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45. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft der Plastischen, Rekonstruktiven und Ästhetischen Chirurgen (DGPRÄC), 19. Jahrestagung der Vereinigung der Deutschen Ästhetisch-Plastischen Chirurgen (VDÄPC), 52. Jahrestagung der Österreichischen Gesellschaft für Plastische, Ästhetische und Rekonstruktive Chirurgie (ÖGPÄRC)

11.09. - 13.09.2014, München

Ein Tierbiss der besonderen Art – plastisch-chirurgisches Managment eines Kobrabisses

Meeting Abstract

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  • presenting/speaker Jörn W. Kuhbier - Hannover, Deutschland
  • Christine Radtke - Hannover, Deutschland
  • Peter M. Vogt - Hannover, Deutschland

Deutsche Gesellschaft der Plastischen, Rekonstruktiven und Ästhetischen Chirurgen. Vereinigung der Deutschen Ästhetisch-Plastischen Chirurgen. Österreichische Gesellschaft für Plastische, Ästhetische und Rekonstruktive Chirurgie. 45. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft der Plastischen, Rekonstruktiven und Ästhetischen Chirurgen (DGPRÄC), 19. Jahrestagung der Vereinigung der Deutschen Ästhetisch-Plastischen Chirurgen (VDÄPC), 52. Jahrestagung der Österreichischen Gesellschaft für Plastische, Ästhetische und Rekonstruktive Chirurgie (ÖGPRÄC). München, 11.-13.09.2014. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2014. Doc162

doi: 10.3205/14dgpraec235, urn:nbn:de:0183-14dgpraec2351

Veröffentlicht: 3. September 2014

© 2014 Kuhbier et al.
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Gliederung

Text

Einleitung: Während Tierbisse durch Hunde und Katzen häufig vom Plastischen Chirurgen behandelt werden, obliegt die Behandlung von Bissen hochgiftiger Tiere meist den internistischen und toxikologischen Abteilungen. Dies erklärt sich insbesondere durch die ausgeprägte Neurotoxizität, die auch das Gift der Kobra auszeichnet, welches eine Curare-ähnliche Wirkung zeigt. Prä- und postsynaptische Neurotoxine interferieren nicht nur mit der Freisetzung von Acetylcholin an der motorischen Endplatte, sondern besetzten auch kompetitiv die Acetylcholin-Rezeptoren und sorgen so für eine ausgeprägte Paralyse [1].

Jedoch enthält das Gift der Kobra auch Hämolysine, Myolysine, Prokoagulanzien, Hämorrhagine, Zytolysine und nekrotisierende Enzyme [1]. Somit führt ein Kobrabiss auch häufig zu ausgeprägten Nekrosen.

In dieser Studie wird ein Fall präsentiert, in dem die sekundäre Verlegung und Behandlung eines Patienten mit einem Kobrabiss komplett von einer Klinik für Plastische Chirurgie geführt wurde.

Fallpräsentation: Ein männlicher, 29 Jahre alter Patient mit anamnestisch bekanntem Cannabis- und Alkoholabusus wurde während der Fütterung seiner im häuslichen Umfeld gehaltenen Schlangen durch eine thailändische Monokel-Kobra (Naja kaouthia) in den linken Zeigefinger gebissen. Der Patient stellte sich bei Schmerzen in der Bissstelle, Kopfschmerz, Schwindel und beginnender Lidptose in einem Krankenhaus der Grund- und Regelversorgung vor, wo es in der Notaufnahme zu einer respiratorischen Insuffizienz mit Notwendigkeit der endotrachealen Intubation kam. Es wurden eine Bisskanal-Ausschneidung und Karpaldachspaltung des betroffenen Armes durchgeführt. Bei fortgesetzter respiratorischer Insuffizienz wurde eine Re-Intubation erforderlich, eine Extubation war nicht möglich. Am zweiten Tag erfolgte bei Verhärtung der gesamten Unterarmmuskulatur eine „Second-look“-Operation durch dorsale und palmare Hautinzisionen am Unterarm, wobei sich nekrotische Veränderungen der oberflächlichen Muskulatur zeigten. Aufgrund dieses Befundes wurde sich zur luftgebundenen Sekundärverlegung des intubierten und beatmenten Patienten in unsere Universtitätsklinik entschieden.

Noch während des Transportes in unsere Klinik wurden 6 Dosen Antitoxin (polyvalente Kobra-Antikörper) aus dem Bernhard Nocht Institut für Tropenmedizin in Hamburg bestellt (Cobra Antivenin, Thai Red Cross, Thailand).

