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Glossodynien als Frühzeichen einer folgenschweren Erkrankung
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Veröffentlicht: | 30. August 2023 |
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Gliederung
Text
Vorgeschichte: Eine internistisch gesunde 67-jährige Patientin hatte im Oktober einen Infekt der oberen Atemwege.
Leitsymptom bei Krankheitsmanifestation: Die Patientin stellte sich wegen neu aufgetretener Dysphagie und insbesondere bei der Nahrungsaufnahme auftretenden starken Zungenschmerzen (Glossodynie) in der HNO-Klinik vor.
Diagnostik: Inspektorisch zeigte sich eine gelblich verfärbte Zunge mit atrophen und nekrotischen Arealen, endoskopisch bestand der Verdacht auf eine obstruierende Vallekulazyste. Ein CT Schädel mit Kontrastmittel zeigt einen unauffälligen Befund. Laborchemisch fielen eine Leukozytose (16 Tsd/µl) und eine Thrombozytose (500 Tsd/µl) bei erhöhtem CRP (112 mg/l) auf. Eine Panendoskopie konnte die Diagnose einer Vallekulazyste nicht bestätigen, die histologische Untersuchung der obstruierenden Raumforderung zeigte eine eitrig-granulierende und ulzerierende Mukositis ohne Malignitätshinweise. Am Folgetag wurde ein nekrotisches Areal der vorderen Zunge von der Patientin verschluckt.
Therapie: Die Patientin wurde mit Ibuprofen, Pantoprazol und einer oralen Antibiose aus der HNO-Klinik entlassen.
Weiterer Verlauf: Bei der HNO-ärztlichen Kontrolluntersuchung nach 6 Wochen zeigten sich weiterhin erhöhte Entzündungsparameter. Bei neu aufgetretener Sehstörung wurden bei V.a. Riesenzellarteriitis eine Temporalarterienbiopsie veranlasst und eine hochdosierte intravenöse Therapie mit Methylprednisolon (250 mg/Tag) eingeleitet. Die farbkodierte Duplexsonographie und eine MR-Angiographie mit Black-Blood Sequenzen zeigten charakteristische vaskulitische Gefäßwandveränderungen an der linken Arteria vertebralis und beidseits an der Arteria temporalis superficialis. Nebenbefundlich zeigten sich supra- und infratentoriell mehrere akute bis subakute cerebrale Ischämieareale mit Hinweisen auf Schrankenstörungen, so dass die vorübergehende Überwachung auf der neurologischen Stroke Unit erfolgte. Die histopathologische Auswertung der Temporalarterienbiopsie bestätigte die bereits klinisch und bildgebend gestellte Diagnose einer Riesenzellarteriitis mit chronisch-aktiver Arteriitis mit Hyperplasie der Tunica intima, fokaler Fragmentation der Lamina elastica interna und Nachweis mehrkerniger Riesenzellen. Anschließend wurde eine steroideinsparende Behandlung mit dem IL6-Rezeptorblocker Tocilizumab eingeleitet. Die Entzündung der Arteria lingualis ist eine seltene, jedoch bereits vielfach beschriebene Manifestation der kraniellen Riesenzellarteriitis. Diese sollte auch HNO-Ärzten und Zahnärzten als Differentialdiagnose bei Glossodynien bekannt sein, um frühzeitig die RZA zu diagnostizieren und irreversible Schäden durch Zungennekrosen oder Visusverlust zu vermeiden.