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45. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft der Plastischen, Rekonstruktiven und Ästhetischen Chirurgen (DGPRÄC), 19. Jahrestagung der Vereinigung der Deutschen Ästhetisch-Plastischen Chirurgen (VDÄPC), 52. Jahrestagung der Österreichischen Gesellschaft für Plastische, Ästhetische und Rekonstruktive Chirurgie (ÖGPÄRC)

11.09. - 13.09.2014, München

„CRPS I“ – Tabuzone für periphere Nervenchirurgie!?

Meeting Abstract

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  • presenting/speaker Martin Raghunath - München, Deutschland

Deutsche Gesellschaft der Plastischen, Rekonstruktiven und Ästhetischen Chirurgen. Vereinigung der Deutschen Ästhetisch-Plastischen Chirurgen. Österreichische Gesellschaft für Plastische, Ästhetische und Rekonstruktive Chirurgie. 45. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft der Plastischen, Rekonstruktiven und Ästhetischen Chirurgen (DGPRÄC), 19. Jahrestagung der Vereinigung der Deutschen Ästhetisch-Plastischen Chirurgen (VDÄPC), 52. Jahrestagung der Österreichischen Gesellschaft für Plastische, Ästhetische und Rekonstruktive Chirurgie (ÖGPRÄC). München, 11.-13.09.2014. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2014. Doc70

doi: 10.3205/14dgpraec285, urn:nbn:de:0183-14dgpraec2859

Veröffentlicht: 3. September 2014

© 2014 Raghunath.
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Gliederung

Text

Einleitung: Das Complex Regional Pain Syndrome (CRPS) wird als posttraumatisches Schmerzsyndrom einer Extremität definiert, bei dem die Schmerzen im Vergleich zum erwarteten Heilungsverlauf unangemessen stark sind, in der Regel distal der Traumastelle auftreten und sich nicht auf das Innervationsgebiet peripherer Nerven oder Nervenwurzeln beschränken. Beim CRPS II liegt eine Nervenläsion vor, beim CRPS I nicht. Daher tritt zu der medikamentösen und nicht-medikamentösen Therapie beim CRPS II die Behandlung bzw. die Behandlungsmöglichkeit der Nervenläsion hinzu.

Dellon [1] fand in einer Untersuchung unter 100 Patienten mit CRPS I 70 Fälle mit chirurgisch behandelbaren Nervenkompressionen, Neuromen oder verletzten schmerzleitenden Gelenkkapselnerven. Dadurch eröffnete sich eine Therapieoption je nach Läsion in Form von Nervendekompression, Neurombehandlung oder Denervation, die 80% der Patienten eine gute bis sehr gute Schmerzreduktion erbrachte.

Es werden eigene Fälle mit chronischen Residualschmerzen nach CRPS vorgestellt, bei denen durch sorgfältige klinische Untersuchung und Sensibilitätstestung Nervenkompressionen nachgewiesen und operativ behandelt wurden.

Fall 1

29 J, w, 12/08 fremdverschuldeter Verkehrsunfall mit perilunärer Luxationsfraktur (transstyloidal, transscaphoidal, transtriquetral) rechts, 01/09 Reposition und Verschraubung, 12 W Gips, darin immer Schmerzen am ulnaren Handgelenk, 03/09 Vollbild CRPS, medikamentöse Behandlung, 2 Jahre Physiotherapie, seither durchgehend Ergo-/Handtherapie.

Angaben der Patientin: stechende Schmerzen und Kribbeln ulnares Handgelenk, Elektrisieren in D4/5, Besserung bei Druck auf Pisiforme, Verschlechterung bei Dorsalextension des Handgelenkes (Arbeiten mit der Maus), bei Auflegen des Ellbogens Einschlafen von D5, Schmerzen im Schnitt VAS 7, bis VAS 10 möglich.

Erste Elektroneurographie 03/10: Ausschluß Nervenschädigung. Handchirurgisch 09/10 ulnar betonte Sensibilitätsstörung dokumentiert, 06/11 handchirurgisch Verdacht auf Ulnarisproblematik an Loge de Guyon und am Sulcus n. ulnaris geäußert. Neurologisch 09/11 und 09/12 erneut Ausschluss Ulnarisläsion (DML 3,4 ms).

07/13 Vorstellung beim Autor auf Veranlassung der Handtherapeutin wegen V.a. Ulnaris-Läsion.

Befund: Rechte Hand, voller Faustschluss, freie Fingerstreckung, endgradige Bewegungseinschränkung, diskrete, aber sichtbare Atrophie des Hypothenarballens und tastbare Atrophie des Adductor pollicis. Leichte Schwäche der Finger-Adduktion, Froment Zeichen negativ. Rechts starker Druckschmerz an Loge de Guyon sowie auslösbares Hoffmann-Tinel-Zeichen, li kein pathologischer Befund. Ebenso starker Druckschmerz am Nervus ulnaris am proximalen Bereich des Sulcus n. ulnaris mit auslösbarem Hoffmann-Tinel-Zeichen rechts, links kein pathologischer Befund. Sensibilitätstestung mit dem PSSD (pressure specified sensory device, S.M,S. Limited, Towson, USA): Leichte Erhöhung der Schwelle zur 2- Punkt-Diskrmination bei 3,0 mm Abstand an D5, Erhöhung der Berührungsschwelle an D4.