Bei Aufnahme in unserer Notaufnahme zeigte sich bei harter Schwellung der Unterarmmuskulatur links der Verdacht auf ein beginnendes Kompartmentsyndrom, so dass die Notfallindikation zur Kompartementspaltung und Nekrosektomie gestellt wurde. Es erfolgte die Fasziotomie sämtlicher Unterarmkompartimente, es zeigten sich multiple diffuse Gewebsnekrosen im gesamten Unterarm (Abbildung 1A [Abb. 1]). Perioperativ wurden unter antihistaminerger Medikation vier Dosen Antitoxin verabreicht, es wurden zudem mikrobiologische Abstriche entnommen. Zunächst wurde eine temporäre Wundbedeckung mit Epigard® (Biovision GmbH, Ilmenau) durchgeführt, anschließend konnte während des intensivstationären Aufenthaltes die Extubation erfolgen (insgesamt 30 Stunden nach dem Biss). Der Patient bot eine vegetative Entzugssymptomatik, die durch Gabe eines synthetischen Cannabinoids (Dronabinol®, THC Pharm GmbH, Frankfurt am Main) kupiert werden konnte. Im weiteren Verlauf zeigte der Patient eine sehr gute Heilungstendenz, die initiale kalkulierte Antibiose mit Cefazolin konnte bei Nachweis von Morganella morganii resistenzgerecht auf Ciprofloxacin umgestellt werden.

Am 4. Tag nach dem Biss erfolgte die erneute Operation mit sparsamen Debridement und Neurolyse aller digitalen Nerven in der Handfläche, zudem wurde eine Wundkonditionierung mittels VAC-Therapie begonnen. An Tag 9 erfolgte der Wechsel dieses Systems und, bei reizlosen Wundverhältnissen, an Tag 16 die definitive Defektdeckung mittels freier ALT-Lappenplastik (Abbildung 1B [Abb. 1]). Insgesamt 31 Tage nach dem Biss konnte die Entlassung in die ambulante Weiterbehandlung erfolgen, eine Anschlussheilbehandlung wurde intiiert. Aufgrund der schlechten Compliance des Patienten konnten keine Follow-up-Untersuchungen durchgeführt werden.

Diskussion: Bezüglich der chirurgischen Strategie bei Bissen von Giftschlangen gab es in den letzten Jahrzehnten einen Paradigmenwechsel. Während in früheren Publikationen das frühe Débridement mit der Intention, den mit Gift kontaminierten Bisskanal zu entfernen, bevorzugt wurde, favorisieren aktuelle Publikationen ein eher zurückhaltendes Vorgehen, bei dem Manipulationen der Gliedmaße eher vermieden werden sollten, um die Giftausbreitung zu minimieren [2], [3]. Als kausale Behandlung sollte eine frühe Gabe von Antitoxin angestrebt werden, da die verzögerte Gabe höhere Dosen erfordern kann, welche wiederum das Risiko eines anaphylaktischen Schockes als Arzneimittelreaktion erhöhen [1].

Dies zeigte sich auch in dem hier gezeigten Fall, wo die Gabe von vier Dosen Antitoxin zur Kupierung der Paralyse der Atemmuskulatur notwendig waren. Bei der Aufnahme in unserem Hause war die sofortige chirurgische Intervention bei drohendem Gliedmaßenverlust aufgrund des manifesten Kompartmentsyndrom indiziert, was in dieser Situation auch durch die Literatur eindeutig empfohlen wird [4].

Insgesamt lässt sich feststellen, dass Giftschlangen-Bisse in Deutschland zu den seltenen Entitäten gehören, weswegen hier die Erfahrung in der Behandlung solcher als gering gelten kann. Nichtsdestotrotz können wie in dem gezeigten Fall solche Bisse einen fulminanten, lebensbedrohlichen Verlauf nehmen, der ein adäquates Vorgehen erforderlich macht.


Literatur

1.
WHO/SEARO Guidelines for the clinical management of snake bites in the Southeast Asian region. Southeast Asian J Trop Med Public Health. 1999;30 Suppl 1:1-85.
2.
Glass TG Jr. Early debridement in pit viper bites. JAMA. 1976 Jun 7;235(23k0):2513-6.
3.
Adukauskiene. D, Varanauskiene. E, Adukauskaite. A. Venomous snakebites. Medicina (Kaunas). 2011;47(8):461-7.
4.
Anz AW, Schweppe M, Halvorson J, Bushnell B, Sternberg M, Andrew Koman L. Management of venomous snakebite injury to the extremities. J Am Acad Orthop Surg. 2010 Dec;18(12):749-59.