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28. Jahreskongress der Deutschen Interdisziplinären Gesellschaft für Außerklinische Beatmung (DIGAB) e. V.

Deutsche Interdisziplinäre Gesellschaft für Außerklinische Beatmung (DIGAB) e. V.

19.-21.05.2022, Münster

Multimodale Diagnostik der Atemmuskelkraft im Menschen und Pathophysiologie des hyperkapnischen Atemversagens bei Patienten mit neuromuskulärer Erkrankung

Meeting Abstract

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  • Jens Spiesshoefer - Universitätsklinikum Münster; Universitätsklinikum Aachen
  • Matthias Boentert - Universitätsklinikum Münster

Deutsche Interdisziplinäre Gesellschaft für Außerklinische Beatmung (DIGAB) e.V.. 28. Jahreskongress der Deutschen Interdisziplinären Gesellschaft für Außerklinische Beatmung (DIGAB) e.V.. Münster, 19.-21.05.2022. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2022. Doc22digab05

doi: 10.3205/22digab05, urn:nbn:de:0183-22digab053

Veröffentlicht: 11. Mai 2022

© 2022 Spiesshoefer et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Gliederung

Text

Hintergrund: Die Pathophysiologie der Atemmuskelbeteiligung bei neuromuskulären Erkrankungen (NME) ist komplex und gerade bei den langsam voranschreitenden NMEs unvollständig verstanden. Ein besseres Verständnis der jeweils krankheitsspezifischen Pathophysiologie der Atemmuskelbeteiligung bei NME und valide diagnostische Möglichkeiten zur Messung der Atemmuskelfunktion sind Voraussetzung dafür bestehende Therapieverfahren wie nicht-invasive Beatmung frühzeitig zu indizieren und anzuwenden.

Zielsetzung: (1) Die Etablierung und Evaluation eines multimodalen Untersuchungsprotokolls zur Messung der Atemmuskelkraft sowie (2) im Fall-Kontroll-Design die Anwendung und Validierung dieser Messverfahren bei Patienten mit genetisch distinkten NME. Ein dritter (3) Fokus lag auf der Beschreibung klinischer Determinanten einer schlafbezogenen Hypoventilation bei Patienten mit genetisch bedingten Muskeldystrophien und der objektivierbaren Effekte einer nicht-invasiven Beatmungstherapie.

Methodik: (1) Etablierung und Evaluation einer umfassenden Reihe an diagnostischen Tests der Atemmuskelpumpe bei gesunden Probanden: (1.1) Evaluation der zentralen und peripheren Innervation des Zwerchfells durch Kombination von kortikaler bzw. zervikaler Magnetstimulation des Zwerchfells mit der invasiven Ableitung des transdiaphragmalen Drucks und der subkostalen Ableitung diaphragmaler Muskelsummenaktionspotentiale, (1.2) Untersuchung der nicht-volitionalen Zwerchfellkraft sowie der Kraft der exspiratorischen Atemmuskulatur durch Magnetstimulation des Zwerchfells und der Bauchwandmuskulatur mit invasiver Ableitung der resultierenden Druckgradienten in Thorax und Abdomen, (1.3) Bestimmung der Exkursions- und Kontraktionsfähigkeit des Zwerchfells mittels Ultraschall, (1.4) Korrelation von sonographischen, neurographischen und invasiv-manometrischen Parametern der Zwerchfell- und Phrenicusfunktion mit volitional erhobenen Messgrößen der Lungenfunktion und Atemmuskelkraft. (2) Anwendung der genannten diagnostischen Verfahren im Fall-Kontroll-Studiendesign bei Patienten mit spezifischen NME wie der myotonen Dystrophie Typ 1 (DM1), der fazioskapulohumeralen Muskeldystrophie (FSHD), dem Morbus Pompe (LOPD) sowie der Charcot-Marie-Tooth-Erkrankung (CMT). (3) Diagnostik schlafbezogener Atmungsstörungen mittels transkutaner Kapnometrie und Polysomnographie im Schlaflabor und Untersuchung der Effekte einer nicht-invasiven Beatmung bei Patienten mit DM1 und FSHD.

Resultate: (1) Etablierung und Evaluation eines umfassenden Untersuchungsprotokolls zur Messung der Atemmuskelkraft und -funktion bei 70 Gesunden in einem dafür aufgebauten Labor für angewandte Atmungsphysiologie (translationale Pneumologie) mit einer Dauer von ca. 4 Stunden pro Proband/Patient. (2) Im Fall-Kontroll-Studiendesign diagnostische Anwendung mit der Frage einer möglichen Atemmuskelkraft-Beteiligung bei ca. 120 Patienten mit NME. Dabei Erarbeitung des primären Resultates, dass es bei einer Vielzahl von NME zu einer signifikanten Beteiligung der Atemmuskelkraft kommt: so bei Patienten mit DM1, FSHD und LOPD. Bei der DM1, FSHD und LOPD kommt es dabei zu primär myopathischen Veränderungen der Zwerchfellfunktion und -kraft, wie Messungen mittels Zwerchfell-Ultraschalles und der nicht mitarbeitsabhängigen Messung der Zwerchfellkraft durch Magnetstimulation der Zwerchfellnerven mit invasiver Ableitung der resultierenden Druckgradienten über Ballonkatheter im Vergleich zu bezüglich Alters, Geschlechts und BMI gematchten Kontrollen beweisen konnten. (3) Einer physiologischen Atmung kommt eine herausragende Rolle zu, gerade durch die Verzahnung zur sympathovagalen Balance und dem Schlafprofil nachts und dadurch einer Vielzahl kardiovaskulärer Folgeerscheinungen. Das wahrscheinlich zunächst nächtliche und deutlich später tagsüber auftretende hyperkapnische Atemversagen ist gerade bei Patienten mit DM I , FSHD oder LOPD als prominente Vertreter der langsam voranschreitenden neurogenetisch bedingten NME hochprävalent, mit der klinischen Krankheitsschwere korreliert und lässt sich mittels NIV-Therapie suffizient therapieren. Diagnostizieren lässt es sich früh nur durch Anwendung einer nächtlichen transkutanen Kapnometrie im Schlaflabor, nicht aber durch eine alleinige nächtliche oxymetrische Messung der Sauerstoffsättigung.

Fazit: Die Ergebnisse der hier dargestellten Studien machen deutlich, dass bei unterschiedlichen NME jeweils krankheitsspezifische Faktoren für die Ausprägung der Atemmuskelbeteiligung von Bedeutung sind. Diese Studien leisten dabei auch einen Beitrag zur methodischen Wichtung verschiedener Messverfahren zur Erfassung der Atemmuskelkraft und -funktion bei diesen Patienten. Gerade mit Blick auf distinkte NME, die mit einer dezidierten Schwäche der in- und exspiratorischen Muskulatur verbunden sind, haben die hier vorgestellten Studien in ihrer methodischen Bandbreite Pioniercharakter.

Grundlage: 13 Arbeiten, die mit unmittelbarem Bezug zum Thema der Arbeit in Erstautorschaft oder geteilter Erstautorschaft von Jens Spiesshoefer publiziert worden sind [1], [2], [3], [4], [5], [6], [7], [8], [9], [10], [11], [12], [13].


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