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Deutscher Rheumatologiekongress 2022, 50. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie (DGRh), 36. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Orthopädische Rheumatologie (DGORh), 32. Jahrestagung der Gesellschaft für Kinder- und Jugendrheumatologie (GKJR)

31.08. - 03.09.2022, Berlin

Prävalenz von psychischen Erkrankungen und Beschwerden bei Patienten mit rheumatoider Arthritis, systemischem Lupus erythematodes und primärem Sjögren-Syndrom

Meeting Abstract

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  • Sonja Beider - Klinik für Rheumatologie und Immunologie, Medizinische Hochschule Hannover, Hannover
  • Torsten Witte - Klinik für Rheumatologie und Immunologie, Medizinische Hochschule Hannover, Hannover
  • Michael Stephan - Klinik für Psychosomatik und Psychotherapie, Medizinische Hochschule Hannover, Hannover
  • Diana Ernst - Klinik für Rheumatologie und Immunologie, Medizinische Hochschule Hannover, Hannover

Deutsche Gesellschaft für Rheumatologie. Deutsche Gesellschaft für Orthopädische Rheumatologie. Gesellschaft für Kinder- und Jugendrheumatologie. Deutscher Rheumatologiekongress 2022, 50. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie (DGRh), 36. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Orthopädische Rheumatologie (DGORh), 32. Jahrestagung der Gesellschaft für Kinder- und Jugendrheumatologie (GKJR). Berlin, 31.08.-03.09.2022. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2022. DocVK.10

doi: 10.3205/22dgrh189, urn:nbn:de:0183-22dgrh1895

Veröffentlicht: 31. August 2022

© 2022 Beider et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Gliederung

Text

Einleitung: Angststörungen und Depression zählen zur häufigsten Komorbidität bei Patienten mit rheumatischen Grunderkrankungen [1]. Ziel dieser Studie war es, unterschiedliche psychische Faktoren von Patienten mit rheumatoider Arthritis (RA), systemischem Lupus erythematodes (SLE) und primärem Sjögren-Syndrom (pSS) zu erfassen und zu vergleichen, sowie zu untersuchen, welche Faktoren mit Krankheitsaktivität und physischer Aktivität assoziiert sind.

Methoden: Von Januar 2019 bis März 2021 wurden 445 Patienten mit RA, pSS und SLE konsekutiv im Rahmen einer monozentrischen Querschnittsstudie in der rheumatologischen Ambulanz der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) auf Depression, Angst, Fatigue, Krankheitsaktivität, körperliches Wohlbefinden, Funktionsbeeinträchtigung und körperliche Aktivität mittels folgender standardisierter Fragebögen untersucht: Beck Depression Inventory II (BDI II), Multidimensional Assessment of Fatigue (MAF), Funktionsfragebogen Hannover (FFbH), Short Form (36) Gesundheitsfragebogen (SF-36), Hospital Anxiety and Depression Scale (HADS) und International Physical Activity Questionnaire Short Form (IPAQ-SF), Systemic Lupus Erythematosus Disease Activity Index (SLEDAI), EULAR Sjögren's syndrome disease activity index (ESSDAI), EULAR Sjögren’s Syndrome Patient Reported Index (ESSPRI), Disease Activity Score 28 (DAS28).

Ergebnisse: Von den 445 Patienten litten 164 (36,9%) an RA, 146 (32,8%) an SLE und 135 (30,3%) an pSS. In allen Gruppen waren überwiegend Frauen (RA 125/164 (76,2%), SLE 125/146 (85,6%), pSS 118/135 (87,4%) vertreten. Das durchschnittliche Alter der Kohorte betrug 53,6 ± 14 Jahre und war bei den SLE-Patienten etwas niedriger (48,6 ± 12,2).

In der Gesamtkohorte wiesen 127/445 (28,5%) der Patienten eine Depression auf (BDI II ≥ 14) und 139/445 (31,2%) litten unter Angststörungen (HADS A ≥8). Die RA-Patienten waren im Vergleich zu den pSS- und den SLE-Patienten weniger von Depression betroffen (22% vs. 36,3% bzw. 28,8%, p=0,002). Der Verlust von Freude als Kernsymptom der Depression wurde in dieser Patientengruppe mit 46,3% seltener berichtet als bei den pSS- und den SLE-Patienten (56,3% bzw. 58,9%, p=0,038). Kognitive Faktoren mit negativer Selbstreflexion wie Schuldgefühlen (32,5%, p=0,001), Versagensgefühlen (29,7%, p=0,026) und Wertlosigkeit (27,4%, p=0,030) wurden von pSS-Patienten doppelt so häufig wie von RA-Patienten berichtet. Auch Angststörungen kamen bei pSS- und SLE-Patienten häufiger als bei RA-Patienten vor (23,2% vs. 36,3% bzw. 35,6%, p=0,020). Bei SLE-Patienten waren somatische affektive Symptome wie Schlafstörungen (73,3%, p=0,039) bzw. Appetitstörungen (43,2%, p=0,011) und Angstproblematik (35,6%, p=0,020) führend.