Therapie: Nach Diagnosestellung der Ulnaris-Reizung an Ellbogen und Handgelenk erfolgt unter präemptiver Schnerzmedikation die Dekompression des N. ulnaris am Sulcus n. ulnaris und an der Loge de Guyon. Intraoperativ keine sichtbaren Läsionen an den Nerven außer einer leichten Abplattung im Sulcus durch ein kreuzendes Gefäß. Am Ellbogen auffällige Faszie über dem Nerven zum Septum hin langstreckig nach proximal, keine Luxationstendenz. Am Handgelenk typische Konstellation der Loge. Postoperativ großzügige i.v. Analgesie.

Bei Entlassung am 3. postOP Tag keine Pelzigkeit, VAS 0. Ausschleichen von Amitriptylin nach 6 Wochen. Nach 10 Monaten stabil VAS 0.

Fall 2

05/12 fremdverschuldeter Fahrradsturz mit Kinn und Zahnverletzung sowie MHK 5 Basisfraktur, Knochenödem MHK 4 und Os hamatum rechts. Bluterguss dorsoulnar und radial beugeseitig am Handgelenk, Schwellung ganze Hand. Anfänglich im Gips Einschlafen Daumen streckseitig, trotz Gipswechsel und Polsterung verblieben. Pelzigkeit der Finger 4+5.

Im Verlauf CRPS mit Schwellung, Hitzegefühl, Hypertrichose, Nagelveränderung, Allodynie, Hyperhidrose, Schmerzen. Ambulante Rehamaßnahmen, Physikalische Therapie Handtherapie. Vorstellung erfolgt auf Betreiben der Handtherapeutin mit Verdacht auf Ulnarisproblematik.

Pat. klagt über Pelzigkeit D4/5, D1 streckseitig, sowie Scmerzen beim Aufstützen im distalen Radiusbereich und Handgelenk radial und streckseitig, brennende Schmerzen bei Faustschluß Handrücken und ulnodorsal, Ameisen laufen, Elektrisieren von Ellbogen aus.

VAS schwankt zwischen 5-10.

Befund rechte Hand: Atrophie Hypothenar, Pelzigkeit der Finger D5 und D4 ulnar, DS über Loge de Guyon. HT + im Sulcus, hier auch DS. DS distales Radioulnargelenk dorsal, punktuell auslösbarer Schmerz von einem Nervenast (aus R. superficialis n.radialis), der unmittelbar an der ulnaren Seite des Listerschen Tuberkels verläuft. Leichte Kompression auf diesen Nerven löst starke Schmerzen und Elektrisieren auf den Handrücken ulnar aus. HT über R. superficialis n. radialis über distalem Radius nach proximal bis zur Brachioradialissehne (Wartenberg-Syndrom). Druckschmerz Supinator bds, kein Schmerzauslösung durch Streckung D3 gegen Widerstand. DS auf Radialishauptstamm über Radialistunnel am distalen Oberarm mit Auslösen von Elektrisieren in Daumen und Handrücken re.

Sensibilitätstestung mit dem PSSD: Seitengleiche 1 Punkt Berührungsschwelle bds für Medianus, bei Ulnaris und Radialis klare rechtseitige Erhöhung, insbesondere bei 2 Punkte-Diskrimination rechstseitige Erhöhung der Erkennungsschschwelle.

Nach Blockade des N.interosseus posterior keinerlei Besserung der Beschwerden. In zweiter Sitzung Blockade R. superficialis n. radialis an der Überkreuzung durch die Brachioradialis-Sehne Unterarm-Mitte. Dieser Block führt zur Beschwerdefreiheit am Listerschen Tuberkel und deutliche Beschwerdereduktion am Handgelenk beim Aufstützen.

Therapie: Nach präemptiver Schmerzmedikation und unter Plexuskatheter erfolgt die Dekompression von N. ulnaris und Radialis an mehreren Stellen. In der Loge de Guyon wird ein Lipom gefunden und exstirpiert; kleine Knochenabtragung am Lister Tuberkel.

Postoperativ deutliche Besserung der Schmerzen am Handgelenk beim Aufstützen, Besserung der Sensibilitätsstörung D4/5 sowie D1 steckseitig.

Schlussfolgerung: Zusammenfassend sollten CRPS I Patienten gründlich anamnestisch, klinisch, messtechnisch und mit Hilfe von Nervenblockaden auf bestehende Nervenläsionen untersucht werden. Entsprechend aufgefundene CRPS II Patienten können durch adäquate chirurgische Maßnahmen an peripheren Nerven in erheblichem Ausmaß profitieren. Dies gilt für die obere Extremität wie für die untere Extremität. Bei den dargestellten Fällen kam es nicht zu einem erneuten Auftreten eine CRPS Reaktion.


Literatur

1.
Dellon AL, Andonian E, Rosson GD. CRPS of the upper or lower extremity: surgical treatment outcomes. J Brachial Plexus and Peripheral Nerve Injury. 2009;4:1.