienten) wurden im Projekt ausschließlich ISAR-positive urologische Patienten begleitet. Es waren dies im entsprechenden Zeitraum 72 Patienten, 66,7 % der Patienten waren männlich. Sie wiesen einen mittlerer ISAR-Wert von 3,2 ± 0,797, einen mittlerer ASA-Score von 2,78 ± 0,451 und einen mittlerer Barthel-Index von 77,94 ± 22,892 auf. Die begleiteten Patienten nahmen im Mittel 7,56 Medikamente ± 4,017 (0-19 Medikamente); 55 oder 76,4 % nahmen ≥ 5 Medikamente ein und erfüllten damit die Definition einer Multimedikation. Die anticholinerge Last gemessen mit dem „anticholinergic burden score“ nach Boustani (http://www.agingbraincare.org/ uploads/ products/ACB) betrug 1,17 ± 1,404 Punkte. Von den 72 Patienten zeigten 8 (11,1 %) eine kognitive Verschlechterung entweder durch eine Abnahme des Punktwertes im MMSE oder im Uhrentest bei einer mittleren OP-Dauer von 36,8 ± 50,058 Minuten; bei keinem Patienten wurde durch die klinische Beobachtung ein Delir gemäß der Projekt-eigenen Definition eines neuen Auftretens von 2 Delirsymptomen diagnostiziert. Die statistische Analyse mit dem Chi2-Test zeigte, dass von den potentiellen Vorhersageparametern einer postoperativen kognitiven Verschlechterung (ISAR-Score ≥ 2 Punkte, ASA-Score ≥ 3 Punkte, vorhandene Multimedikation mit ≥ 5 Medikamenten, ACB-Score ≥ 3 Punkte, MMSE ≤ 23,7 Punkte, Uhrentest ≤ 6 Punkte, Barthel-Index ≤ 75 Punkte) lediglich ein initialer Barthel-Index von ≤ 75 Punkten eine postoperative Verschlechterung vorhersagt.

Schlussfolgerung: Das ISAR-Screening erscheint als Eingangskriterium für eine Begleitung zur Delirprävention geeignet, weil es Alter, Geschlecht und Multimedikation als potentielle Risikofaktoren erfasst und in NRW als Eingangsscreening für über 75jährige Patienten gesetzlich vorgeschrieben ist. Die im Projekt gewählten Assessments einer kognitiven Verschlechterung zur Detektion eines Delirs erscheinen dahingegen ungeeignet – kein Delir wurde durch eine Verschlechterung in beiden Tests diagnostiziert. Auch die klinische Beobachtung durch die delirbeauftragte Pflegekraft führte nicht zur Diagnose eines Delirs unter Verwendung der projekteigenen Definition. Die Verwendung eines spezifischen Delirassessments wie das Nu-Desc- oder CAM-Assessment scheint daher besonders angeraten.

Interessenkonflikt:

  • A. Wiedemann:
    • Beratung: Acticore, Dr. Pfleger, Pfizer, Mec-Abc, Omega Pharma
    • Vortragstätigkeit: Acticore, Allergan, Aristo, Berlin-Chemie, Boston Scientific, Desitin, Dr. Pfleger, Ipsen, Jansen, Lilly, Meda, Medac, Omega-Pharma
    • Forschungsunterstützung: Paul-Kuth-Stiftung, Boston Scientific, Dr. Pfleger
  • J. Marder: keine