Ein geringes körperliches Wohlbefinden nach SF36 (Physical Component Summary, PCS < 50%) fand sich bei RA-Patienten mit 56,7% am häufigsten (p=0,036). RA-Patienten waren außerdem häufiger, in 25% der Fälle, von relevanter Funktionseinschränkung betroffen (FFbH < 60, p=0,013). Der Anteil der Patienten mit niedriger körperlicher Aktivität nach IPAQ-Kriterien war in der RA-Gruppe dennoch, ungeachtet des durchschnittlich höheren Alters, mit 39,0% geringer als bei den pSS- und den SLE-Patienten (44,4% bzw. 44,5%).

Der Zusammenhang zwischen Krankheitsaktivität und psychischer Gesundheit der Patienten fiel in den Patientengruppen unterschiedlich aus. Bei pSS-Patienten wies die subjektive Krankheitsaktivität nach ESSPRI einen starken Zusammenhang sowohl mit Angststörungen als auch mit Depression auf (p jeweils < 0,001), bei der Krankheitsaktivität nach ESSDAI ergaben sich keine Signifikanzen (p=0,869 bzw. p=0,707). Bei RA-Patienten war die Krankheitsaktivität (nach DAS28) nur mit Depression (p=0,002), bei SLE-Patienten (nach SLEDAI) nur mit Angststörungen assoziiert (p=0,018). In allen drei Patientengruppen zeigte sich eine starke Assoziation des geringen körperlichen Wohlbefindens mit Angststörungen und Depression (p jeweils < 0,001). Einen Zusammenhang mit Depression zeigte bei pSS-Patienten die körperliche Aktivität (p=0,003) und bei RA-und SLE-Patienten die Funktionsbeeinträchtigung (je p=0,001). Auch Fatigue wies in allen Patientengruppen einen starken Zusammenhang mit Depression auf (p jeweils < 0,001).

Schlussfolgerung: Die Inzidenz psychischer Störungen war bei RA-, SLE- und pSS-Patienten hoch. Insbesondere bei den Kollagenosen spielten Depression und Angststörungen eine größere Rolle als bei RA. Die Ergebnisse zeigten eine Prävalenz von über einem Drittel der Patienten. Fragen zur psychischen Gesundheit sollten entsprechend routinemäßig im Anamnesegespräch gestellt werden. Fatigue und psychiatrische Störungen können zum einen unmittelbar krankheitsassoziiert sein, insbesondere beim SLE [2] aber auch Ausdruck fehlender Coping Mechanismen. Mittels psychologischer Unterstützung zur Krankheitsbewältigung und -akzeptanz können solche Faktoren verbessert werden [3] und sollten entsprechend routinemäßig Anwendung finden. Verschiedene Möglichkeiten werden von den gesetzlichen Kassen unterstützt, z.B. psychosomatische Gruppentherapien, und sie sollten viel häufiger von den betreuenden Ärzten empfohlen werden. Auch Funktionstraining und physiotherapeutische Maßnahmen können das mentale Befinden positiv beeinflussen [4]. Ein Monitoring, nicht nur der krankheitsspezifischen Aktivität, sondern auch der psychischen Gesundheit, ist wichtig, um eine optimale und ganzheitliche Betreuung zu ermöglichen. Gleichzeitig wäre eine multidisziplinäre Betreuung von Patienten mit rheumatischen Grunderkrankungen und psychologischen Auffälligkeiten unter Einbeziehung von Psychiatern bzw. Psychologen, aber auch Physio- und Bewegungstherapeuten für bessere Therapieergebnisse wünschenswert.

Offenlegungserklärung: Kein Interessenkonflikt.


Literatur

1.
Baerwald C, Manger B, Hueber A. Depression als Komorbidität bei rheumatoider Arthritis. Z Rheumatol. 2019 Apr;78(3):243-8. DOI: 10.1007/s00393-018-0568-5 Externer Link
2.
Arnaud L, Gavand PE, Voll R, Schwarting A, Maurier F, Blaison G, Magy-Bertrand N, Pennaforte JL, Peter HH, Kieffer P, Bonnotte B, Poindron V, Fiehn C, Lorenz H, Amoura Z, Sibilia J, Martin T. Predictors of fatigue and severe fatigue in a large international cohort of patients with systemic lupus erythematosus and a systematic review of the literature. Rheumatology (Oxford). 2019 Jun 1;58(6):987-96. DOI: 10.1093/rheumatology/key398 Externer Link
3.
Schneider M, Haupt M. Krankheitsbewältigung bei systemischem Lupus erythematodes. Z Rheumatol. 2015 Sep;74(7):591-6. DOI: 10.1007/s00393-014-1556-z Externer Link
4.
Brady SM, Fenton SAM, Metsios GS, Bosworth A, Duda JL, Kitas GD, Veldhuijzen van Zanten JJCS. Different types of physical activity are positively associated with indicators of mental health and psychological wellbeing in rheumatoid arthritis during COVID-19. Rheumatol Int. 2021 Feb;41(2):335-44. DOI: 10.1007/s00296-020-04751-w Externer Link